Es ist vieles zu spät in unserer Kirche. - und genau darum gibt es Hoffnung! Der Begegnungsabend mit dem neuen Propst von St. Gerold, Pater Martin Werlen begann am 8. Oktober pünktlich um 19.00 Uhr im Bildungshaus Batschuns. Fast niemand war zu spät gekommen. Rund 30 Ehrenamtliche aus den Pfarren der Seelsorgeregion nahmen trotz der unsicheren Corona-Zeiten die Einladung an, Pater Martin Werlen kennen zu lernen, einander zu begegnen und über die Kirche, Gott und die Welt zu reden.

Pater Martin Werlen
Vieles drehte sich an diesem Abend um die Frage, was in der Katholischen Kirche alles zu spät, vorbei, abgelaufen, erledigt ist – und was das jetzt für uns bedeutet, die wir uns alle ehrenamtlich und mit Herzblut für unsere Pfarren engagieren.
Pater Martin verdeutlichte, dass wir immer wieder damit konfrontiert sind, dass es zu spät ist für irgendetwas. In Bezug auf unseren Glauben bedeutet das, dass Gott gerade dann spürbar und wirksam wird und uns durch diese Situationen hindurch trägt, wenn es zu spät ist. Das wiederum, so der Schweizer Benediktiner und Alt-Abt des Klosters Einsiedeln, träfe in hohem Maße auch auf die Kirche zu. Für wieviele, die sich von der Kirche abgewendet haben, ist es einfach zu spät, wenn wir jetzt noch das eine oder andere Reförmchen umsetzen! Es ist zu spät, mit Jugendgottesdiensten zu werben, weil die Jungen gar nicht mehr dran denken, freiwillig in einen Gottesdienst zu gehen, und sei er unserer Meinung nach auch noch so jugendgerecht gestaltet. Als Kirche sind wir vielen Menschen unsagbar fremd geworden. 

Warum konnte das passieren? Warum wollen über 90% der KatholikInnen nichts mit dem Pfarrleben zu tun haben?
Die Diagnose ist unvermeidlich und knallhart:
Was wir sagen ist für den Großteil der Menschen unverständlich und hat nichts mit ihrer Lebensrealität tun. Was wir tun ist für viele nicht glaubhaft, nicht authentisch. Wir reden von Erlösung und kommen mit matten Gesichtern aus unseren Gottesdiensten heraus. Wir predigen das Evangelium, dass Jesus sein Leben mit und für die Armen gelebt hat – und kennen die Armen nur aus dem Fernsehen. Wir sprechen von der gleichen Würde aller Menschen, die uns Gott verliehen hat – und schließen über die Hälfte aller Menschen von wichtigen Ämtern und Funktionen aus, nur weil sie einem bestimmten Geschlecht angehören. Wir predigen eine arme Kirche – und schwimmen vielerorts im Geld. Die Menschen haben diese Widersprüchlichkeiten gespürt, sie haben sie satt und sind gegangen – und vielen ist es gleichgültig, was die Kirche nun tut oder lässt, was sie sagt und welche Probleme sie hat. Es ist zu spät, diese Menschen mit unseren herkömmlichen Mitteln einer „Komm her! – Kirche" zu umwerben und dazu zu bringen, wieder am kirchlichen Leben teilzunehmen.

Und jetzt, so Pater Martin, kommt das Entscheidende: Genau jetzt in dieser Situation des „zu spät“ eröffnet sich eine bislang ungeahnte Freiheit. Wir können nichts mehr kaputt machen. Wir müssen uns nicht mehr abstrampeln, um einen Status Quo aufrecht zu erhalten, den es so schon längst nicht mehr gibt. Wir müssen nicht mehr dieser Fatamorgana nachjagen, dass früher alles gut war und wir unbedingt wieder dahin müssen.

Pater Martin betonte mehrmals an diesem Abend: Wenn alles zu spät ist, erst dann haben wir die Freiheit und die Gelegenheit, die Dinge neu zu sehen. Zu sehen und zu erfahren, was die Menschen umtreibt – und auf den Heiligen Geist zu hören, wie wir in die heutige moderne Lebensrealität der Menschen hinein die Frohe Botschaft verkündigen.
So gesehen ist unsere Zeit mit dem vielen, was im Grunde zu spät ist, auch eine unglaublich hoffnungsvolle, kreative und inspirierende Zeit!
Es liegt an uns, sie auch zu nutzen.

Die gesamte Veranstaltung können Sie hier nachhören.

Dr. Michael Willam
Pastoralleitung Seelsorgeregion Vorderland