Für das Verständnis des Religionsunterrichts in Österreich in seiner spezifischen Situation ist es hilfreich, den Blick in die Geschichte der religiösen Bildung in Österreich zu richten und die wesentlichen Aspekte ihrer Entwicklung anzusprechen. Neben strukturellen und organisatorischen Veränderungen sind es vor allem die inhaltlichen Entwicklungen, die deutlich machen, dass der konfessionelle Religionsunterricht in seiner heutigen Form für ein ganzheitliches Bildungssystem (wie es in Österreich auch rechtlich eingefordert bzw. grundgelegt ist) eine unverzichtbare Größe darstellt.

Theodor Lang

Neben Familie und Gemeinde gestaltet sich der Religionsunterricht in einem jahrhundertelangen Prozess als dritte Instanz christlicher Bildung und Sozialisation aus. Bis ins 13. Jahrhundert hatten die bischöflichen Schulen, die Ordensschulen, die Dom- und Stiftsschulen sowie die Pfarrschulen einen nachhaltigen Einfluss auf das Bildungswesen und damit auch auf den späteren Religionsunterricht in Europa. In ihrer Grundstruktur und in ihren Lebensäußerungen waren diese Schulen insgesamt christlich orientiert. Der Tagesablauf gestaltete sich mit Gottesdiensten, Psalmengebeten, Lesenlernen mit der Bibel sowie den christlichen Grundgebeten. Für ein eigenes Fach Religion gab es daher keinen Bedarf.

Die konfessionelle Identitätssuche und die territorialstaatlichen Auseinandersetzungen im 16. und 17. Jahrhundert führten zum Ausbau des Schulwesens. Ebenso entwickelten sich in dieser Zeit die ersten normativen protestantischen und katholischen Katechismen, die dann in weiterer Folge die inhaltliche Grundlage für ein eigenes Fach Religion bildeten.[1]

Erst im 18. Jahrhundert begann die Verstaatlichung des bis dahin kirchlichen Schulwesens. Mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht im 18. Jahrhundert wurde der Religionsunterricht zum Pflichtfach mit 7 Wochenstunden und zur Sinninstanz mit den drei Lerngegenständen Bibel, Katechismus und Kirchenlied erklärt.[2]

Die liberalen Kräfte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts strebten nach einer Umgestaltung des österreichischen Schulwesens. Eines ihrer Hauptziele in diesem Zusammenhang war eine Befreiung des Schulwesens aus der kirchlichen Vorherrschaft. Am deutlichsten zeigt sich dieses Bestreben in den Maigesetzen von 1868 und dem Gesetz über das Verhältnis der Schule zur Kirche. Darin wurde die unmittelbare Beaufsichtigung des Religionsunterrichts und der religiösen Übungen der betreffenden Kirche überlassen. Der Unterricht in den übrigen Fächern ist unabhängig vom Einfluss jeder Kirche bzw. Religionsgesellschaft.

Die Nationalsozialisten degradierten nach der Machtübernahme im Jahr 1938 den Pflichtgegenstand Religion zu einem Freigegenstand und die „Missio Canonica“ (bezeichnet die kirchliche Beauftragung mit Verkündigungs- und Lehraufgaben) zur Erteilung des Religionsunterrichtes musste abgeschafft werden.[3]

Nach dem 2. Weltkrieg 1945 wurden alle schulrechtlichen Bestimmungen bzw. Gesetze aus der nationalsozialistischen Zeit umgehend aufgehoben.[4]

Die rechtlichen Rahmenbedingungen des heutigen Religionsunterrichts

Die geltenden Rechtsquellen für den Religionsunterricht in Österreich sind in den verschiedenen Ebenen (Staatsrecht, Verfassungsrecht, Völkerrecht, Menschenrecht, Spezialrecht) ausgeführt und gehen auf das 19. Jahrhundert zurück. Die einschneidende Rechtsgrundlage für das Fach „Religion“ findet sich in Art. 17 des Staatsgrundgesetzes von 1867, das in der „ersten Republik“ durch Art. 149 Abs. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes von 1920 als Verfassungsgesetz angenommen wurde.[5]

Die einschlägigen Sätze aus Art. 17 StGG 1867, die Sätze 4 und 5, lauten: Für den Religionsunterricht in den Schulen ist von der betreffenden Kirche oder Religionsgesellschaft Sorge zu tragen. Dem Staat steht rücksichtlich des gesamten Unterrichts- und Erziehungswesens das Recht der obersten Leitung und Aufsicht zu.[6]

Damit wird deutlich, dass es sich beim Religionsunterrichtsgesetz um eine sogenannte „res mixta“ handelt, also um eine gemeinsame Angelegenheit, die sowohl staatliche Angelegenheit ist als auch Angelegenheit der Kirchen und Religionsgesellschaften, d.h. dass die Finanzierung des Unterrichts durch den Staat (Bezahlung der Religionslehrerinnen und Religionslehrer, Übernahme der Kosten für die Unterrichtsmaterialien) geschieht. Die Inhalte werden jedoch aus Gründen der Neutralität des österreichischen Staates allein von den Kirchen und Religionsgesellschaften festgelegt.

