Als Priester und Seelsorger ist Elmar Simma so eine Art Trauerspezialist: Er war es, der die Hospizbewegung in Vorarlberg maßgeblich vorangebracht hat, er unterstützt sie bis heute. Warum er offene Debatten über dieses Thema wichtig findet und warum man nicht immer allein mit allem fertig werden muss, erklärt er im Interview.

Herr Simma, wenn ein Mensch stirbt, ruft man auch heute noch oft den Priester. Wenn Sie derjenige sind: Was tun Sie?

Elmar SimmaWenn der Tod unmittelbar eingetreten ist, wird oft gewünscht, dass ich komme und Trauergebete spreche oder ein Abschiedsritual durchführe, um den Angehörigen zu helfen, den Verstorbenen gehen zu lassen. Das zweite ist die Frage nach der Bestattung: wann, wo, wie, wer und so weiter. Auch da bin ich als Priester in meiner Funktion gefragt. Je nachdem, welchen Bezug ich zu den Trauernden oder dem Verstorbenen habe, werde ich auch weiterhin den Kontakt suchen und Trauerbesuche machen, die Angehörigen unterstützen.

Und jenseits Ihres Berufs?

Ganz persönlich und emotional ist es für mich immer die erste Aufgabe ein bisschen Ruhe in diesen Schockzustand zu bringen. Die Angehörigen können es oft noch gar nicht richtig realisieren und fragen: „Was jetzt?“. Ich antworte dann: „Jetzt lassen wir uns Zeit.“ Zeit, um uns zu verabschieden zum Beispiel. Ich ermutige sie, den Toten eine Zeit zuhause zu lassen. Oder wir gehen ins Krankenhaus und verabschieden uns dort in einem speziellen, dafür vorgesehenen Raum. Es ist ganz wichtig, dass man auch den Todesfall „be-greifen“ kann – ganz wörtlich. Dass man ihn umarmen kann, küssen kann. Man muss das körperlich tun. Diesen Spruch: „Ach, behalt' ihn in Erinnerung wie du ihn gekannt hast“ – den finde ich schlecht.

Warum?

Weil dieses persönliche Berühren und Begreifen des Todes und des Toten so hilfreich ist – auch für die Trauer. Es kann sonst passieren, dass man später das Gefühl bekommt, man habe etwas versäumt.

Haben Sie den Eindruck, dass sich im Laufe Ihrer Berufslaufbahn etwas geändert hat, wie Menschen mit dem Tod umgehen oder wie sie zu Ihnen kommen?

Ja, sicher. Früher war es meistens genug, wenn man dem Sterbenden versehen hat – das heißt: Gebete gesprochen hat, die Krankensalbung gespendet, die Kommunion gebracht und die Beerdigung gehalten. Das hat sich sehr auf die persönliche Beziehung verlagert.

A propos Beziehung: Wie ist es, wenn Menschen den Eindruck haben – sowohl auf sterbender Seite als auch auf Seite der Angehörigen – da sind Dinge oder Beziehungen noch nicht geklärt. Wie geht man mit so einer Situation um?

Natürlich kommt es oft vor, dass Dinge offen bleiben, dass man denkt: Ich hätte noch gerne oder ich hätte noch sollen. Die Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross hat betont, man könne leichter sterben, wenn man Unerledigtes erledigt. Im Grunde stimmt das, aber das ist nicht immer möglich. Man kann auch mit Unerledigtem sterben. Ich denke, dass der Glaube schon den Trost gibt zu sagen: „Lieber Gott: was nicht mehr erledigt worden ist – das musst du für mich erfüllen oder bereinigen.“ Manches bleibt defizitär – wir planen das Leben eben nicht so, dass wir alles in der Hand haben.

Wenn Sie die Menschen oder die Gesellschaft im Umgang mit dem Tod ändern könnten oder wollten – was würden Sie sich wünschen?

Ich würde mir wünschen, dass ein offener Umgang mit dem Thema in der Gesellschaft präsent ist. Sterben gehört dazu – unser Leben ist endlich. Wir haben beim Hospiz den Grundsatz „endlich leben“: Einerseits betonen wir „endlich“ – es hat einmal ein Ende, und je besser ich das akzeptieren kann, umso mehr kann ich endlich leben – dankbar und bewusst. Ein zweiter Wunsch wäre, dass das Thema Euthanasie differenziert betrachtet wird.

Haben Sie den Eindruck, dass der Wunsch nach Sterbehilfe zunimmt?

Der Trend ist da, ja. Wenn man Umfragen machen würde, wären sicher zwei Drittel für die Freigabe der Euthanasie, weil sie meinen: Meinen Tod möchte ich selbst bestimmen. Es ist ein sehr emanzipatorisches Denken. Dabei vergessen viele: Wir haben nicht selbst bestimmt, dass wir auf die Welt kommen – das wurde uns gegeben. Mit dem Sterben ist es genauso: Ich „mache“ es nicht – es geschieht. Und je mehr ich mich einlassen kann auf diese Endlichkeit, mich einem größeren Sinn überlassen kann – oder als gläubiger Mensch: einem Gott, der menschenfreundlich ist – umso leichter kann ich dann auch gehen. Dieses Loslassen einüben – das scheint mir ganz wichtig.

Ist das eine Aufgabe, der man als Mensch stellen muss?

Natürlich – wir müssen das lernen. Das fängt schon bei der Geburt an: Das ist eine Ent-bindung und geht dann bis zur letzten Ent-bindung im Sterben. Man muss die Kinder loslassen, man muss Träume loslassen, man muss manchmal auch den Partner, die Partnerin loslassen – all das gehört zum Leben.

Inwiefern kann die Hospizarbeit helfen, dass Menschen das leichter fällt?

Die Menschen meinen immer, sie müssen mit allem allein fertig werden – das stimmt nicht. Seitens des Hospiz‘ Vorarlberg ist es uns darum ein Anliegen, dass die Leute die Trauerhilfen in Anspruch nehmen, die wir anbieten – zum Beispiel die Trauercafés, die Wanderungen für Trauernde, Gottesdienste, Trauerbegleitung für Kinder und die ehrenamtlichen Trauerbegleiterinnen und -begleiter. Wir sind immer da!

Interview: Charlotte Schrimpff