Pfr. Vasyl Demchuk spricht im KirchenBlatt-Interview zur Lage der Ukraine, zu Eigenheiten seiner Kirche und der Dringlichkeit der Hilfe.

Wolfgang Ölz

Was wissen Sie über die Situation der Ukraine zurzeit? Wie unterscheiden sich die Westukraine mit Lemberg, wo sie selbst geboren und aufgewachsen sind und die Ostukraine und andere Landesteile?

Pfarrer Vasyl Demchuk: Der Krieg  in der Ukraine geht, gerade durch die Winteroffensive der russischen Armee, mit unverminderter Härte und Brutalität weiter. Die momentane Situation in der Ukraine ist insgesamt sehr schlimm, da durch den Krieg viele wichtige Infrastrukturen zerstört wurden.
Der westliche Teil hat eine starke Verbindung mit dem Westen Europas, wohingegen der östliche Teil mehr von Russland beeinflusst wurde. Außerdem war der Westen der Ukraine einmal Teil der K.-u.k.-Monarchie und der Osten der Ukraine war einmal Teil Russlands. Dementsprechend ist Ukrainisch die offizielle Sprache, Russisch ist jedoch, besonders in den östlichen Gebieten, auch weit verbreitet. Ein weiterer Aspekt, in dem sich der Westen vom Osten unterscheidet, ist in der Religion. Der Westen der Ukraine ist überwiegend katholisch, der Osten überwiegend orthodox. Auch die ukrainisch-griechisch-katholische Kirche ist im Westen stärker verbreitet, während die ukrainisch-orthodoxe Kirche im Osten stärker vertreten ist.

Was hat die ukrainisch-griechisch-katholische Kirche für eine Geschichte?

Demchuk: Die ukrainisch-griechisch-katholische Kirche (UGKK) hat eine lange Geschichte in der Ukraine. Sie ist die größte katholische Ostkirche eigenen Rechtes (Ecclesia sui Juris). Als die Sowjets 1944 die Ukraine eroberten, versuchten sie die UGKK mit der von Rom getrennten Orthodoxen Kirche zwangszufusionieren.  Dies führte dazu, dass die griechisch-katholische Kirche in den Untergrund ging und Tausende von Priestern, Mönchen und Nonnen sowie Hundertausende von Gläubigen verfolgt und eingesperrt wurden. Alle Bischöfe dieser  unserer Kirche wurden inhaftiert. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Unabhängigkeit der Ukraine im Jahr 1991 wurde die ukrainisch-griechisch-katholische Kirche wiederbelebt und konnte sich wieder entfalten. Die Kirche hat heute etwa vier Millionen Gläubige in der Ukraine und ist eine wichtige Institution im Land.

Was sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede der katholischen Weltkirche, wie sie in Österreich beispielsweise besteht, und der ukrainisch-griechisch-katholischen Kirche?

Demchuk: Gemeinsamkeiten sind: Beide Kirchen erkennen den Papst als Oberhaupt der katholischen Kirche an. Beide Kirchen feiern die sieben Sakramente (Taufe, Firmung, Eucharistie, Buße, Krankensalbung, Weihe und Ehe). Beide Kirchen folgen der Lehre der Dreifaltigkeit und glauben an die Inkarnation und das Leben, den Tod und die Auferstehung Jesu Christi.
Die Unterschiede sind:  Die ukrainisch-griechisch-katholische Kirche hat ihre eigene liturgische Tradition, die auf der byzantinischen Tradition basiert, während die Katholische Kirche in Österreich hauptsächlich die lateinische Tradition verwendet. Die ukrainisch-griechisch-katholische Kirche hat ihre eigene Hierarchie und Verwaltungsstruktur (Ordinarius für die Ostkirchen in Österreich ist Kardinal Christoph Schönborn), während die Katholische Kirche in Österreich Teil der lateinischen Kirchenhierarchie ist. Die ukrainisch-griechisch-katholische Kirche verwendet in der Liturgie häufig die ukrainische Sprache, während in der Katholischen Kirche in Österreich natürlich Deutsch verwendet wird. Ein wichtiger Unterschied ist auch, dass in der ukrainisch-griechisch-katholischen Kirche verheiratete Männer Priester werden können, während in der katholischen Kirche der Zölibat für Priester vorgeschrieben ist.

Wie kann den Menschen in der Ukraine und den Leuten auf der Flucht geholfen werden?

