
Facharzt für Neurologie in Erlangen (D), Zusatzbezeichnung Palliativmedizin
Leiter der Palliativmedizintechnik Arbeitsgruppe, PallMeT der Palliativmedizinischen Abteilung des Universitätsklinikum Erlangen (seit 2017)
Von Rosa Andrea Martin
Dr. Tobias Steigleder forscht an der Universität Erlangen an innovativer Sensorik, maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz in der Palliativversorgung, Digitalisierung in der Palliativversorgung, Palliativmedizin und Neurologie: „Wir sind vor allem im Bereich der Datenanalyse tätig und verwenden hiefür die künstliche Intelligenz. Beispielsweise nutzen wir Sensorik wie Radare, um Vitalparameter zu erfassen. Der Weg von Radardaten zur Aussage über die Herzfrequenz erfordert hochkomplexe Rechenprozesse, für die wir KI einsetzen. Zudem analysieren wir Gesundheitsdaten mit KI, um verschiedene Messwerte und Informationen zu verknüpfen und frühzeitig kritische Entwicklungen zu erkennen.
Trägt KI zur Erleichterung der Arbeitsabläufe für Ärzt:innen und Behandler:innen bei?
Dr. Tobias Steigleder: Ja, besonders in Bezug auf einen effizienten Personaleinsatz. In der ambulanten Palliativversorgung müssen Teams große Gebiete abdecken. KI kann helfen zu entscheiden, welche Patienten zuerst besucht werden sollten, wer telefonisch betreut werden kann und wer erst später am Tag versorgt werden muss. Das verbessert die Patientenversorgung und ermöglicht mit den bestehenden Ressourcen eine hinreichende Gesundheitsversorgung zu leisten.
Die Palliativmedizin begleitet Menschen in ihrer letzten Lebensphase. Könnte KI eine Rolle in der Trauerverarbeitung spielen, etwa indem Angehörige nach dem Ableben mit einer virtuellen Version des Verstorbenen interagieren?
Dr. Steigleder: Die Trauer beginnt oft bereits während der Betreuung und verläuft nicht so plötzlich wie nach einem Unfall. Wir würden uns wünschen, dass Patient:innen früher in die Palliativversorgung aufgenommen werden, da dies positive Auswirkungen auf die Auseinandersetzung mit dem Verlusterlebnis und die Lebensqualität der Angehörigen hat. Leider geschieht dies oft zu spät.
Zum Einsatz von KI in der Trauerarbeit gibt es verschiedene Aspekte. Erinnerungen an Verstorbene sind nichts Neues; wir bewahren Fotos, Videos oder Lieblingsorte. Die Neuerung durch KI liegt in der Interaktivität. Man könnte virtuelle Gespräche mit einem Avatar führen, der auf Basis gesammelter Daten Antworten und Reaktionen generiert, die denen des Verstorbenen mehr oder weniger entsprechen.
Trauerforschung zeigt, dass es wichtig ist, den Verlust der geliebten Person zu akzeptieren und der verstorbenen Person einen neuen Platz im eigenen Leben zu geben. Eine KI kann Erinnerungen beleben, aber für einen „guten“ Avatar braucht es sehr viele D.
Besteht die Gefahr, dass Betroffene den Unterschied zwischen Realität und virtueller Nachbildung nicht mehr wahrnehmen?
Dr. Steigleder: Wie bei jeder neuen Technologie kommt es darauf an, wie reflektiert man sie nutzt. Eine KI kann Erinnerungen beleben. Jedoch kann die pathologische Trauerreaktion verstärkt werden, wenn jemand sich zu sehr in die virtuelle Welt zurückzieht und das reale Leben vernachlässigt. Daher sollte der Einsatz von KI in der Trauerarbeit qualifiziert moderiert werden.
Facharzt für Neurologie in Erlangen (D), Zusatzbezeichnung Palliativmedizin
Leiter der Palliativmedizintechnik Arbeitsgruppe, PallMeT der Palliativmedizinischen Abteilung des Universitätsklinikum Erlangen (seit 2017)
Monika Müller ist Therapeutin und seit vielen Jahren in der Hospizarbeit engagiert. Sie leitet die Fortbildung zur Trauerbegleitung im Bildungshaus Batschuns.
