„When Jesus washed my sins away …“ - ein Interview zu Versöhnung, Neuanfang und Sakrament der Beichte mit Bischof Benno Elbs.

Beichte und Psychotherapie
Die Beichte und der Neustart
Schuld, Scheitern und Versagen
Schuldgefühl
Schuld und Sühne
Von Schuld frei werden
Schritte auf dem Weg der Versöhnung
Ein guter Rat

Beichte und Psychotherapie

Im Jahr der Barmherzigkeit lädt Papst Franziskus die Menschen ein, einen Neustart zu wagen – dazu öffnet er Heilige Pforten, lädt überall dazu ein, das Sakrament der Versöhnung neu in den Mittelpunkt zu stellen und gewährt den Ablass. Im Angesicht leerer Beichtstühle und voller Wartezimmer bei den Psychotherapeuten stellt sich die Frage, welcher Zugang denn heutzutage gefragt ist und was sich der Papst für die Menschen erhofft? Welche Chancen und Grenzen sehen Sie in diesen beiden Wegen der Beichte und der Psychotherapie?

Bischof Benno Elbs: Scheitern ist in vielen Bereichen heute eine Realität. Menschen erfahren einen großen Druck, perfekt zu sein, Anforderungen zu genügen. Der Perfektionswahn unserer Gesellschaft setzt viele unter Druck und Stress. In unserer Welt ist vieles im Ungleichgewicht. Wir sind verstrickt in globale Ungerechtigkeit, die Zerstörung der Umwelt, wir erleben Gewalt, Kriege und Terror.

Da ist der Begriff „Neustart“ richtig gewählt. Genau in diese zerrissene, unheile Welt kommt Gott. Jede Zeile des Evangeliums spricht davon, angefangen von der Geburt in einem Stall im Dunkel und Kälte der Nacht bis zu seinem Tod wie ein Verbrecher am Kreuz. Auferstehen, Aufstehen heißt der Zielpunkt. Das Sakrament der Versöhnung, der Beichte sagt dem Menschen: „Du bist nicht allein. Du bist OK. Gott schenkt dir einen neuen Anfang, selbst in jeder noch so ausweglos scheinenden Situation. Ohne Druck darfst du den Weg deines Lebens gehen.“ Das ist die große Chance eines Jahres der Barmherzigkeit, die Erfahrung, dass Gott die Tür seines Herzens offen hält für die Menschen, so wie die Heiligen Pforten offen sind für diesen Weg der Versöhnung.

Die Beichte und der Neustart

Das Sakrament der Beichte haben nicht nur die Gläubigen mehr oder weniger abgeschafft, sondern auch die Priester selbst. Lohnt es sich überhaupt hier nochmals einen Neustart zu wagen und wenn ja, wie soll der in unserer modernen Welt ausschauen?

Elbs: Die tiefe befreiende und heilende Erfahrung des Beichtsakraments, wie wir es etwa aus Berichten über den heiligen Pfarrer von Ars kennen, er war wohl auch ein großer Seelenkenner und „Psychologe“, ist den meisten Menschen heute eher fremd. Daran mag die Kirche nicht ganz unschuldig sein. Es gibt heute viele Formen von Unsicherheit, wir erleben Gewalt, Unrecht, Ausgegrenzt-Sein, Menschen, die verletzt und gekränkt sind. Hier kann die Beichte ein Schatz sein, der durch verschiedenste Umstände vielleicht gesunken ist, der aber neu gehoben werden kann. Es ist der Wunsch der meisten Menschen, ihr Leben in Ordnung zu bringen – ihre Beziehungen, die großen Fragen des Lebens, die uns beschäftigen. Letztendlich, glaube ich, ist die Beichte auch ein großer Dienst für den Frieden, weil sie uns in eine sensible Aufmerksamkeit gegenüber den Menschen führt, die mit uns leben.