Demchuk: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie den Menschen in der Ukraine und den Flüchtlingen geholfen werden kann. Erstens: Es gibt viele humanitäre Organisationen, die Hilfe für die Menschen in der Ukraine und für Flüchtlinge leisten, wie zum Beispiel das  Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und andere. Zweitens: Freiwillige können etwa bei der Verteilung von Hilfsgütern mitarbeiten, Unterkünfte für Flüchtlinge organisieren oder bei der psychologischen Betreuung unterstützen. Es ist jedoch wichtig, sich vorab bei einer Organisation oder einer lokalen Gruppe zu informieren, um die Hilfe effektiv und sicher zu gestalten. Drittens: Politische Unterstützung ist auch sehr wichtig, wie das Einfordern von humanitären Maßnahmen von Regierungen und internationalen Organisationen. Viertens: Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Bewusstsein für die Situation in der Ukraine und für die Flüchtlingskrise zu schaffen. Bewusstseinsbildung kann dazu beitragen, das Verständnis und die Empathie für die Betroffenen zu erhöhen und den politischen Druck auf Regierungen und internationale Organisationen zu erhöhen. Fünftes: Persönlich empfehle ich Spenden für den Malteser Orden oder die Kolping Familie, wo ich selbst aktiv bin und weiß, dass die Spenden direkt vor Ort ankommen.

Wie schätzen Sie persönlich die Situation des ukrainischen Volkes ein?

Demchuk: Ich treffe immer Menschen, die so viele Probleme haben, auch hier in Vorarlberg. Ich will niemandem die Tür verschließen. Wir können uns hier (wo Ruhe ist, und keine Sirenen heulen) sehr schwer in die Lage in den bombardierten Städten der Ukraine versetzen. Ukrainer, die zu mir kommen, kommen mit nichts an, sie flohen vor den russischen Bomben, verließen ihre Häuser, ihr Land, Freunde, ihre Geliebten und ließen sogar ihre Großeltern zurück, die nicht fliehen konnten und dortblieben, um zu sterben. Viele Ukrainer wurden in abgelegene Gebiete Russlands deportiert. Ich glaube, dass sie nie wieder zurückkehren können. Sie werden dort sterben, wie so viele Heilige unserer griechisch-katholischen Kirche, die im Urchristentum in die Katakomben gezwungen wurden, und den Glauben heimlich bekannten. Leider lebt Europa immer noch in völliger Unkenntnis der Tatsachen. Es ist zu einfach und bequem, im Dunkeln zu bleiben oder die Realität anderer zu ignorieren. Die Ukraine blutet mit ihren Kindern, um Europa zu verteidigen. Die Liebe  in Gott siegt am Ende, nicht der Hass, das ist meine Überzeugung. Es ist ein ständiger Kampf,  aber das Gute wird siegen. Deshalb lade ich alle ein, für den Frieden zu beten und sich für den Frieden einzusetzen mit Fakten und Engagement.
Mein Dank gilt vor allem Bischof Benno Elbs, der für meine Gläubigen und mich wie ein geistlicher Vater ist. Auch Kardinal Schönborn und Generalvikar Kolosa, die für die ukrainisch-griechisch-katholische Kirche in Österreich zuständig sind, gilt mein besonderer Dank, dass sie mir diesen Dienst für Vorarlberg anvertraut haben.

Veranstaltungstipp: So 26.2. | 10.30 Uhr
Sacré Coeur, Riedenburg, Bregenz
Ukrainisch-katholischer Gottesdienst
Mit Bischof Stephan Sus aus Kiew, Bischof Benno Elbs und  Pfarrer Vasyl Demchuk.

Pfarrer Vasyl Demchuck Vasyl Demchuk
Ukrainsch-griechisch-katholischer Pfarrer für Vorarlberg
Die Solidarität mit der Ukraine darf nicht abbrechen. Pfarrer Vasyl Demchuk im Dienst an der ukrainisch-griechisch-katholischen Gemeinde in Vorarlberg.


Pfarrer Vasyl Demchuk wurde in der Ukraine, in Lemberg, geboren, einer „wunderschönen Stadt mit ihrem großen künstlerischen, kulturellen und religiösen Erbe“. Er stammt aus einer Familie von Ärzten; nach einem Theologie- und Jurastudium in der Ukraine hat er sein Studium in Brixen fortgesetzt. Nach seinem Studium an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen studierte Pfarrer Vasyl Demchuk in Venedig und danach in Rom an der Päpstlichen Lateranuniversität. Er lebt derzeit in Südtirol, wo er unterrichtet und seine Hilfe für seine Heimat Ukraine anbietet und seinen geistlichen Dienst im Dom in Bozen verrichtet.