
Elisabeth Lechner, die an der Universität Wien zur Körper- und Medienkultur forscht, sprach über das postdigitale Heldentum – über jene Figuren, die im Netz zu Vorbildern, Projektionsflächen oder Provokationen werden. „Heldinnen und Helden“, sagte sie, „sind keine geborenen Wesen, sondern Produkte gesellschaftlicher Zuschreibung – und im digitalen Raum zunehmend Produkte von Plattformlogiken.“
Die Wissenschaftlerin führte ihr Publikum auf eine Reise von den antiken Helden der Sagen bis zu den Influencer:innen von heute.
„Der Duden“, erklärte sie mit einem Schmunzeln, „definiert den Helden immer noch als ‚durch große Taten im Krieg ausgezeichneten Mann‘. Kein Wunder also, dass die Heldinnen in der Sprache meist als fürsorglich und aufopfernd erscheinen – selten als tapfer.“ Und die Forscherin zeigte auf, wie tief diese Muster sitzen. In der Popkultur seien Heldinnen noch immer „sexualisiert oder unsichtbar“. „Superheldinnen tragen Minikostüme und riesige Ausschnitte, männliche Helden tragen Pathos – und manchmal nur den Soundtrack von Hans Zimmer“, pointierte sie.
Im Zentrum ihres Vortrags stand der Zusammenhang von Sichtbarkeit, Kapitalismus und Macht. „Wir leben in Ökonomien der Aufmerksamkeit. Wer gesehen wird, existiert – und wer existiert, kann verkauft werden.“
Soziale Medien hätten aus der ehemals politischen Forderung nach „Ermächtigung durch Sichtbarkeit“ ein milliardenschweres Geschäft gemacht. „Doch es sind immer dieselben Körper, die sichtbar werden: jung, weiß, dünn, hübsch. Der Rest verschwindet im Algorithmus.“
Lechner sprach in diesem Zusammenhang auch von Amazon, das aufgrund von Datenspuren Schwangerschaften erkennt, bevor Frauen selbst davon wissen. „Wir glauben, wir posten, um uns auszudrücken – in Wahrheit liefern wir Rohmaterial für Werbealgorithmen.“ Ihr nüchternes Fazit: „Sichtbarkeit ist keine feministische Errungenschaft, solange sie ökonomisch verwertet wird.“
Doch der Vormittag blieb nicht bei dieser Diagnose stehen. Elisabeth Lechner brachte bewegende Beispiele von Menschen, die Sichtbarkeit als Akt des Widerstands nutzten. Etwa die Französin Gisèle Péricoud, die nach jahrelangem Missbrauch durch ihren Mann entschied, bei der Gerichtsverhandlung nicht anonym zu bleiben.
„Sie sagte: Ich werde mich nicht schämen. Damit wurde sie zur Heldin – nicht als Opfer, sondern als Zeugin ihrer eigenen Stärke.“ Scham, so Lechner, sei „eine zutiefst körperliche Erfahrung, die uns unsichtbar machen will“. Doch wer sie erzählt, entzieht ihr die Macht. „Heldinnen sind nicht die Unverwundbaren, sondern jene, die sich trotz Verletzlichkeit zeigen.“
Ihr zweites Beispiel: der US-Podcaster Charlie Kirk, der mit Hassparolen Follower sammelte und nach seinem Tod von seinen Anhänger:innen zum Märtyrer verklärt wurde. „Er hat Hass gesät – und wurde als Held gefeiert“, sagte Lechner. „Das zeigt: Heldentum ist immer eine Zuschreibung. Auch Hass braucht seine Helden.“ Mit einem Zitat der Kulturtheoretikerin Sarah Ahmed verdichtete sie die Dynamik dieser Polarisierung: „Because we love, we hate – and this hate brings us together.“
Zum Abschluss stellte Lechner die zentrale Frage:„Brauchen wir heute überhaupt noch Helden?“
Ihre ganz persönliche Antwort lautet: „Wir brauchen keine makellosen Heldinnen auf Sockeln. Wir brauchen Menschen mit Bodenhaftung – verletzliche, zweifelnde, dialogfähige Menschen. Und wir brauchen Räume wie das Montagsforum, in denen wir Ambivalenz aushalten können.“
Ein Vormittag, der zeigte: In Zeiten von Algorithmen, Hasswellen und Selbstvermarktung besteht wahre Stärke vielleicht genau darin, nicht perfekt zu sein – sondern menschlich.