... Gedanken eines Journalisten.

Beichte vs. Therapie?
Lohnt ein Neustart?
Macht Schuld krank?
Bewusstsein von Schuld?
Gesundes Maß an Schuldgefühlen?
Schuld oder Sünde, wo ist der Unterschied?
Wer spricht mich frei?
Was hat Zukunft?
Ein guter Rat?

Beichte vs. Therapie

Welche Chancen und Grenzen sehen Sie in diesen beiden Wegen der Beichte und der Psychotherapie?

Beide Wege können dem Menschen zunächst einmal seine Schuld bewusst machen. Das ist die Grundvoraussetzung für neue Wege. Denn tatsächlich machen Menschen sich unentwegt schuldig. An anderen, an der Natur, an sich selbst. Das klingt moralisierend und anklagend, aber wir sind uns dessen oft gar nicht bewusst. Wir gehen mit unserem Körper um, als hätten wir noch beliebig viele weitere zur Verfügung. Wir reihen berufliche Karriere und wirtschaftlichen Erfolg vor Menschlichkeit. Lügen und Betrügen gehören oft als Kavaliersdelikte zum guten Ton: Stichwort Steuerhinterziehung u.ä.

Gesellschaftliche Entwicklungen "entschulden" manche Verhaltensweisen: Umweltverschmutzung im Dienst eines ungebremsten Konsums zum Beispiel oder Ressourcen-Verschwendung in einer augenscheinlich überreichen Zivilisation. Da verlieren hohe Güter wie elementare Wertstoffe (Luft, Wasser, Grund und Boden) oder der Naturschutz im Sinne des Schöpfungsauftrags rasch an Bedeutung. Vom einen ist mehr als genug da, das andere "richtet" die Technik.

Oder wie sehr diktiert eine stillschweigend getroffene gesellschaftliche Übereinkunft unser Verhalten Fremden gegenüber: Der Mix aus Bettlern und Asylwerbern lässt es in wenigen Wochen opportun werden, in Roma, Flüchtlingen und migrantischen Bildungsverlierern nurmehr Belastungen, aber nicht mehr die Menschen zu sehen. Ganz zu schweigen von der Grausamkeit, die oft in intimen zwischenmenschlichen Beziehungen den Ton angibt.

Beichte und Psychotherapie können zunächst einen Augenblick des Innehaltens schaffen, in dem sich der Mensch seines schuldhaften Verhaltens bewusst wird.

Die Psychotherapie kann ihm Wege zu einem Weiterleben und manchmal auch zur Wiedergutmachung aufzeigen. Sie macht aber nichts ungeschehen. Täter und Opfer kann sie unter bestimmten Voraussetzungen versöhnen, sie kann Vergebung jedoch nur bedingt erwirken. Sie wirft, wenn es gut geht, ein klärendes Licht in die Untiefen der menschlichen Seele. Sie setzt dort an, wo Schuld sich krankmachend auswirkt. Der Klient muss der Psychotherapie vertrauen, das ist Voraussetzung.

Die Beichte wiederum setzt den Glauben an eine höhere Ordnung voraus und stellt das Geschehene in einen größeren Rahmen. Sie stellt dem Betroffenen nicht den strafenden Gott, sondern Gottes Liebe und Barmherzigkeit vor Augen. Dieses vorbehaltlose Angenommen sein ebnet den Weg zu einem Neuanfang.

 

Lohnt ein Neustart?

Das Sakrament der Beichte haben nicht nur die Gläubigen mehr oder weniger abgeschafft, sondern auch die Priester selbst. Lohnt es sich überhaupt hier nochmals einen Neustart zu wagen ?

Die Kirche hat die Beichte - zumindest in Mitteleuropa - weitgehend "an die Wand gefahren". Das liegt zunächst an ihrer eigenen Schuldhaftigkeit und einem Grundmissverständnis: Über Jahrhunderte haben die Menschen die Kirche als diejenige erfahren, die sich als moralische Instanz zum Richter aufschwingt und den Menschen maßregelt. Die Beichte ist lange als Züchtigungsinstrument und Gottes Vergebung als Handelsware missbraucht worden. Lohnt sich da noch ein Neuanfang?

In Zeiten, in denen der Mensch unentwegt an seine eigene Unzulänglichkeit erinnert wird, lohnt sich die Wiederbelebung dieses moderierten Zwiegespächs mit Gott allemal. Es bedürfte aber einer neuen Sprache. Wir haben unser Vokabular verloren und das alte taugt nicht mehr. Wörter wie Beichtstuhl und Sünde haben über die Jahrhunderte so viel Schäden erlitten (und verursacht), dass sie den Zugang verhindern, statt einzuladen. Auch müssten die Rollen von Seelsorger, Berichtendem und Gott wieder neu geklärt werden. Und drittens braucht es eine Art der Anleitung: Immer weniger Menschen wachsen kirchlich sozialisiert auf. Sie wissen gar nicht, wie das gehen könnte, beichten. Es bedarf freilich großer Charismen, um einen so sensiblen Prozess aktuell angemessen zu erläutern. Schließlich geht es dabei um das Ganze der menschlichen Existenz. Der Mensch stellt sich mit seinen persönlichsten Problemen vor seinen Schöpfer, den er nicht sieht, dem er aber vertrauen soll.

 

Macht Schuld und die Erfahrung des Scheiterns uns Menschen krank?

