
„Die kulturelle Vielfalt ist längst Realität. Die Frage ist nicht, ob wir sie wollen, sondern wie wir mit ihr umgehen“, sagte Khorchide gleich zu Beginn – und sprach damit einen Nerv der Gegenwart an. In seinem Vortrag plädierte er für ein tieferes Verstehen des Anderen, aber auch für eine klare Auseinandersetzung mit dem Eigenen.
Was der Vortrag eindrücklich zeigte: Interkulturelle Verständigung ist mehr als ein Austausch von Höflichkeiten – sie verlangt Mut. „Die Haltung der Pluralität ist letztlich eine Haltung der Freiheit“, betonte Khorchide. „Denn der Mensch kann nur frei sein, wenn er auch die Freiheit des anderen bejaht.“
Vielfalt sei eine Herausforderung vor allem für jene, deren eigene Identität unsicher sei. Khorchide führte aus: „Wer sich seiner selbst nicht sicher ist, empfindet Differenz als Bedrohung.“ Wer sich aber selbst kennt und annimmt, könne dem Anderen mit Neugier statt mit Abwehr begegnen.
Khorchide trat entschieden dafür ein, Religionen nicht nur als Konfliktfaktor, sondern auch als Ressource für Verständigung zu sehen. Allerdings sei dies nur möglich, wenn sich Religionen von Absolutheitsansprüchen verabschieden. „Niemand hat Gott in der Tasche“, sagte er. „Der Glaube an die eine Wahrheit – Gott – darf nicht in einen Anspruch auf alleinige Wahrheit münden.“
Er warb für eine „humanistische Lesart“ der Religionen, in deren Zentrum der Mensch stehe. „Unser gemeinsamer Hauptbahnhof sollte nicht Gott oder eine Religion sein, sondern der Mensch“, sagte Khorchide. In einem anschaulichen Vergleich schilderte er: „Stellen Sie sich vor, wir streiten darüber, welcher Bus zum Hauptbahnhof fährt – dabei ist es doch entscheidend, dass wir ankommen, nicht mit welchem Bus.“
Immer wieder sprach der Religionspädagoge über die Bedeutung persönlicher Erfahrungen für den Abbau von Vorurteilen. „Begegnung ist der Schlüssel“, so seine Überzeugung. „Wer Muslimen noch nie begegnet ist, hat eher Angst. Wo Begegnung stattfindet, löst sich die Großerzählung vom ‚bedrohlichen Anderen‘ auf.“
Er erzählte bewegende Anekdoten, etwa von jungen Gefangenen, die im Gefängnis durch einfache Gesten – etwa das Angebot eines Gebetsteppichs oder ein Essen nach Sonnenuntergang im Ramadan – aus ihrer Radikalisierung geholt wurden. „Diese kleinen Zeichen von Anerkennung und Respekt verändern mehr als jedes theoretische Argument“, sagte er.
„Wirkliche Verständigung bedeutet, einander auch kritisch zu begegnen – aber im Respekt“, betonte der Professor. Es gehe nicht darum, das Gegenüber mit Samthandschuhen zu behandeln, sondern darum, echte Fragen zu stellen. Auch Muslime, so Khorchide, müssten sich mit kritischen Fragen ihrer Gesellschaft auseinandersetzen: „Nur wenn wir uns gegenseitig herausfordern, können wir gemeinsam wachsen.“
Am Ende schlug Khorchide den Bogen zur europäischen Identität. Europa sei nicht nur jüdisch-christlich geprägt, sondern auch islamisch, betonte er und erinnerte an die Rolle des Islam in der Weitergabe des antiken Erbes an Europa. „Wir leben in einem Europa der vielen Wurzeln – unsere gemeinsame Zukunft liegt in der Anerkennung dieser Vielfalt“, sagte er.
Seine abschließende Botschaft war ein engagiertes Statement für eine Kultur der Offenheit, des Dialogs und der Mitmenschlichkeit. „Die Wahrheit gehört niemandem allein. Aber Menschlichkeit – die können wir gemeinsam leben.“
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