Die verfassungsrechtliche Grundlage des Religionsunterrichts findet ihre Konkretisierung (einfachgesetzliche Umsetzung) im Religionsunterrichtsgesetz aus dem Jahr 1949 und den damit verbundenen verschiedenen Erlässen.

Weitere rechtliche Grundlagen finden sich im völkerrechtlichen Vertrag zwischen dem Hl. Stuhl und der Republik Österreich im Konkordat aus dem Jahr 1933 (in Kraft getreten 1934). Die im Art VI vereinbarten Bestimmungen wurden durch den sogenannten Schulvertrag (vom 9. Juli 1962) ersetzt. Dieser regelt den konfessionellen Religionsunterricht, das kirchliche Privatschulwesen und deren Subventionierung.  

Mit den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention hat ein umfassender Schutz von Religionsfreiheit Eingang in die österreichische Rechtsordnung bzw. in die österreichische Verfassung gefunden. Ausdrücklich betont Art. 2 Abs. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention, das gleichfalls Bestandteil des österreichischen Bundesverfassungs-rechts ist:

Der Staat hat bei der Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, "die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen".

In diesem Sinn bezeichnet § 2 des Schulorganisationsgesetzes die "Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten grundsätzlich als Aufgabe der Schule".[7]

Die Veränderungen und Entwicklungen des Religionsunterrichts seit 1962

Vor mir liegt das Religionsbuch aus meiner Volksschulzeit. Es ist das „Katholische Religionsbüchlein“ von Wilhelm Pichler, das im Tyrolia Verlag 1960 erschienen ist und einigen aus unserer Generation durch die eindrücklichen Farbbilder von Philipp Schumacher noch in Erinnerung sein dürfte. Ich erwähne es deswegen, weil es den Unterschied zwischen Katechese und Religionspädagogik sehr deutlich macht, denn am Ende jedes einzelnen Kapitels stehen mehrere Fragen und die entsprechenden Antworten bzw. Gebete dazu. Die Antworten waren fett gedruckt und mussten „wörtlich eingeprägt“ werden.

 So lesen wir im ersten Kapitel „Wie der liebe Gott die Welt gemacht hat“ etwa folgende Fragen:

„1. Ist Gott immer gewesen?“ Antwort: „Gott ist immer gewesen. Er wird auch immer sein. Wir sagen deshalb: Gott ist ewig.“

„2. Wer hat alle Dinge erschaffen? Gott hat alle Dinge erschaffen.“

„3. Was kann Gott machen? Gott kann alles machen, was er will. Wir sagen deshalb: Gott ist allmächtig.“ usw. [8]

In 78 „Lehrstücken“ lernte ich und alle anderen Mitschülerinnen und Mitschüler die Lehraussagen der katholischen Kirche kennen.

Dieses Frage-Antwort-Geschehen galt bis weit in die 1970er Jahre als das unterrichtsdidaktische Prinzip des Religionsunterrichtes und steht in der Tradition der neutestamentlichen Verkündigung. Der Fachbegriff für diese Form der mündlichen Unterweisung lautet Katechese, also die „grundlegende Einführung ins Ganze der christlichen Lehre“ oder in einer Kurzformel zum Ausdruck gebracht: „Religionsunterricht ist Kirche in der Schule“.

Im Sog gesellschaftlicher Demokratisierungsprozesse, kultureller Modernisierungen und tiefgreifender Veränderungen der Rolle von Religion in der Gesellschaft am Ende der 60er und zu Beginn der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts erhielt auch der Religionsunterricht ein neues Gesicht:

Der Neuansatz lautete „problemorientierter Religionsunterricht“ auf evangelischer Seite und „Korrelationsdidaktik“ auf katholischer Seite, in der zusehends die Fragen der Schülerinnen und Schüler ins Blickfeld des Unterrichtsgeschehens kommen, also ein weg von einer rein biblisch orientierten hin zu einer lebensweltlich orientierten Didaktik.

