Fachartikel von Brigitte Dorner

Die Götter der Rock- und Popkultur


In der Rock- und Popmusik ist der Star selbst mindestens genau so wichtig wie die Musik, denn er/sie ist eine konkrete Person, die verehrt und angebetet werden kann. Manche Musiker haben im Laufe der Zeit von ihren Fans Hoheitstitel verliehen bekommen, die ihren besonderen (göttlichen) Status ausdrücken: so ist zum Beispiel Elvis Presley bekannt als „the King”, Ray Charles als „the Genius“, Bruce Springsteen als „the Boss“ und Frank Sinatra als „the Voice“. Auf einem Graffiti liest man sogar „[Eric] Clapton is God!“ Persönlichkeiten wie sie sind zu regelrechten Legenden und Mythen geworden. In den 1980er Jahren wurden durch die entsprechende Inszenierung und Vermarktung Madonna, Prince und Michael Jackson zu „Pop-Ikonen“ hochstilisiert. Sie verwendeten zum Teil ganz explizit religiös(-erotische) Motive (zB Namensgebung, Songtexte, Videos) zum Zweck ihrer Selbstinszenierung und prägten die Popkultur dadurch nachhaltig.

Ein Gott zum Angreifen

Bei einem Konzert dreht sich alles nur um den Star. Er oder sie wird zu einer Art Messias, der seit Wochen und Monaten erwartet wird. In dieser Zeit des Wartens erfolgt die Vorbereitung auf die „Ankunft des Messias“, der herbeigesehnt und herbeigerufen wird. Dieser messianische Charakter wird beispielsweise bei Konzerten von Michael Jackson in den 1990er Jahren offensichtlich. Bei seiner „Dangerous-Tour“ wird der „King of Pop“ wie bei einer göttlichen Erscheinung in Goldregen und gleißendem Licht ekstatisch begrüßt und gefeiert. Auch während des Konzerts spielt Jackson immer wieder mit dem Motiv des Erlösers und ist gleichzeitig der Liturge, der die Funktion des Priesters am Altar übernimmt. Zudem hat ein Star eine „Helfer- und Vermittlerfunktion“ (Schäfers). Da er wie ein Magier oder Schamane wirkt, erwartet das Publikum nicht nur, unterhalten zu werden, sondern auch geheilt bzw. erlöst (von Ängsten, Zwängen, etc). Ein Star ist wie von einem anderen Planeten und wird dadurch zu einer Vermittlerfigur zwischen zwei Welten: der alltäglichen Lebenserfahrung und der Unterbrechung dieser Realität; dem Menschlichen und dem Über-Menschlichen. Diese Eigenschaft wird auch Bono Vox, dem Sänger von U2, zugeschrieben: „[...] er ist wie das Ding aus einer anderen Welt.“ (Scholz) Die Stars werden zu einer Projektionsfläche von Sehnsüchten, da sie dem richtigen Leben „entrückt“ zu sein scheinen und den Traum, den viele Menschen träumen, verkörpern.

Der Starkult

Diese Fokussierung einer Menschenmasse auf eine einzige Person könnte man auch Monolatrie, die Verehrung eines einzigen Wesens, nennen. Das Ziel des Ganzen ist eine Erleuchtung bzw. Gottesschau. Die Vereinigung mit Gott - in diesem Falle dem Star - (d.h. Berühren, Treffen) ist das, was jeder Fan anstrebt und was sogar zum Teil lebensbestimmend oder sinnstiftend wird. Zwischen Fan und Star baut sich eine Beziehung auf und es gibt so etwas wie eine gemeinsame Geschichte: der Fan hat alle CDs, erwirbt verschiedenste Merchandising-Artikel (Poster, T-Shirts), reist kilometerweit um live dabei zu sein und bleibt seinem Star treu, in guten (erfolgreichen) wie in schlechten (erfolglosen) Tagen. Es gibt viele Berührungspunkte und Identifikationsmöglichkeiten: sei es das äußere Erscheinungsbild, die Haltung oder der Inhalt, der vermittelt wird. Steht bei der Identifikation der look im Vordergrund, versuchen die Fans, ihrem Star immer ähnlicher zu sehen. Frisur, Kleidung, Schminke, Accessoires – alles wird nachgeahmt. Dabei wird vor Schönheitsoperationen oder Zahnregulierungen nicht zurückgeschreckt. Dies wird auch in verschiedenen Magazinen und TV-Shows (auf VIVA, MTV) propagiert, wo so genannte „lookalike contests“ ausgeschrieben oder übertragen werden. Das Idol wird also wie ein Gott/eine Göttin verehrt und der Fan versucht, ihm/ihr immer ähnlicher zu werden. Je mehr sich der Fan mit dem Star identifiziert, desto intensiver wird die Beziehung und desto größer die Opferbereitschaft. Der harte Kern von Anhängern nimmt an so vielen Konzerten wie möglich teil und belagert die Hotels, in denen der Star absteigt. Auch um an Konzert-Tickets zu kommen, nehmen die Fans teilweise stundenlanges Warten in Kauf oder nächtigen vor den Vorverkaufsstellen.

Die Macht der Boygroups

Bei Jugendlichen kommt es auch vor, dass sie sich auf der Suche nach ihrer Identität in ihr Idol verlieben. Dieses Phänomen gab es zwar schon zu Zeiten der Beatles, war aber vor allem beim Aufkommen der Boygroups in den 1990er Jahren wieder zu beobachten. Viele junge Mädchen verliebten sich in den einen oder anderen gutaussehenden Typen dieser Bands, die alle nach einem bestimmten Konzept zusammengestellt und vermarktet wurden. Als die Band Take That aufgelöst wurde, wurden diverse Hotlines eingerichtet, bei denen die verzweifelten Mädchen anrufen und ihr Herz ausschütten konnten. Manche standen sogar kurz vor dem Selbstmord, da für sie eine Welt zusammenbrach.

Brigitte Dorners BuchAus: Dorner, Brigitte, „U2 ist ihre Religion, Bono ihr Gott“ Zur theologischen Relevanz der Rock- und Popmusik am Beispiel von U2. Marburg 2007.

Literatur:
Albrecht, Horst, Die Religion der Massenmedien, Stuttgart 1993.
Schäfers, Michael, Jugend – Religion – Musik. Zur religiösen Dimension der Popularmusik und ihrer Bedeutung für die Jugendlichen heute, Münster 1999.
Scholz, Martin, Dancing with Mr. B. Bono über Live8 und die Folgen, in : Rolling Stone, Nr. 8, August 2005, 214-219.
Schwarze, Bernd, In der Flut des goldenen Lichts. Popstars als Götter der Postmoderne. http://www.evalid.de/texte/html/schwarze.htm (15.08.2005)
Tischer, Rolf, Postmoderner Synkretismus im Bereich der Rock- und Popmusik, in: Bubmann, Peter (Hg.) Pop und Religion. Auf dem Weg zu einer neuen Volksfrömmigkeit? Stuttgart 1992. 29-57.
Treml, Hubert, Spiritualität und Rockmusik. Spurensuche nach einer Spiritualität der Subjekte, Zeitzeichen Bd. 3, Ostfildern 1997.