Liebesbeziehung zu Gott entwickeln

Das Interview führte Wolfgang Ölz.

Was dürfen sich die Besucher:innen von Ihrem Vortrag bei der Trauerwoche erwarten?
Antje Sabine Naegeli: Mir ist wichtig, dass ich den Zuhörer:innen nicht als Expertin in Sachen Tod und Trauer entgegentrete. Das ist ja viel zu sehr von oben nach unten. Ich kann zwar schon aus einer reichen Erfahrung schöpfen, aber jeder Trauerprozess ist individuell. Mit dem was ich zu sagen versuche, möchte ich einfach ein Stück weit Wegbegleiterin sein für ein kleines Wegstück und versuchen, in einen inneren Dialog zu kommen.

Demnach ist Ihnen wichtig, eben nicht von oben herab zu agieren, sondern einen, wenn man so will, geschwisterlichen Austausch zu verwirklichen. Vielleicht möchten Sie Ihre persönliche Betroffenheit zum Thema Tod und Trauer mit uns teilen?
Naegeli: Ich tue mir da ein bisschen schwer, weil ich mich nicht selber in den Vordergrund stellen möchte. Im Vortrag werde ich vielleicht einen, maximal zwei Sätze zu mir selber sagen, damit die Zuhörer:innen merken, ich spreche nicht vom Schreibtisch her, sondern wirklich aus eigener Betroffenheit, aus eigener Anteilnahme.

Wie verhalten Sie sich, wenn Sie sich in der Begleitung eines Trauernden oder Sterbenden selbst ohnmächtig fühlen?
Naegeli: Die Ohnmacht kommt in der Begleitung von Trauernden natürlich immer wieder vor. Mir ist sehr wichtig, das nicht einfach hinwegzureden, sondern meine Ohnmacht zu verbalisieren, ohne dass ich innerlich vom anderen ganz weggehe, sondern dass ich versuche, diese Ohnmacht mit ihm auszuhalten.

Vom Pastoraltheologen Professor DDr. Paul Zulehner gibt es eine Buchtitel aus Jesus Sirach 22,6 der lautet: „Wie Musik zur Trauer ist eine Rede zur falschen Zeit.“ Das heißt, es geht oft um ein Schweigen, aber ein Präsent-sein im Schweigen, das vor der Trauer nicht zurückschreckt.
Naegeli: Ja, es geht darum, dass man innerlich dableibt, und dass es je nach Situation auch einmal eine Berührung gibt. Aber auch das verträgt nicht jede und jeder. Das muss man wirklich ertasten. Vielleicht kann man das auch erfragen: Mögen Sie, dass ich meine Hand auf ihren Arm lege? Da muss man sehr behutsam sein, weil es Menschen gibt, die die Nähe einfach nicht ertragen.

Sie sind Logotherapeutin und Existenzanalytikerin. Interessant ist natürlich auch die Frage, wann es wirklich passend ist, dass man nicht nur vom Sinn und von der Existenz her spricht, sondern auch von der Hoffnung der Christ:innen?
Naegeli: Genau an diesem Punkt kann ich Ihnen auf keinen Fall eine Standardantwort geben. Ich glaube, man muss das mit ganz viel Fingerspitzengefühl von innen her spüren, jetzt könnte ich etwas von meiner Hoffnung sagen, aber man muss den Zeitpunkt abwarten. Zur falschen Zeit kann da etwas billig wirken, kann als eine Vertröstung wirken. Das geht natürlich überhaupt nicht. Auf der anderen Seite glaube ich, dass wir als Christ:innen den anderen diese Hoffnung auch schuldig sind, aber das geht nicht jederzeit. Wenn ich Ihnen eine ganz fromme Antwort geben darf: Da müssen wir uns durch den Heiligen Geist führen lassen.

Kann die Trauer uns in die Tiefe führen?
Naegeli: Selbstverständlich kann es so sein, dass die Trauer uns in die Tiefe führt. Aber wir müssen uns hüten, dass wir trauernde Menschen belehren wollen, dass wir ihnen quasi eine Sinndeutung geben wollen. Das wäre arrogant und vermessen. Diese Vertiefung durch Trauer kann zweifellos passieren, aber nicht bei jedem. Es gibt Menschen, die problemlos oberflächlich weiterleben und das gar nicht an sich ranlassen. Ob es eine Vertiefung gibt, kann letztlich nur der Betroffene selber sagen.

In welchen Worten kann der „Atem Gottes wohnen“, wie Sie sich in einem Gedicht ausdrücken?
Naegeli: Das fühlt sich nicht für jeden Menschen gleich an. Ich kann Ihnen eine persönliche Antwort geben. Wenn ich von bestimmten Worten tiefe Betroffenheit fühle, wenn ich nur in meinem Kopf verstehe „Gott liebt mich“, aber es nicht mein Herz berührt, bringt das letztlich nicht allzu viel. Worte sind geisterfüllt, wenn sie mich in guter Weise betroffen machen, wenn sie vielleicht eine innere Wärme in mir auslösen, wenn sie ein Getröstetsein auslösen, sodass ich sagen kann: Ja, Gott, kann Worte gebrauchen in denen sein Geist wohnt. Letztlich geht es darum, dass wir eine persönliche Beziehung zu Gott oder, wenn sie wollen, zu Jesus entwickeln.

Warum ist „dieses ganze Kirchenwissen“, wie es in einem Ihrer Texte heißt, negativ besetzt?
Naegeli: Das heißt nicht, dass ich die ganze Dogmatik in Frage stelle. Ich glaube, das Evangelium, das in der Kirche verkündet wird, ist durch und durch wahr. Wenn ich aber in der Kirche nur Konsument:in bin, das bringt mich nicht weiter. Das heilt nichts in mir. Da bleibe ich allein. Der Kopf darf sein, aber es muss tiefer gehen und mich als ganzen Menschen erreichen.

Wie stellen Sie sich das Jenseits vor?
Naegeli: Ich habe da keine bestimmten Bilder, und die Heilige Schrift ist da ja auch sehr zurückhaltend, wohl weil wir Menschen hier gar nicht in der Lage sind, uns das vorzustellen, weil es uns übersteigt. Wichtig ist nicht wie es in der „Drübenwelt“ ist, sondern wer dort ist. Darauf kommt es doch an: Auf die unzerstörbare Liebesgemeinschaft mit Gott und mit denen die uns voraus gegangen sind. Schlussendlich geht es darum: Da ist ein Zuhause und da werde ich erwartet.

Dr. Antje Sabine Naegeli (Jg. 1948) ist evangelische Theologin und arbeitet seit 1981 als Psychotherapeutin und Trauerbegleiterin in St. Gallen.

Aus dem Vorarlberger Kirchenblatt Nr. 40 vom 26. Oktober 2023