Welchen Religionsunterricht brauchen wir in Zukunft? Annamaria Ferchl-Blum und Maria Lang begleiten Vorarlbergs Schulen seitens des Schulamts der Diözese Feldkirch auf dem Weg zu einem neuen Verständnis eines alten Fachs.

In Tirol wurde vor kurzem eine Art Imagekampagne gestartet, die „5 gute Gründe für den Religionsunterricht“ anführt. Hat der Religionsunterricht ein Imageproblem?

Annamaria Ferchl-Blum: Nein, das nicht unbedingt. Was wir aber erleben, sind Veränderungen auf verschiedenen Ebenen, die auch den klassischen konfessionellen Religionsunterricht betreffen. Da wäre zum einen die über die Jahre merklich gesunkene Zahl an SchülerInnen mit römisch-katholischem Bekenntnis, zum anderen der anstehende Generationswechsel bei den ReligionslehrerInnen, der uns vor organisatorische Herausforderungen stellt. Und nicht zuletzt ist Schule auch ein Abbild einer säkularisierten Gesellschaft – und es wird in den Kollegien durchaus kontrovers diskutiert, ob der konfessionelle Religionsunterricht noch seine Berechtigung hat.

Hat er?

Annamaria Ferchl-Blum und Maria Lang21.03.2018Annamaria Ferchl-Blum: Schule ist der wichtigste Lebensraum für Kinder und Jugendliche. Und zugleich sollte Schule auch ein Ort sein, wo man lernt, was es heißt, sich für Schwächere einzusetzen, sich an einer Sozialaktion zu beteiligen, gut mit Leid, Tod und Trauer umzugehen. Das sind alles Dinge, die zu einer humanen Schulkultur gehören und weit über den Religionsunterricht hinausreichen – obwohl die ReligionslehrerInnen in der Regel eine wichtige Rolle spielen und diesen Dingen in ihrem Unterricht viel Platz einräumen. Darauf zielt auch die Tiroler Aktion ab: Es geht darum, bei allen, die zu einer Schulgemeinschaft gehören – SchülerInnen, LehrerInnen, Eltern – ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was Religionsunterricht heute sein kann.

Maria Lang: Ziel muss es sein, das Fach zu weiten, wie es der Religionspädagoge Hans Mendl formuliert hat. Da bieten sich viele Möglichkeiten, um zum Beispiel mit den Pfarren oder mit anderen Institutionen zusammenzuarbeiten. Als 2015 auf einmal so viele Flüchtlinge gekommen sind, ist ganz viel in diese Richtung passiert – in Kooperation mit Caritas, Lernhilfe und Elternvereinen etc.

Annamaria Ferchl-Blum: Es gibt Schulen, die haben da eine lange Tradition in der Kooperation mit verschiedenen Einrichtungen – allerdings hängt das eben oft mit den handelnden Personen vor Ort ab.

Inwiefern?

Maria Lang: Es gibt immer seltener die klassischen LehrerInnen, die ausschließlich Religion unterrichten und in diesem Fach gut ausgebildet sind. Damit gehen für vieles auch Ansprechpartner verloren. Für manche Priester ist die Frage zum Beispiel: „Ja, wer unterrichtet denn jetzt in meiner Pfarre Religion, an wen kann ich mich wenden?“ Wenn heute jemand mit 22, 24 Wochenstunden unterwegs ist, sind davon vielleicht vier Stunden Religion – aber eben auch vier Stunden Werkerziehung. Da bleibt oft nicht mehr viel Spielraum für die Vorbereitung von Sonderaktionen im Rahmen jener 30 Stunden, die im Jahr eigentlich für die so genannten religiösen Übungen zur Verfügung stehen. Wir sehen es darum vermehrt als unsere Aufgabe hinzuschauen, wie wir unterstützen können und vermitteln können.

Das heißt, zu helfen, auch die Beziehungen von Pfarren und Schulen neu zu entwickeln?

Annamaria Ferchl-Blum: Genau. Es ist zum Beispiel so, dass aus den Pfarren immer noch eine gewisse Erwartungshaltung besteht, dass die Erstkommunion-Vorbereitung in der Schule passiert und die ReligionslehrerInnen hier eine tragende Rolle haben. Das werden wir so in Zukunft nicht mehr leisten können. Bei der Firmung ist es ohnehin schon anders, weil die SchülerInnen älter sind und verstreut in verschiedene Ausbildungssituationen. Zusätzlich hat sich verändert, wie es um die Kirchenbeheimatung und Spiritualität bei den jungen ReligionslehrerInnen bestellt ist. Die sind unter Umständen nicht selbstverständlich in einer Pfarre verankert, sondern leben wie moderne Menschen: Voller Mobilität, in verschiedensten Lebensformen, froh, wenn sie irgendwo einmal an einer religiösen Feier teilnehmen können, aber das muss eben nicht zwingend Sonntagvormittag sein. Das ist so in Ordnung, aber man muss es auch im Blick haben vonseiten der Pfarren.

