Viele Engagierte erleben momentan eine Kirchenkrise und stellen sich die Frage nach dem Sinn ihres Engagements. Ein Blick in die jüngere Kirchengeschichte von Vorarlberg führt zu einem lohnenden Thema für diese Fastenzeit.

Kirche in Auflösung

Im Jänner 2023 wurden die Zahlen der Kirchenaustritte von 2022 veröffentlicht. Die Steigerung gegenüber dem Vorjahr liegt in Vorarlberg bei über 30 %. Löst sich unsere Kirche gerade auf? Ja, befindet im Online-Magazin „futur2“ Dr. Valentin Dessoy aus einer fundierten systemtheoretischen Perspektive. Das Ende der jetzigen Form der beiden großen Kirchen kommt unwiderruflich, weil sich die Gesellschaft epochal verändert hat und die Kirchen den Anschluss immer mehr verlieren. Solche Umbrüche laufen oft chaotisch ab und können nur in Teilbereichen gesteuert werden. Eine Orientierung, die Dessoy für den Übergang in eine "nächste Kirche" in einer nächsten Gesellschaft anbietet, ist die Rückbesinnung auf das Sterben und Auferstehen, das den Ursprung des Christentums ausmacht.

Dazu passt der Referent aus Vorarlberg, der zu einem von Dessoy u. a. organisierten Strategiekongress mit dem Titel „Auflösung. Kirche reformieren, unterbrechen, aufhören?“ eingeladen worden war: Dr. Karl Bitschnau, der Leiter der Hospiz Vorarlberg der Caritas. Er sprach dort als Experte für den Bereich „Wie Sterben geht – Exnovation“. Seine Thesen können Sie in der Dokumentation nachlesen.

Die innerkirchlichen Spannungen in diesem Übergang (z. B. zwischen dem Vatikan und dem synodalen Weg in Deutschland, aber auch innerhalb der Kurie oder innerhalb der Bischöfe von Deutschland) sind beträchtlich und zu erwarten, wie Prof. Rainer Bucher auf feinschwarz.net in seinem Artikel „Sich treu bleiben“ darstellt.

Vielleicht korrespondiert auch bei Ihnen diese fundierten Analysen mit ihren eigenen Auflösungserfahrungen in der Pfarre und in anderen kirchlichen Feldern. Gespräche mit Kolleg:innen können diese Sicht bestärken und die eigene Energie für die konkrete Arbeit in der Kirche zunehmend blockieren: Welchen Sinn hat das alles noch?

Strategie im Übergang

Es gibt ein Strategiepapier unserer Diözese („Orientierungen für die Wege der Pfarrgemeinde“ B1.1.), das Ähnliches schon 2009 festgestellt hat: Wir erleben einen epochalen gesellschaftlichen Wandel, der natürlich auch den Bereich des Religiösen verändert. Unserer Generation hat die Aufgabe Kirche IN diesem Übergang zu gestalten. Und das geht. Den Übergang selber, in dem sich auch die Kirche ändern wird, kann weder der Papst, noch die Diözese, noch eine Pfarre verhindern. Aber wir haben eine gewisse Freiheit, zu entscheiden, wie wir IN diesem Übergang Kirche gestalten.

Die Orientierungen empfehlen uns, zum einen die gesellschaftlichen Veränderungen, in denen auch viel kirchlich Gewohntes stirbt, zu akzeptieren und zum anderen besonders achtsam zu sein, wo sich in diesem Übergang das Leben zeigt. Dazu passt das Anliegen des Stärkenkompass der Diözese Feldkirch, sich darauf zu fokussieren, was die Menschen heute bei uns erwarten und wo unsere Stärken liegen.

Die spirituelle Herausforderung liegt in der Frage, ob ich der christlichen Botschaft glauben kann, dass der Gott Jesu Christi auch heute noch neues Leben schenkt, dass „Reich Gottes“ auch heute in unserem Land wächst, dass die Heilsgeschichte in Vorarlberg weiter geht. Manchen fällt dieses Vertrauen im Fokus auf das wachsende „Reich Gottes“ leichter, weil es nicht mit einer konkreten Kirche gleichzusetzen ist. „Reich Gottes“ kann wachsen, auch wenn bestimmte Formen von Kirche sich auflösen. Dieser neue Fokus kann blockiertn Energien wieder lösen und in der Sinnfrage einen neuen Horizont anbieten.

Die Fastenzeit nutzen

Papst Johannes Paul II stellte am Beginn des neuen Jahrtausends fest: „Der Sohn Gottes (…) vollbringt auch heute sein Werk. Wir brauchen aufmerksame Augen, um es zu sehen, und vor allem ein großes Herz, um selber seine Werkzeuge zu werden.“ (Novo Millennio Ineunte) Also Augen, Ohren und Herzen öffnen und besser erkennen, wo Gott heute Gutes wirkt. Vielleicht gerade auch durch mich. Das wird der Fokus der diesjährigen Fastenimpulse in der Kirche in Bregenz sein, bei denen wir an den fünf Fastensonntagen mit Moses vor den brennenden Dornbusch treten und uns Inspiration holen, wie wir dem Geheimnis Gottes in unserem Alltag und in unserem Umfeld in Bregenz auf die Spur kommen.

Ein besonderes Experiment sind dabei die beiden „spirituellen Spaziergänge“ in Bregenz Mariahilf und St. Gebhard, wo in einer Erzählgemeinschaft danach geschut wird, wo für die Menschen in Bregenz „heiliger Boden“ ist und wo ihre „Tränenorte“ liegen und wie Gott hier wohl gegenwärtig ist.

Ich wünsche Ihnen eine aufmerksame Fastenzeit und viel Freude und Ausdauer bei Ihrem Beitrag zum wachsenden „Reich Gottes“!
Thomas Berger-Holzknecht