Die Sintfluterzählung greift Situationen auf, in denen die gesamte Menschheit in großer Gefahr ist. Sie ist reich an Bildern, die Ängste, Erfahrungen, Handlungsweisen und Hoffnungen der Menschen widerspiegeln. In der Fastenzeit wird Bibelreferent Erich Baldauf wöchentlich einige dieser Bilder erschließen.

Erich Baldauf

Die Erzählung von der Sintflut (Gen 6,5 - 9,29) - „umfassende Überschwemmung“ - hat nichts mit Sünde zu tun und ist keine Erfindung des Volkes Israels. Sie ist ein alter Mythos. Vermutlich steht er geschichtlich in Verbindung mit der Entstehung des Mittelmeeres oder des Schwarzen Meeres durch das Einlaufen des Wassers in vormals trockenes Land. Das Volk Israel dürfte in Babylon der Erzählung begegnet sein, im sogenannten Gilgamesch-Epos. Die Schilderung dieser Sintflut war mit großer Wahrscheinlichkeit die Vorlage der biblischen Erzählung. Die Erzählungen unterscheiden sich in einem Punkt ganz wesentlich: Im Gilgamesch-Epos rivalisieren Gottheiten und Halbgötter um das Schicksal des Menschen.

In der Bibel wird das Ereignis vor dem Hintergrund des einen Gottes geschildert. Es ist der eine Gott, der in seiner Reaktion auf die Schlechtigkeit der Menschen hin- und hergerissen ist. Er ringt mit sich selbst, plant zunächst die Vernichtung, und dann reut ihn sein erster Plan. Er entschließt sich letztlich zu einem Bund mit dem Menschen. 

Die Sintfluterzählung ist hoch aktuell. Der Mensch hat es in der Hand, den Lebensraum zu zerstören. Man denke an die Erderwärmung oder auch an die Atomarsenale der Welt. Wir stehen mitten in der Covid-19-Pandemie, die ebenso eine Gefahr für Menschen über alle Grenzen hinweg darstellt. Die Menschen sind mitverantwortlich für die Gefährdungen. Die Rettung erfordert außergewöhnliche Maßnahmen. Es braucht Geduld und Ausdauer.
Im Bewältigen der Krisen spielt die Spiritualität der Menschen eine wichtige Rolle. Die Sintfluterzählung ist eine jener Rettungsgeschichten, aus der wir dazu wertvolle Impulse erhalten können. Das Volk Israel erzählt sie jeweils den Kindern als Hoffnungsgeschichte.

Austausch und Vertiefung zur Sintfluterzählung: So 21. Februar, 19.30 Uhr. Online per Zoom. Zugangsdaten unter www.bibellabor.at.

„Noach“ – der ruhende Pol

„Da sprach Gott zu Noach: Ich sehe, das Ende aller Wesen aus Fleisch ist gekommen; denn durch sie ist die Erde voller Gewalttat. Mach dir eine Arche aus Goferholz!“ (Gen 6,13a.14a).
„Der Herr sprach zu Noach: Geh in die Arche, du und dein ganzes Haus, denn ich habe gesehen, dass du in dieser Generation ein Gerechter vor mir bist!“ (Gen 7,1).

Die Sintfluterzählung beschäftigt sich mit dem Thema von Megakrisen, die einzelne Menschen völlig übersteigt. Unbedachtheit, Katastrophen und offene bzw. versteckte Gewalt können zur Gefahr für den Menschen werden (Atombombenarsenale mit ungeheurem Zerstörungspotential, Erderwärmung, Covid-19 Pandemie, die ohne außerordentliche Maßnahmen das Leben von Millionen und deren Gesundheit gefährden würden).
Die Geschichte von Noach zeigt unmissverständlich, wann das Leben gefährdet ist und Gott auf den Plan gerufen wird. Die Schöpfung als sein Ursprungswerk gibt er nicht preis. Er wirkt mit seinem Wort. Er spricht Noach an und trägt ihm auf, eine Arche zu bauen.
Wer ist dieser Noach? Sein Name ist Programm, auf Deutsch: „Ruhe“, „Ruhestifter“.

Es ist ein Mensch, der in sich ruht, der aus seiner inneren Mitte heraus lebt und wirkt. Es ist ein hörender Mensch, kein Schreier und keiner, der mit seinem Handeln nach Zustimmung heischt. Er tut, was er vermag und zu seiner Zeit richtig ist. Er rettet nicht die Welt. Er baut eine Arche.
Ein Mensch, der in sich ruht, entwickelt einen Weitblick und beginnt rettende Archen zu bauen. Jede Initiative, die der Klimaerwärmung entgegenwirkt, gleicht dem Bauen einer Arche. Die Entwicklung eines Impfstoffes in so kurzer Zeit wirkt wie eine rettende Arche. Nur die gleiche Welt wie vor der Pandemiekrise zurückhaben zu wollen, ist jedoch kein Bauen von Archen. Die Welt wird sich nach der Krise verändert haben - so wie sich auch die Welt von Noach nach der Sintflut verändert hat. An der alten Welt festzuhalten bedeutet ein Ertrinken in den Fluten.
Noach dachte und handelte in die Zukunft planend.

(aus dem Vorarlberger KirchenBlatt Nr. 7 vom 18. Februar 2021)