Schuld, Scheitern und Versagen

Macht Schuld und die Erfahrung des Scheiterns uns Menschen krank? Und wie können wir uns von Schuld und Versagen lösen / frei werden, damit wir „gesund“ werden? Wie können bzw. müssen wir mit Schuld umgehen, damit wir nicht krank werden?

Elbs: Kränkungen machen krank. Schuld, die nicht versöhnt ist, Beziehungen, die nicht versöhnt sind, wirken gefährlich wie eine ungeordnete Deponie. Viele psychische Probleme resultieren aus Unversöhntem, aus Schuld in der Tiefe der Seele. Es gibt die Weisheit aus der Geschichte und auch im persönlichen Leben: Wer sich des Vergangenen, vielleicht Schmerzvollen, nicht erinnert, ist verurteilt, es zu wiederholen. Ein vergessenes Hiroshima führt zu einem Tschernobyl. Ein vergessenes Tschernobyl führt zur nächsten Atomkatastrophe. Die heilsame Erinnerung ist das, was Menschen in ein neues Leben führt und neue Wege möglich macht. Das kann die Beichte sein.

Schuldgefühl

Verlieren wir Menschen heute das Bewusstsein von Schuld? Gibt es ein „gesundes Maß“ an Schuldgefühl?

Elbs: Schuld wird gerne weggeschoben, man kann sie leugnen, verdrängen, zudecken: die Umstände, andere, die Gesellschaft, die Erziehung sind „schuld“, es gibt vielerlei „Schuldverschiebebahnhöfe“. Wer einen Fehler macht, im politischen oder wirtschaftlichen Bereich, wird gnadenlos „hingerichtet“. Dabei sind Schuldgefühle für die psychische Gesundheit hilfreich. Wie der Schmerz den Körper auf Gefahren hinweist, so sind Schuldgefühle Hinweisschilder in unserer Seele, die uns zeigen, wohin ein guter Weg führen möchte. Sie sind wie eine Spannung, die uns von einem Sollen zum Sein führen. Schuldgefühle sind eine Energie in der Tiefe unseres Herzens, die uns auf einen Weg bringen und in Bewegung setzen, um uns für das Gute einzusetzen. Deshalb sind gesunde Schuldgefühle für das persönliche Leben wie auch für den Weg einer Gesellschaft unerlässlich.

Schuld und Sühne

Gibt es zwischen „Schuld“ und „Sünde“ einen Unterschied? Und braucht es für den Umgang damit und für den Neustart unterschiedliche Zugänge?

Elbs: Schuld ist etwas, das oft zwischen Menschen geschieht, zwischen einem Du und einem Ich. Dieses Du kann in der heutigen Zeit auch die Schöpfung, die Mutter Erde sein, oder der „ferne Nächste“, wenn wir die globale Gerechtigkeit betrachten. Sünde meint eher die theologische Dimension von Schuld. Sünde stellt unser Leben in den großen Zusammenhang des Geheimnisses Gottes. Es gibt die Grundüberzeugung, dass Gott einen Traum hat für das Leben jedes Menschen, und es gibt auch die Möglichkeit, an diesem Traum des eigenen Lebens, an der Berufung schuldig zu werden, wenn ich ihn ignoriere, absichtlich nicht lebe. Wenn Gott Liebe ist, dann ist alles was Liebe, Zuwendung zerstört, durchkreuzt, im menschlichen Sinne Schuld, im theologischen Sinn aber auch Sünde, weil es dem Göttlichen widerspricht.

Von Schuld frei werden

„Ich vergebe dir“ – „Ich spreche dich los“ Was bedeutet denn die Zusage einer übergeordneten Macht (Arzt, Priester, Gott) für das Lösen von Schuld und Schuldgefühlen? Brauchen wir überhaupt diese Zusage einer anderen Person, um von Schuld frei zu werden?

