
Daniela Egger nahm die Zuhörerinnen mit auf eine Reise in die archaische Struktur der „Heldenreise“, die – wie sie betonte – im Alltag pflegender Angehöriger in modernem Gewand wiederkehrt. Die Diagnose Demenz bedeutet für Familien eine Erschütterung der bisherigen Normalität. Gewohnte Rollen lösen sich auf: Aus Tochter oder Partnerin wird eine Pflegende, aus Mutter oder Vater ein Mensch, der zunehmend Unterstützung braucht.
Wie in Joseph Campbells Modell wird dieser Ruf zunächst oft abgelehnt: Der amerikanische Professor und Publizist erläutert in seinen Publikationen, dass Angst, Überforderung und Unglaube am Anfang des Prozesses stehen. Doch die Realität der Erkrankung lässt den Ruf nicht verstummen, bis die Aufgabe angenommen wird – der Schritt über die erste Schwelle. Diese Schwelle führt in eine Welt, die von Unsicherheit und einem neuen Maß an Verantwortung geprägt ist.
Kein Held geht allein. Die Leiterin der Aktion Demenz verwies darauf, wie im modernen Alltag Ärztinnen, Psychologinnen, Pflegeberater, Selbsthilfegruppen und andere Angehörige zu wichtigen Mentorinnen werden, die Erfahrungen teilen und stärken. Sie schaffen Orientierung in einer Situation, die oft von Erschöpfung, finanziellen Belastungen und dem Schwinden sozialer Kontakte begleitet ist.
Pflegende begegnen dabei ihren inneren Schatten – Angst, Wut, Schuld und Hilflosigkeit. Der Prozess zwingt dazu, Erwartungen loszulassen und sich einer Wirklichkeit zu stellen, die nicht mehr kontrollierbar ist. Besonders eindrücklich beschrieb Daniela Egger den Moment, in dem Angehörige erkennen, dass der geliebte Mensch „so wie er war“ nicht zurückkehren wird. Es ist ein symbolischer Tod – ein Wendepunkt der Reise, der zugleich Befreiung und Schmerz bedeutet.
Die Autorin und Fachfrau bettete die persönliche Heldenreise auch in gesellschaftliche Entwicklungen ein. 80 Prozent aller demenziell erkrankten Menschen leben zu Hause; rund 30.000 bis 40.000 Angehörige in Vorarlberg tragen diese Aufgabe. Studien zeigen eine hohe psychische Belastung: 43 Prozent der Befragten berichten über starke Stresssymptome.
Das Gesundheitssystem stoße schon heute an Grenzen. Selbst ein Ausfall von nur fünf Prozent der Angehörigen würde einen zusätzlichen Bedarf von 25 bis 30 Prozent an Pflegeplätzen verursachen – Plätze, die es aufgrund von Personalmangel oft nicht gibt. Egger betonte: „Die Übernahme einer Pflegeaufgabe ist ein echtes Wagnis.“ Fachleute raten davon ab, schwierige familiäre Beziehungen ohne vorherige Klärung in die Pflege zu übernehmen. Gelingen kann die häusliche Pflege dann, wenn die Beziehung tragfähig ist – und wenn Unterstützung von Beginn an angenommen wird.
Einen zentralen Platz im Vortrag nahm die Geschichte von einer evangelischen Krankenhausseelsorgerin in Deutschland ein, deren Art der Begleitung Menschen umfassend stabilisiere: Sie fragt nach, hört zu, erkennt Grenzen und besteht darauf, dass diese eingehalten werden. Ebenso schafft die Krankenseelsorgerin Räume, in denen Schmerz, Erschöpfung und Angst ausgesprochen werden dürfen. Das reduziere nachweislich Traumafolgen und Krankenstände.
Ihre Haltung, so Egger, sei beispielgebend: Zuhören, wahrnehmen, akzeptieren – drei scheinbar einfache, in Wahrheit tief wirksame Handlungen. Gerade Menschen mit Demenz brauchen weniger Lösungen als bedingungslose Empathie, Präsenz und Geduld.
Wie in Campbells Modell mündet auch die Pflege in eine Rückkehr – oft nach Jahren. Sie ist schmerzhaft, besonders nach dem Tod des Angehörigen, doch birgt sie ein „Elixier“: Ein tieferes Verständnis von Menschlichkeit, Verbundenheit und Mitgefühl. Viele ehemalige Pflegende engagieren sich später in Projekten, werden selbst Mentorinnen und geben ihre Erfahrungen weiter.
Die Pflege eines Menschen mit Demenz ist eine stille Heldengeschichte – ohne Applaus, aber mit großer symbolischer Kraft. Sie führt durch Angst und Verlust, aber auch zu einer Form von Liebe, die frei ist von Bedingungen. In dieser Wandlung, so Daniela Egger, liege der Kern der Heldenreise unserer Zeit.