Die Fastenpredigten 2010 in der Wallfahrtskirche Maria Bildstein: Am 14. März (4. Fastensonntag) mit Dr.in Nora Bösch, Pastoralassistentin in Dornbirn-St.Martin.

Mitten im Lukasevangelium finden wir dieses Gleichnis vom verlorenen Sohn, das vielen von uns schon seit Kindheit vertraut ist. Lukas stellt es in die Mitte und rückt damit die Größe der Liebe Gottes ins Zentrum.
Schauen wir doch einmal auf die Situation, in die hinein das Gleichnis gesprochen wird. Lukas hat berichtet, dass von überall her im Land Menschen zu Jesus kommen, Menschen, die in der Gesellschaft kein Ansehen mehr haben, die entrechtet und wertlos sind. Jesus hat sie in seine Nähe gelassen, hat sie angesehen, ihnen ihre Würde zurück gegeben. Bei ihm haben sie wieder Hoffnung geschöpft, doch wieder ein anständiges Leben führen zu können.

Doch das sehen nicht alle so: Die Pharisäer und Schriftgelehrten empören sich darüber. Sie, die immer alles richtig machen, die Gebote befolgen, ein ehrbares Leben führen – für sie ist es ein Skandal, dass die Verachteten Gottes Liebe erfahren können, dass sie auf seine Güte, sein Verständnis und sein großes Herz hoffen dürfen.
In diese Kluft zwischen Gesetzesgehorsam und Verständnis, zwischen Treue zu den Geboten und dem Versagen, zwischen richtig und falsch, da hinein erzählt Jesus das Gleichnis von dem Vater und den zwei Söhnen, dem einen, der alles falsch macht, und dem anderen, der sich nie etwas zuschulden kommen lässt.

Der jüngere Sohn lebt den Traum vom großen Glück. Sein Freiheitswille ist so stark, dass er nicht davor zurück schreckt, seinen Vater zu verletzen, sein bisheriges, gesichertes Leben mit Füßen zu treten. Keinen Augenblick denkt er daran, etwas Unrechtes zu tun: Er will ja nur das, was ihm zusteht, und damit tun, was er für richtig hält. Er genießt die Freiheit in vollen Zügen, bis sie an ihre Grenzen stößt: die materiellen, weil das Geld ausgeht, die seelischen, weil plötzlich Einsamkeit und Versagen da stehen. Aus diesem tiefsten Elend heraus wird der Weg frei zur Umkehr.

Umkehr und Begegnung

Er begegnet einem Vater, der seine Not sieht. Einem Vater, der sich dem Elend zuwendet. Der nicht fragt: „Wie hat es so weit kommen können?“ Den das Mitleid packt, als er das ganze Elend dieser Schuld sieht. Er ist ein Vater, der die Rückkehr des jüngeren Sohnes als eine Rückkehr ins Leben sieht, und dem gibt er Ausdruck mit seiner Freude. Er schenkt ihm dem Ring als Zeichen der Wiederaufnahme als Sohn, er gibt ihm ein neues Kleid und damit seine Würde zurück, und er lässt Schuhe für ihn holen, die den Verlorenen wieder als freien Menschen gelten lassen.

Der ältere Sohn ist erbost. Wir können das gut verstehen. Er, der immer alles richtig gemacht hat, der seine Pflichten als Sohn erfüllt hat, der zu Hause geblieben ist und ein rechtschaffenes Leben gelebt hat – er fühlt sich betrogen. Da geht sein jüngerer Bruder hin, lebt in Saus und Braus, nimmt vom Leben, was er bekommen kann, und wenn das Geld ausgeht, geht er heim und bekommt scheinbar mehr Liebe vom Vater als er je bekommen hat. Zorn packt ihn.

Das Ende des Gleichnisses ist offen. Der Vater versucht, den ältern zu Verständnis zu bewegen, seine Freude an der Rückkehr des Bruders zu wecken. Ob es ihm gelingt, wissen wir nicht.

Die Frage nach der Liebe Gottes stellen

Dieses Gleichnis stellt uns wieder einmal die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes. Nach unseren Maßstäben ist sie oft unverständlich. Immer wieder hören wir, dass diejenigen, die sich nichts zuschulden kommen lassen, nicht besser aussteigen als diejenigen, deren Leben nicht so geradlinig verläuft.
Gerades dieses Gleichnis lädt uns ein, mehr als nach der Gerechtigkeit Gottes die Frage nach der Liebe Gottes zu stellen. Und dann erkennen wir, dass dieser Gott der ist, der immer schon die Not seines Volkes gesehen hat, der sich auf die Seite derer stellt, die Opfer geworden sind und versagt haben, ganz egal, wer die Schuld daran trägt. Es ist ein Gott, der den Entrechteten ihre Würde wieder zurück gibt. Und dafür verlangt er keine Gegenleistung oder große Versprechen. Er wünscht sich, dass wir fähig werden, die Not in unseren Herzen und in denen der anderen zu sehen und ihm so unsere Liebe zeigen. Er wünscht sich, dass wir die Beziehung zu ihm wieder aufnehmen.

In drei Wochen feiern wir Ostern. Die Gesetzestreue der Pharisäer gipfelt darin, dass sie nicht anders können als denjenigen in aller Öffentlichkeit zu quälen und zu töten, der diesen Gesetzesgehorsam in Frage stellt. Doch die Liebe und das Erbarmen, das Jesus verkörpert, lässt sich nicht auslöschen.
Bitten wir Gott, dass er auch unser Herz öffnet zum Erbarmen und zur Vergebung, so wie auch er uns annimmt mit unserem ganzen Leben.

Dr.in Nora Bösch
Pastoralassistentin, Dornbirn-St.Martin

(Bild rechts oben: Rembrandt van Rijn, "Die Rückkehr des verlorenen Sohnes", um 1662, Ausschnitt)