Der entscheidende Durchbruch der Neustrukturierung des Religionsunterrichtes gelang aber erst mit dem Beschluss der Würzburger Synode 1975 zum schulischen Religionsunterricht. Der Synodentext beeinflusste ebenso die Konzeption des Religionsunterrichts in Österreich erheblich. Fortan wurde auch kirchenoffiziell im Hinblick auf die Weltkirche zwischen Katechese und Religionsunterricht unterschieden.  Der Religionsunterricht „dient nicht primär einer systematischen Stoffvermittlung.“[9] Zeitgemäßer Didaktik entsprechend muss er sich den Fragen der Schülerinnen und Schüler stellen, ihren Problemen nachgehen und Erfahrungen vermitteln. Der Beschluss sah somit eine Veränderung des Religionsunterrichts vor, indem vom missionarischen Konzept Abstand genommen wurde hin zu einem diakonischen Konzept religiösen Lernens in der Schule.

Ein weiterer Meilenstein in der Veränderung des Religionsunterrichts zu seiner heutigen Gestalt ist die durch die PISA-Studie 2000 entstandene Bildungsreform, deren Leitmotiv „von der Input- zur Outputorientierung“ lautet. Entscheidend ist also nicht mehr der Input von Lehrplänen. Maßgeblich ist vielmehr, was Schülerinnen und Schüler nach einer bestimmten Zeit wirklich können (= Output). Fortan geht es um die Fähigkeiten und Fertigkeiten, welche die Lernenden im Religionsunterricht erlernen können. Oder anders gefragt: Wie kann die Frohe Botschaft im Unterricht erschlossen werden, sodass sie für die Schülerinnen und Schüler lebensbedeutsam wird?

Konfessioneller Religionsunterricht und Ethik schaffen einen Mehrwert

Eines der aktuellen bildungspolitischen Ziele ist es, Ethik als Pflichtgegenstand für alle Schülerinnen und Schüler einzuführen, die keinen Religionsunterricht besuchen. Der Hintergrund für die seit den 1990er Jahren immer wieder geführten Diskussion um die Einführung des Ethikunterrichtes ist die gesellschaftliche Entwicklung: In den vergangenen Jahrzehnten stieg der Anteil der Personen ohne religiöses Bekenntnis ständig an. Waren es in den 1980er Jahren noch 1,2 % der Schülerinnen und Schüler, sind es heute bereits 7% in den Schulen Vorarlbergs. Bekenntnislose und vom Religionsunterricht abgemeldete Schülerinnen und Schüler hatten bisher eine Freistunde.

Seit dem Schuljahr 1997/98 läuft an vielen österreichischen höheren Schulen ein Schulversuch, in dem der Ersatzpflichtgegenstand „Ethik" für Schülerinnen und Schüler eingeführt wurde, die an keinem konfessionellen Religionsunterricht teilnehmen können oder wollen. Alle Schülerinnen und Schüler, die einer gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgemeinschaft angehören und sich vom Religionsunterricht abgemeldet haben, müssen Ethik als Pflichtgegenstand besuchen.

Nach über 20 Jahren Schulversuch wird im Schuljahr 2020/21 „Ethik“ für die Oberstufe der Gymnasien in den Regelunterricht übernommen. Ab dem Schuljahr 2021/22 gilt diese Regelung auch für alle Berufsbildenden mittleren und höheren Schulen.

Trotz der großen Parallelen zwischen dem Bildungs- bzw. Erziehungsauftrag der beiden Fächer bleibt dem Religionsunterricht die religiöse Bildung der Kinder und Jugendlichen zugeordnet. Er kann junge Menschen befähigen, dass sie selbständig religiös denken, fühlen und handeln lernen, um in verantworteter Freiheit ihren eigenen Weg zu finden. Wenn ihm das auch nur exemplarisch gelingt, hat er eine unersetzliche Aufgabe im Ganzen des österreichischen Schulsystems.


[1] Vgl. Nastainczyk, Wolfgang: „Religionsunterricht. I Historisch“ in: Walter Kasper (Hg.): Lexikon für Theologie und Kirche; Herder Verlag GmbH, Freiburg, 3 Auflage, 1999, Band 8, S 1074f.

[2] Vgl. ebenda, S 1075

[4] Vgl. Wilhelm Rees, Religionsunterricht in österreichischen Schulen, in: Heinrich de Wall und Michael Germann (Hg.): Bürgerliche Freiheit und christliche Verantwortung, Festschrift für Christoph Link zum siebzigsten Geburtstag; Mohr Siebeck Verlag, Tübingen, 2003, S 394.

[5] Zu einem Überblick über die Rechtslage bezüglich des Religionsunterrichts in Österreich vgl. Richard Potz – Brigitte Schinkele, Religionsrecht im Überblick, Facultas.WUV, Wien 2005, S 116-122.

[8] Erzb. Amt für Unterricht und Erziehung (Hg.), Katholisches Religionsbüchlein, Wilhelm Pichler, Tyrolia Verlag, Innsbruck, Verlag Herder, Wien, 1960, S 9.