
Der Ursprung ihres Engagements liegt in ihrer eigenen Familiengeschichte. „Meine Südtiroler Großmutter erzählte mir von Gewalterfahrungen, auch Tanten und Cousinen im Vinschgau sprachen darüber. Da war für mich früh klar: Gewalt gegen Frauen darf nicht einfach zum Leben dazugehören.“ Als junge Ärztin habe sie schnell erkannt, wie sehr das Thema in Krankenhäusern verdrängt wurde. „Niemand wollte darüber reden. Patriarchale Strukturen und Schweigen – das gehört zusammen.“
Als 1992 Berichte über Massenvergewaltigungen im Bosnienkrieg öffentlich wurden, sei für sie klar gewesen, dass sie handeln müsse. „Ich habe gespürt: Das betrifft mich. Ich wollte mich einmischen.“ Nachdem große Hilfsorganisationen ihr keine Mitarbeit ermöglichten, fuhr sie selbst nach Bosnien. „Im Dezember 1992 kam ich nach Zenica, lernte dort 20 bosnische Fachfrauen kennen, und wir beschlossen, ein Therapiezentrum für vergewaltigte Frauen aufzubauen.“
Aus einem ehemaligen Kindergarten wurde ein Schutzhaus, in dem 25 Frauen mit ihren Kindern Zuflucht fanden. „Wir eröffneten am 4. April 1993. Schon bald wussten Frauen in den Flüchtlingslagern davon, und das Haus füllte sich rasch.“ Unterstützung kam auch von religiöser Seite: „Der oberste Imam Bosniens erließ eine Fatwa, dass vergewaltigte Frauen keine Schuld tragen. Das war entscheidend – ohne diese Anerkennung wären viele nicht gekommen.“
Die Arbeit weitete sich bald auf andere Länder aus. Nach Bosnien folgten Zentren im Kosovo, in Liberia und Afghanistan. „In Afghanistan haben wir ab 2002 Fälle dokumentiert, Frauen juristisch begleitet und Polizei wie Richter geschult. Frauen waren wegen sogenannter moralischer Verbrechen inhaftiert – nur, weil sie weggelaufen oder vergewaltigt worden waren. Wir haben jeden Fall geprüft und auf ein Gesetz gegen Gewalt an Frauen hingearbeitet.“
Mit dem Machtantritt der Taliban 2021 wurde die Arbeit abrupt gestoppt. „Unsere Kolleginnen waren in Lebensgefahr. Zwischen September 2021 und März 2022 konnten wir 90 Frauen mit ihren Familien evakuieren – rund 400 Menschen. Viele arbeiten heute in Deutschland wieder in ihrem Beruf und beraten geflüchtete Frauen. Ihr Mut, weiterzumachen, beeindruckt mich zutiefst.“
Heute unterstützt Medica Mondiale Partnerorganisationen weltweit, vor allem in Afrika und im Nahen Osten. „Wir schicken keine deutschen Expertinnen, sondern bilden Frauen vor Ort aus – Psychologinnen, Ärztinnen, Sozialarbeiterinnen. Das Wissen bleibt dort.“ Besonders erfolgreich sei die Zusammenarbeit im Nordirak, wo Medica Mondiale seit 2016 das staatliche Gesundheitspersonal im Umgang mit traumatisierten Frauen schult.
Auf die Frage, ob sich das politische Bewusstsein verändert habe, antwortet Hauser: „Ja, das Thema sexualisierte Kriegsgewalt wird heute ernster genommen. Niemand nennt es mehr Kollateralschaden. Aber Frauenrechte sind nichts Selbstverständliches – sie sind immer bedroht. Wir müssen wachsam bleiben.“
Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit gilt inzwischen auch dem transgenerationalen Trauma. „Der Schmerz geht durch die Familien, bis jemand bereit ist, ihn zu fühlen und zu bearbeiten“, zitiert sie eine Kollegin. „In deutschen, österreichischen und südtiroler Familien wurde zu wenig über Schuld und Leid gesprochen. Was unausgesprochen bleibt, wird weitergegeben.“ Auch viele psychische Probleme heutiger Generationen seien Spuren dieser verdrängten Geschichte.
Was jede und jeder beitragen könne? „Hinschauen, sich einmischen. Wenn ich in der Straßenbahn Respektlosigkeit sehe, spreche ich es an. Man muss nicht in den Krieg ziehen, um etwas zu bewirken. Zivilcourage beginnt im Alltag.“
Trotz der Schwere des Themas bleibt ihre Haltung hoffnungsvoll. „Ich habe so viel gelernt von Frauen, die alles verloren und doch wieder zu sich gefunden haben. Diese Kraft ist ansteckend.“
Auf die Frage, wie sie selbst all das bewältigt habe, lächelt sie: „Ich hatte das Glück, einen Mann zu finden, der meine Arbeit mitgetragen hat. Er hat seine Karriere aufgegeben, unseren Sohn großgezogen und war mein politisches Gegenüber. Nur so konnte ich Medica Mondiale aufbauen – mit Gleichgewicht statt Gegeneinander.“
Der Applaus im Saal will kein Ende nehmen. Ein Vormittag, der zeigt: Würde und Solidarität sind keine großen Worte – sie beginnen im Zuhören, im Hinschauen und im Handeln.