Frau Müller, wie erleben Sie die Art und Weise, wie Menschen heute trauern? Hat sich daran etwas verändert?
Monika Müller: Ja, definitiv. Durch die zunehmende Offenheit gegenüber dem Thema Trauer erlauben sich heute mehr Menschen, ihren Verlust bewusst zu betrauern und sich Unterstützung zu suchen. Früher wurde Trauer oft als etwas betrachtet, das man „bewältigen“ oder „überwinden“ muss. Heute verstehen wir sie eher als einen lebenslangen Prozess, der sich wandelt, aber nicht verschwindet. Trauer ist keine Krankheit, sondern eine zutiefst menschliche Reaktion auf Verlust. Sie ist dynamisch, individuell und durchdringt alle Aspekte des Lebens.
Welche Rolle spielen Rituale und persönliche Erinnerungen in der Trauerarbeit?
Müller: Rituale sind enorm wichtig. Sie helfen, den Verlust zu begreifen und geben Halt in einer Zeit großer Unsicherheit. Sei es eine Gedenkkerze, ein bestimmtes Lied oder ein gemeinsames Treffen mit anderen Trauernden – solche Handlungen bieten Struktur und Trost. Sie helfen dabei, den Verstorbenen auf eine neue Weise ins eigene Leben zu integrieren.
In letzter Zeit wird viel über KI-Technologien diskutiert, die Verstorbene digital „zum Leben erwecken“. Wie stehen Sie dazu?
Müller: Ich sehe das sehr kritisch. Die tiefste und vielleicht schmerzhafteste Erfahrung der Trauer ist die der Unwiederbringlichkeit – das „nie wieder“. Diese Realität zu begreifen, ist zentral für den Trauerprozess. Wenn eine KI nun die Stimme oder das Gesicht eines Verstorbenen nachbildet, kann dies diesen wichtigen Schritt hinauszögern oder gar verhindern.
Könnte ein solcher digitaler „Wiederauftritt“ denn nicht auch Trost spenden?
Müller: Das mag auf den ersten Blick so erscheinen. Doch das Bild eines blühenden, lebendigen Menschen kann den endgültigen Abschied erschweren. Der natürliche Prozess des Begreifens, dass jemand nicht mehr da ist, wird unterbrochen. Ich fürchte, dass sich Menschen dadurch in einer Illusion verfangen und ihre Trauer künstlich verlängert wird.
Was sagen Sie Menschen, die überlegen, eine solche Technologie zu nutzen?
Müller: Ich würde sie ermutigen, genau zu hinterfragen, was sie sich davon erhoffen. Brauchen sie wirklich eine digitale Simulation, um sich zu erinnern? Oder könnte es hilfreicher sein, den Verstorbenen auf eine Weise in ihr Leben zu integrieren, die ihnen nicht vorgaukelt, er sei noch „da“? Meiner Erfahrung nach ist es wichtiger, eigene Rituale zu entwickeln, als auf künstliche Wiederbelebungen zu setzen.
Inwiefern widerspricht oder ergänzt diese Technologie christliche Vorstellungen von Tod und Ewigkeit?
Müller: Aus christlicher Sicht ist der Tod ein Übergang in eine andere, unsichtbare Daseinsform. Die Seele des Verstorbenen bleibt in der göttlichen Dimension aufgehoben – sie wird nicht durch eine Künstliche Intelligenz simuliert. Der christliche Glaube bietet Trost durch die Hoffnung auf ein Wiedersehen in einer anderen, ewigen Wirklichkeit. Eine digitale Kopie kann diese Hoffnung nicht ersetzen.
Pädogogin, Therapeutin, Beraterin, Referentin und Autorin hat wesentlich zum Ausbau der Strukturen der Hospiz- und Palliativarbeit in Deutschland beigetragen.