Trends und Projekte in jugendpastoraler Theorie und Praxis. Eine Zusammenfassung zum Artikel von Matthias Sellmann in www.stimmen-der-zeit.de (07/2010)

Zum Beginn des Textes ruft uns Matthias Sellmann in Erinnerung, dass die Jugend immer schon eine der herausforderndsten Aufgaben der Glaubensvermittlung war. Die Jugendlichen stehen den Älteren mit eigenen Ansichten über das Leben, Werte und Glauben gegenüber.

Die Arbeit mit der Jugend spiegelt im Kleinen oft gesellschaftliche Umbrüche des Gesamten wider. Gegenwärtig ist der Machtverlust der Kirche das maßgebliche Thema. Kirche kann immer weniger mitbestimmen, wie sie von außen gesehen wird. Andere schaffen jetzt die Situationen, in denen sie sich bewähren muss. Die Kirche hatte einst gesellschaftlich deutlich wirksame Macht und ist heute auf einen Markt geworfen. Natürlich kosten die Anpassungsanstrengungen enorme Energien. Die momentanen Turbulenzen sind vergleichbar mit denen einer Institution, die auf einem Markt von einer Monopol- in eine Konkurrenzstellung zu wechseln hat.

Jugendpastoral heute: Begegnung mit Fremden

Jugend ist in vielfacher Hinsicht das „Außen“ der verfassten Kirche, über das sie nicht verfügen kann, wo sie in fremde Welten und an fremde Lebensideen gerät. Die Bevölkerungsgruppe der Zwölf- bis 29jährigen verortet sich im größten Abstand zur Kirche. Die Angebote der Jugendpastoral für die „Jungen“ erreichen gerade einmal etwa sechs Prozent. So werden sie zu „Fremden“ und damit zu wertvollen Gesprächspartnern für eine Auseinandersetzung mit der Perspektive eines Lebens jenseits verfasster kirchlicher Rituale. Die Jüngeren bilden die Generation, die den christlichen Glauben vorantreibt. Die successio, die Glaubensweitergabe sollte sich weniger von der (gesicherten) Überlieferung der Alten als von der (verunsichernden) Überraschung der Jungen leiten lassen. Insofern gilt in der Jugendpastoral gerade aus der Erkenntnis dessen, was als „Altes“ zu bewahren ist, ein „Vorrang des Neuen“.

Aktuelle Projekte und Initiativen der Jugendpastoral

Neues baut immer auf bereits Bestehendem auf. Hier sei auf die große Breite jener Jugendarbeit hingewiesen, die seit langem eher konventionelle und unspektakuläre Angebote bereit hält. Oft ist die Kirche, vor allem auf dem Land, die einzige Institution, die jungen Leuten Freizeitangebote macht und damit – noch vor jeder inhaltlichen Ansprache – beweist, wie wichtig ihr die Begegnung mit jungen Leuten ist. Auf den Schultern dieser Infrastruktur und dieser Flächenpräsenz steht nun eine Auswahl innovativer Projekte mit besonderer Signalkraft.

Verkündigung oder: Was vernetzt?

Oft ist es der Mediengebrauch, der die Jungen von den Alten unterscheidet. Das Bedürfnis nach „Konnektivität“ gehöre zu den Hauptbedürfnissen heutigen jungen Lebens. Mediale und soziale Vernetzung durch Handy, Facebook, Messenger u.ä. werden zu Gradmessern für die soziale Eingebundenheit. Die neuen Verben der jugendlichen Selbstverifikation und Sozialpräsenz sind: mailen, doodlen, simsen, twittern, cross-posten, podcasten, chatten, bloggen, taggen, tuben, usw. Für die Glaubenskommunikation von und mit jungen Leuten eröffnen die Neuen Medien ganz neue Möglichkeiten und können die persönliche Vermittlung enorm ergänzen. Und das Medium bewirkt wieder eine Veränderung der Inhalte, der Form und vielleicht sogar der Message.

www.kafarnaum.deAuf der Homepage des Aachener Hauskirchenprojektes „kafarna:um“ merkt man sofort, dass sich hier eine virtuelle mit einer sozialen Gemeinschaft überschneiden. Neben Facebook und Twitter bieten sie auch einen interaktiven Terminkalender und ein außergewöhnliches Newslettersystem.
www.kafarnaum.de

 www.touch-me-gott.de
Einen anderen Weg geht das Bistum Augsburg mit dem Internetprojekt „Touch me, Gott“. Hier können Glaubensimpulse in einer beinahe räumlichen virtuellen Zeichentrick-Ästhetik spielerisch entdeckt werden. Hier hat sich eine starke Community entwickelt, die mutig jugendgerechte Öffentlichkeitsarbeit betreibt.
www.touch-me-gott.de


Web 2.0 fordert auch einen Entwicklungsschritt zu einem „Christsein 2.0“, wo user content generieren, sprich: Die Besucher sind eingeladen und inspiriert selbst zu Produzenten von Inhalten zu werden.


www.die-zeit-vor-ostern.de www.die-zeit-vor-ostern.de

www.kirche-in-virtuellen-welten.de www.kirche-in-virtuellen-welten.de

www.evangelisch.de/younspirix www.evangelisch.de/youngspirix

www.domino-community.de www.domino-community.de

Die jugendpastorale Herausforderung, die im Raum steht, ist offensichtlich eine inhaltliche wie auch eine kulturell-mentale. Angesichts der enormen Wichtigkeit des Netzes werden künftige Jugendseelsorger als Web-Seelsorger arbeiten müssen: antreffbar in Chats, als Mailpartner, als Eröffner von Gebetsgruppen in Facebook, als Gestalter ganzer Portale, als Bibelkreisteilnehmer in Second-Life, als spirituelle Blogger, als Filmemacher in youtube, als Ork-, Magier-, Zauberer- oder Elfen-Avatare in Onlinerollenspielen.

