Magdalena Burtscher hat nicht nur einige Erfahrung in der Leitung von Totenwachen, einer neuen Form von Gedenkfeier mit viel Freiraum zur persönlichen Gestaltung – sie gibt ihr Wissen in Schulungen auch an Interessierte weiter. Warum solche Rituale wichtig sind und wie man Menschen damit erreicht, erklärt sie im Interview.

Frau Burtscher, wenn Angehörige auf Sie zukommen und um eine Totenwache bitten – was genau passiert dann?

Magdalena BurtscherAls Totenwacheleiterin habe ich natürlich zuerst den Auftrag, dieses Ritual zu gestalten – in Abstimmung mit den Wünschen des Verstorbenen und seiner Angehörigen, aber auch aus einer langen Glaubenstradition heraus. Die Totenwache oder „Das Trostgebet der Gemeinde“, wie ich es heute gerne nennen möchte, wird meistens am Abend vor dem eigentlichen Trauergottesdienst abgehalten. Angehörige, Freunde und Gemeindemitglieder haben so die Möglichkeit, im Gebet, mit Musik und trostvollen Liedern, mit Ritualen und in stillem Erinnern  sich vom Verstorbenen zu verabschieden. Die Weiterbildungsmöglichkeiten für Totenwache-Gestalterinnen und -Gestalter und den Erfahrungsaustausch erlebe ich als wertvolle Hilfe für diesen ganz besonderen pastoralen Dienst, den ich aus tiefster Überzeugung unterstütze und bei dem ich auch selbst immer wieder beschenkt werde. Die Begleitung von Trauernden in dieser intensiven Zeit einer Verlusterfahrung und des Abschiednehmens ist für mich ein Liebesdienst. Aus dieser Haltung heraus können Totenwachen und Begräbnisgottesdienste zu einer göttlichen Berührung werden.

Wie erleben Sie das Sterben und den Tod in diesem Kontext? Gibt es etwas, das zentral für Sie ist?

Ich habe festgestellt, dass in den Vorbereitungsgesprächen zu den Verabschiedungsgottesdiensten das Zuhören und Zeit-Haben von größter Bedeutung sind. Ich meine, dass in solchen Gesprächen bereits ein wenig Trauerarbeit geschehen kann, wenn die Hinterbliebenen etwas von den sehr bewegenden Erfahrungen der letzten Stunden und Tage erzählen können. Dabei dürfen auch Tränen fließen; Gott sammelt sie in einem Krug (nach Psalm 56,9) wie kostbare Perlen! – Und manches aus diesen Gesprächen kann dann auch in die Gottesdienstgestaltung einfließen.

Würden Sie also sagen, dass Rituale wie Totenwachen im Umgang mit einem Todesfall helfen?

Ja, unbedingt! Darum ist es auch so wichtig, dass die Angehörigen von der Möglichkeit eines solchen Rituals überhaupt wissen! Sie brauchen verlässliche Ansprechadressen, kompetente Auskunftspersonen und aufmerksame Zuhörende – kein Abfertigen nach „Schema F“, sondern das einfühlsame Eingehen auf die Einmaligkeit dieser konkreten Situation. Wenn es uns als Kirche an dieser Stelle gelingt, Kompetenz zu beweisen, zieht das weite Kreise. Darum war ich froh, eine pfarreigene Informationsbroschüre zu diesem Themenkreis mitgestalten zu dürfen. Uns war eine ansprechende, „heutige“ Form sehr wichtig, und dass sich die Gemeindemitglieder schon außerhalb eines konkreten Anlassfalls mit dieser Thematik auseinandersetzen können.

Ist dieses Wissen um „Angebote“ seitens der Kirche in solchen Situationen verloren gegangen?

Schon. Durch die zunehmende Kirchenentfremdung erfahren viele Menschen auch nicht mehr, was im Ernstfall zu tun ist und welche Hilfen es dafür gibt. Das zeigt sich meiner Ansicht nach in der Zunahme von stillen Beerdigungen. Die veränderte Begräbniskultur zieht auch eine veränderte Trauerkultur nach sich: Alles soll heute möglichst schnell und ohne großes Aufsehen erledigt werden. Dabei bräuchte gerade der Trauernde das Gefühl, gesehen zu werden und eine echte Anteilnahme! Einsame Verabschiedungen führen auch zu mehr Vereinsamung unter den Lebenden. An dieser Stelle möchte ich auch ein Votum einlegen für die Erdbestattung, bei der die Achtung vor dem Leib gewahrt ist. Vor einiger Zeit hatte ich mit einer jungen Frau zu tun, deren Großmutter kremiert worden ist. Die Enkelin konnte nicht fassen, dass in diesem kleinen Gefäß ihre Oma liegen soll. Die Tradition der Erdbestattung im Sarg hat durchaus ihre Berechtigung, weil sie die rein physische Dimension des Verstorbenen noch lange sichtbar macht und verortet. Es ist dabei auch ein starker Zusammenhang von Verwesungsprozess und Trauerprozess erkennbar. Nach ein bis zwei Jahren wächst der Trauernde allmählich in das Loslassen-können hinein.

Haben Sie eine Idee, wie man das wieder mehr ins Bewusstsein rücken kann?

Teilweise geschieht das zum Glück schon: Durch die Möglichkeit einer 24-Stunden-Pflege kann zum Beispiel wieder mehr dem Wunsch vieler Sterbender entsprochen werden, zuhause sterben zu dürfen. Und das wird oft auch für die Angehörigen zu einem Geschenk: Die Gespräche, die in dieser allerletzten Lebensphase geführt werden, überraschende Sätze oder Wünsche, die geäußert werden, führen oft zu einer ganz neuen Nähe. Es wird uns bewusst, wie sehr das Sterben zum Leben gehört und dass es wichtig ist, dem ausreichend Aufmerksamkeit zu schenken. Darüber hinaus sollen die Angebote der Kirche qualitätvoll, persönlich und mit großer Wertschätzung gestaltet sein. Die Angehörigen und die ganze Trauergemeinde mögen erfahren, dass man in dieser Gemeinschaft getragen und einfühlsam begleitet wird. Eine gute Aufklärung über die verschiedenen Angebote und Möglichkeiten, Gespräche und Bewusstseinsbildung zu den Themen Abschied, Tod und Trauer können dieses einschneidende Erlebnis zu einer der kostbarsten Erfahrungen werden lassen.

Interview: Charlotte Schrimpff