Im 2. Teil der Serie „Frauen in der Bibel“ wirft Frauenreferentin Aglaia Maria Poscher-Mika einen Blick auf Veronika und das Schweißtuch. Während mehrere Legenden von der Entstehung des Schweißtuches berichten, gibt es über Veronikas Begegnung mit dem leidenden Christus keine explizite Bibelstelle.
Eine große Menge Volk folgte ihm, wobei die Frauen ihn beweinten und sich vor Trauer auf die Brust schlugen. (Lukas 23,27)
„Vero-nika“ bezeichnete eigentlich das Schweißtuch selbst („wahres Abbild“ von Jesus). Die Frau, die ihm dieses Tuch gereicht hat, könnte Bere-nike („Sieges-bringerin“) geheißen haben. Sie wird im apokryphen Nikodemusevangelium namentlich erwähnt als jene Frau, die nach jahrelangen Blutungen von Jesus geheilt wurde, rein durch die Berührung seines Gewandes von hinten.
Denn sie sagte sich: „Wenn ich ihn berühre, und sei es nur sein Gewand, werde ich gesund werden.“ Im gleichen Augenblick hörte ihr Blut auf zu fließen, und sie spürte an ihrem Körper, dass sie von ihrem Leiden befreit war. Gleichzeitig fühlte auch Jesus an sich, wie die Kraft aus ihm herausfloss, drehte sich in der Menschenmenge um und fragte: „Wer hat mich am Gewand berührt?“ (…) Sie trat vor, warf sich vor ihm nieder und sagte ihm die ganze Wahrheit. Da antwortete er ihr: „Tochter Gottes, dein Vertrauen hat dich gesund gemacht. Gehe hin in Frieden, und sei dauerhaft von deinem Leiden geheilt.“ (Markus 5, 28-34)
So hat die aus Legenden überlieferte Geste, dass diese Frau Jesus am Leidensweg ein Tuch reicht, mit dem er sich Blut und Schweiß aus dem Gesicht wischen kann, symbolkräftige Bedeutung: er hat ihr damals ihr Gesicht wiedergegeben, und den Schritt zurück in die Gesellschaft ermöglicht, denn während ihrer Blutung waren Frauen von jeglichen menschlichen Kontakten ausgegrenzt – auch innerhalb der eigenen Familie. Veronika hätte also für Jesus Ähnliches getan, indem sie ihm ein Tuch gereicht hat, mit dem er sich das Gesicht trocknen konnte.
Offensichtlich ist das, was diese Frau für Jesus getan hat, in der Glaubensgeschichte sehr bedeutend, denn die 6. Kreuzwegstation ist ganz dieser Begegnung gewidmet. Dass sie den Sterbenden auf seinem Leidensweg begleiten konnte, ist ein Beweis grenzenloser Solidarität. Sie ist dem zum Tode Verurteilten zu Hilfe geeilt, und hat sich damit vor den Augen der Menschenmengen und der Soldaten zu Jesus bekannt. Während andere ihn bereits verraten und verlassen haben, hat sie ihn begleitet und ihr Gesicht gezeigt, damit auch sein Gesicht bewahrt wird – im direkten wie eben vielleicht im übertragenen Sinn. Durch den großen Mut, welchen sie mit dieser Tat bewiesen hat, hat sie uns auch gezeigt, wie sehr Jesus selbst alle Grenzen überschritten hat, um Gottes heiligen Willen zu erfüllen.
Die angeführten Schriftzitate stammen aus der „Bibel in gerechter Sprache“.