Liturgie oder: Was verzaubert?

Ein offensichtlicher Trend der gegenwärtigen Jugendpastoral liegt auch im Erleben des Schönen. Die Frage lautet ob Glaube tanzbar ist, wie die Dome im Kerzenlicht mystisch und sinnlich erlebbar werden, wo an ungewöhnlichen Orten Gottesdienst abgehalten werden kann, wie man spirituelle Inhalte in einer Chill-Out Lounge präsentiert oder was für eine Band zugkräftig wäre. Es gibt eine Wendung weg vom Diskurs hin zur Performance und zum Event.

www.nightfever.deEinen sehr entschiedenen und extrovertierten Schritt geht die jugendliturgische Initiative „Nightfever“, wo die Kirchen und Kathedralen von 20 Städten in ein nächtliches Lichter- und Kerzenmeer verwandelt werden. Neben perfekter PR-Technik, branding als professionellen Auftritt findet man in der Tiefe mittels Musik, Texten, Sakramenten, Workshops und Glaubens-Talks die Möglichkeit einer intimen Begegnung mit Gott, für welche die Jugendlichen sogar auf die Straße gehen und Passanten motivieren und aktivieren.
www.nightfever.de

Diakonie oder: Was macht stark?

Die Event- und Projektnatur der Jugendpastoral zeigt sich auch hier. Aktionen wie „72 Stunden ohne Kompromiss“ bringen zwar die Jugendlichen kurzfristig zusammen, schaffen aber keine feste und bleibende Verbindung.

www.72stunden.de www.72stunden.de

Die alljährliche „Sternsingeraktion“ schafft ebenfalls Berührungspunkte, ist auch sehr Spendenwirksam, bietet aber meist nur wenig Konfrontation. Im Gesamten zeigt sich in der pfarrlichen wie auch in der gemeindlichen Jugendpastoral eine Milieuverengung der katholischen Kirche. Salopp gesagt geht es eher gebildet, eher anständig, eher gut situiert, eher perspektivreich, eher beschützt und eher unterstützt zu als in anderen Bereichen jugendlicher Lebenswelten. Somit wird das Angebot exklusiv und entfernt sich von der jugendlichen Realität.

www.starkohnegewalt.deDas Projekt „Stark ohne Gewalt“ beeindruckt als Kooperation einer internationalen Künstlergruppe, einer geistlichen Bewegung, verschiedener Wissenschaftler, eines politischen Unterstützungsnetzwerks sowie der Szene der Pädagogen, Schulleiter und Sozialarbeiter als Nutznießer des Projektes für ihre Einrichtungen. Es handelt sich im Kern um ein Gewaltpräventionsprojekt einer jugendkulturell arbeitenden Schul- bzw. Sozialpastoral. Hier werden die Grenzen nicht nur überwunden, sondern thematisiert.
www.starkohnegewalt.de

www.cajessen.deDie CAJ im Bistum Essen besuchte junge Leute in Gemeinden, Schulklassen und Einrichtungen, führte Projekttage durch und drehte mit den Jugendlichen einen Dokumentarfilm über die Lebensziele junger Leute. Auch hier werden sonst übliche Milieugrenzen überschritten. Die „harten“ Jungs und Mädchen erzählen ganz ungeschützt von ihren Lebenszielen und –träumen, ihren „Prognosen“ und der Einschätzung ihrer Chancen, was stark nach wirkt.
www.cajessen.de

Kirche gewinnt an sozialem Vertrauen, wo sie nicht von sich her auf Jugendliche zugeht, sondern von den Jugendlichen her sich selber neu erkennt. Als Beispiele seien die Freiwilligendienste, Jugendstiftungen und Solidaritätsprojekte genannt.

www.hilfreich-edel-gut.de www.hilfreich-edel-gut.de

www.friedensweg.net www.friedensweg.net

Faktoren jugendpastoraler Innovation

Es wäre reizvoll, anhand solcher Praxisbeispiele erfolgreicher Jugendpastoral systematisch nach Faktoren zu suchen, wie innovative Weiterentwicklung der Jugendpastoral dingfest gemacht werden kann. Doch das kann nur intuitiv geschehen. Offensichtlich braucht es echte Gründergestalten, also risikofreudige Leute, die sich die Realisierung jugendpastoraler Ideen biographisch wirklich etwas kosten lassen.

Es braucht mediale Mobilisierungs- und Vernetzungsstrategien. Es braucht das Bewusstsein, sich weniger von abstrakten Zielen als von konkreten Orten und Problemen herausfordern zu lassen. Es braucht eine entschlossene Förderung der gegenwärtigen ästhetisch-popkulturellen Wirklichkeit junger Leute von heute. Es braucht eine robuste geistliche Formation der Projektträger. Es braucht ein gutes dogmatisches Grundwissen. Es braucht gute Chefs und Chefinnen, die zu jugendpastoralen Laborversuchen ermutigen und diese großzügig budgetieren. Es braucht diakonischen Mut. Es braucht die innere Freiheit, sich nicht an die Denkverbote zu halten, die mit den überkommenen Polaritäten verbunden sind. Es braucht die Freude über die Chancen, die im kirchlichen Standortwechsel von „Macht“ zu „Markt“ liegen. Denn wenn Gott jung ist, dann ist „Mutter Kirche“ eine Freeclimberin am Hang, mit atemberaubender Aussicht.

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[Kurzfassung des Textes "Gott ist jung! Kirche auch? - Trends und Projekte in jugendpastoraler Theorie und Praxis" von Matthias Sellmann, www.stimmen-der-zeit.de (07/2010)]