Elbs: Ein äthiopisches Sprichwort lautet: „Das Wort, das dir hilft, kannst du dir nicht selbst sagen.“ Es gibt Worte, die für uns im Leben entscheidend sind: Ich liebe dich. Ich vertraue dir. Ich schätze dich. All das sind Worte, die wir uns nicht selbst sagen können. So ist es auch mit dem Wort: Ich vergebe dir. Das ist ein Wort, das uns nur andere und letztendlich, in einer tiefen theologischen Dimension, nur Gott sagen kann. Und deshalb ist das Wort „Deine Sünden sind dir vergeben“ ein großartiges Trostwort für eine tiefe Freude und Gelassenheit im Leben.

Schritte auf dem Weg der Versöhnung

Welche Schritte braucht es aus Ihrer Sicht auf dem Weg der Versöhnung und des Neuanfanges? Was sind zeitgemäße Formen, um Menschen zu einem Neuanfang zu verhelfen? Braucht es dafür das sogenannte „Opfer“?

Elbs: Der Umgang mit Schuld kennt eine bestimmte Heilsdynamik. Das erste ist auf jeden Fall das aufmerksame Wahrnehmen und achtsame Hinschauen auf mein persönliches Leben. Dann das Erkennen von Schuld und Verletzung im Leben. Ein nächster Schritt ist das Anerkennen, dass etwas schief gelaufen ist. Was nicht angenommen ist, kann auch nicht erlöst und versöhnt werden. Das ist auch eine Grundregel aus der Psychotherapie. Schwächen, Fehler, die nicht im Tiefsten auch angenommen und anerkannt werden, können nicht in eine heilsame Wandlung geführt werden. Das Benennen und Bekennen von Schuld und Sünde gegenüber einem Menschen, gegenüber einem Du, macht aus einem dumpfen Gefühl so etwas wie einen spitzen Schmerz, der letztendlich befreit und in eine neue Dimension des Lebens führt. Das Gespräch, das Sprechen über Schuld ist wohl die Hauptstraße zur Befreiung von Schuld. Und dann braucht es natürlich die Wiedergutmachung. Es gehört zur inneren Dynamik der Seele, dass man Dinge, die schief gelaufen sind, auch wieder gutmachen möchte, damit der gesunde Ausgleich wieder hergestellt wird. Umkehr, Versöhnung, Beichte sind nie ein punktuelles Ereignis, sondern ein Weg. Dieser Weg führt in Richtung Gesundheit und Freude, theologisch würden wir sagen, des Heiles und Heilseins.

Ein guter Rat

Was würden Sie aus Ihrer Sicht den Menschen heute raten? Was würden Sie als Arzt der Kirche raten? Was würden Sie als Priester und Bischof dem Psychotherapeuten mit auf den Weg geben?

Elbs: Die entscheidende Botschaft der Sakramente ist, dass sie Geschenke sind. Die Dynamik des modernen Menschen heißt: Ich muss etwas leisten, damit ich wertvoll bin. Ich bin das wert, was ich leiste. Die Dynamik der Gnade, die Dynamik der Sakramente im theologischen Sinn ist: Du bist geliebt vor jeder Leistung. Du bist wertvoll vor jeder Leistung. Du bist anerkannt, respektiert, vor jeder Leistung.

Das ist der entscheidende Unterschied zur Esoterik, auch zur Psychotherapie, dass es diese großartige Zusage Gottes gibt, die im Evangelium bei der Taufe Jesu so wunderschön zum Ausdruck kommt, wo Gott zu Jesus und somit auch zu uns sagt: Du bist mein geliebter Sohn, meine geliebte Tochter, an dir habe ich Gefallen gefunden (vgl. Lk 3,22). Deshalb führt das Sakrament der Versöhnung zu einer tiefen Gelassenheit, weil ich weiß, dass mir persönlich diese Zusage gilt: Du darfst neu beginnen. Du musst nicht perfekt sein, es darf eine Lücke in deinem Leben geben. Und es gibt diesen Auftrag: „Deine Sünde ist dir vergeben, geh hin und sündige nicht mehr“, mit anderen Worten: Tu das Gute! Immer wieder neu!