Ja, Schuld macht Menschen krank. Einmal, wenn sie nicht mehr wieder gut zu machen ist. Zum anderen, wenn sie zur Gewohnheit wurde. Wer die Lüge als integralen Bestandteil seines Lebenskonzepts gebraucht, wird sich über die Jahre verändern. Das erste, was der Mensch deshalb braucht, um "gesund" zu werden, ist ein vorbehaltloses Hinschauen. Dieser Augenblick macht Angst. Es tut weh. Und es fordert Konsequenzen. Deshalb lassen es viele. 

Gerade an diesem Punkt könnte die Kirche helfen: Schuld zieht nicht immer zwangsläufig Verurteilung und Strafe nach sich. Das Neue Testament bietet unzählige Beispiele dafür, dass es auch anders geht. Dem Satz von Jesus "Gehe hin und sündige nicht mehr" geht zwar ein seelischer Kassasturz voraus. Aber es folgt kein Scherbengericht. Auch die Beichte ist nicht Schönfärberei. Sie braucht diesen unangenehmen Augenblick des Selbsteingeständnisses. Aber die Beichte bedeutet auch: Ich vergebe Dir und bleibe Dein verlässlicher Partner, obwohl Du Dich schuldig gemacht hast. Eltern sagen das zu ihren Kindern: Was immer Du anstellst, nichts ist so schlimm, dass wir nicht darüber reden und "es richten" können. Kein eilfertiges "Schwamm drüber" kann diese Wirkung erzeugen.

 

Bewusstsein von Schuld?

Verlieren wir heute das Bewusstsein von Schuld?

Wir verlieren vielleicht weniger das Bewusstsein von Schuld, sondern vielmehr das Bewusstsein dafür, Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen.

 

Gibt es ein „gesundes Maß“ an Schuldgefühl?

Ja, vermutlich findet man das gesunde Maß in diesen uralten Sprichwörtern: "Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu" usw. wieder. Der Hausverstand ist ein guter Lehrer. Dieses gesunde Maß ist eine innere Richtschnur und schützt andererseits vor übertriebenen Schuldgefühlen, die jede Lebensfreude ersticken und oft krankhafte Züge tragen. Das ist das andere  Extrem in einer zunehmend entgrenzten Gesellschaft.

Gibt es zwischen „Schuld“ und „Sünde“ einen Unterschied?

Schuld ist eine moralische Wertigkeit, Sünde eine religiöse. Das Wort von der Schuld hat über die Jahrhunderte kaum gelitten. Der Begriff der Sünde hingegen muss bestimmt aus den Jahrhunderte alten unglücklichen Konnotationen befreit werden. Gemeinsame Rituale wie etwa am Gründonnerstag können da hilfreich sein. Der Mensch erfährt sich mit seinen Problemen nicht allein, sondern in Gemeinschaft. Das Jahr der Barmherzigkeit könnte auch dazu genutzt werden, in Ausstellungen, Diskussionen usw. das Thema neu zu beleben. Eine Nähe spürt in gewisser Weise jeder, weil kein Mensch vollkommen ist. "Wer ohne Sünde ist, ..."

Wer spricht mich frei?

„Ich vergebe dir“ – „Ich spreche dich los“. Brauchen wir diese Zusage einer anderen Person, um von Schuld frei zu werden?

Die übergeordnete Instanz brauchen wir schon deshalb, weil der Mensch sich selber nicht von Schuld freisprechen kann. Die transzendente Ebene ist nötig, weil der Mensch nicht das Maß der Dinge ist. Das wird zunehmend wieder deutlicher und wäre ein Anlass, diese übergeordnete Ebene neu zu entdecken.

Was hat Zukunft?

Welche Schritte braucht es aus Ihrer Sicht auf dem Weg der Versöhnung und des Neuanfanges? 

Ich denke, der alte Beichtstuhl hat ausgedient. Er hat ohnedies vielerorten dem Beichtgespräch Platz gemacht. Das "Opfer" meint wohl die Gebete, die der Priester dem Gläubigen als "Bußwerk" aufgibt. Das haben wir alle noch aus Kindertagen in Erinnerung: Drei Ave Maria, zwei Vater unser usw. Das hatte formelhaften Charakter und war meist ohne Verständnis rasch hingeplappert. Was ist überhaupt der Sinn einer solchen "Buße"? Allenfalls bietet sie doch noch einmal die Gelegenheit, sich seiner Existenz "im Angesicht Gottes" gewahr zu werden. Es ist nicht der Priester, es ist dieser Gott, der mich trägt. Und es ist diese Beziehung, die der Mensch beschädigt hat. Wer je erfahren hat, wie schwierig es ist, Beziehungen "wieder hinzukriegen", weiß, dass es mit ein paar hingesagten Worten nicht getan ist. Wenn also "Opfer", dann in anderer Form.

Ein guter Rat

Was würden Sie aus Ihrer Sicht den Menschen heute raten?

Es steht mir gar nicht zu, zu raten. Aber wer Sünden vergeben will, muss wohl zuerst "vor der eigenen Tür kehren". Vielleicht wäre es ein Anfang, wenn die Kirche ihre oft stark durchwachsene Rolle im Thema Schuld und Sühne aufarbeiten würde. Das macht sie glaubhafter. Die Menschen wiederum sehen sich in eine unglaubliche komplexe Welt mit großen Chancen, aber auch großen Unsicherheiten und Risken gestellt. Darin tummeln sich auch unzählige Heilsversprechen. Mehr denn je gilt es, den falschen Propheten nicht auf den Leim zu gehen. Wir prüfen ja auch den Partner, dem wir unser Leben (oder einen Teil davon) anvertrauen, oder die Firma, der wir unsere Kreativität und Arbeitsleistung anheim geben. Um wie viel mehr sollten wir diejenigen gut auswählen, denen wir unsere Seele offenbaren.

www.jahr-der-barmherzigkeit.at