Maria Lang: Das gilt natürlich auch für die SchülerInnen selbst: Viele der Kinder sind am Sonntag nicht in der Messe und kennen darum auch die Priester nicht mehr. Weshalb ich diese immer wieder ermutige: Traut Euch, auf die Schulen zuzugehen und Euch wieder einmal vorzustellen! Das ist ein Novum – auch für diejenigen, die Pastoral betreiben oder die in der Pastoral tätig sind.

Die gesunkene Zahl der bekennend katholischen SchülerInnen haben wir bereits berührt. Inwiefern beeinflusst das den Religionsunterricht?

Annamaria Ferchl-Blum: An unseren Schulen werden zurzeit insgesamt 54.597 Kinder und Jugendliche unterrichtet, von denen um die 36.000 katholisch sind. Wenn man da die Abmeldungen vom Religionsunterricht abzieht, bleiben knapp über 30.000 SchülerInnen, die katholischen Religionsunterricht besuchen. Dazu kommt eine beachtliche Zahl von SchülerInnen ohne religiöses Bekenntnis, die trotzdem teilnehmen und auch eine Note bekommen. Gerade im Volksschulbereich wird diese Besonderheit im Religionsunterrichtsgesetz Österreichs immer wieder in Anspruch genommen, z. B. von Eltern ohne Bekenntnis, die der Meinung sind, dass ihr Kind trotzdem einen Bildungsprozess in einem Fach Religion durchlaufen sollte. Das Spezielle in Vorarlberg ist, dass diese Kinder sogar gruppenbildend gezählt werden, denn es braucht eine bestimmte Anzahl von SchülerInnen, damit zweistündiger Religionsunterricht stattfinden kann – und manchmal ist das Kind o. B. dann das Zünglein an der Waage. Trotzdem gibt es bei uns in Vorarlberg Standorte, an denen wir mit diesem konfessionellen Konzept an unsere Grenzen stoßen.

Warum?

Annamaria Ferchl-Blum: Wir haben Schulen, die sind so bunt, dass man sich schon die Frage stellen muss, ob es zeitgemäß ist, dass alle in winzig kleine Grüppchen verschwinden, sobald Religion auf dem Stundenplan steht. Deshalb fahren wir in Bludenz-Mitte zum Beispiel inzwischen so, dass wir eine Stunde Religion gemeinsam im Klassenverband unterrichten. Dort wird versucht, interkulturelle und interreligiöse Themen zu bearbeiten, die Religion mitunter betreffen, aber nicht unbedingt von ReligionspädagogInnen unterrichtet werden müssen. Die zweite Stunde ist konfessionell gebunden. Das ist ein guter Weg – allerdings haben wir vor allem in den Mittelschulen sehr viele einstündige Situationen aufgrund des Lehrermangels –was natürlich viel wegnimmt von dem, was das Fach leisten könnte.

Wie kommt dieser Lehrermangel zustande?

Maria Lang: Wir haben einen sehr großen Anteil an Lehrpersonen, die zwischen 50 bis 60 Jahren alt sind und kurz vor der Pensionierung stehen. Das sind zum Großteil noch die „klassischen“ ReligionslehrerInnen, die das Fach ausschließlich unterrichten.

Annamaria Ferchl-Blum: Die Gruppe, die nachkommt, ist deutlich kleiner, weshalb uns ein Personalmangel erwartet, den wir höchstwahrscheinlich nicht vollumfänglich auffangen können. Dazu kommt eine breite Streuung, was die Ausbildungshintergründe betrifft: Es gibt die, die gar keine dezidiert religionspädagogische Ausbildung haben, sondern „nur“ klassische Pädagogen sind, die den Unterricht auf Basis ihrer Katholizität, ihrer Kirchennähe oder aus dem Klassenvorstand heraus übernehmen. Und wir haben die, die sehr gut ausgebildet sind. Bisher gab es neben diesen ordentlich befähigten Personen auch noch die außerordentlich befähigten, die neben ihrem Studium eine Zusatzqualifikation an der Pädagogischen Hochschule erworben haben. Das wird es in Zukunft voraussichtlich aber nicht mehr geben, weil die kirchlich-pädagogische Hochschule eine umfangreiche Ausbildung mit einem tollen Curriculum im Umfang von 60 ECTS anbietet, und Bedenken da sind, ob man hochschulintern mit einer „Schmalspurausbildung“ konkurrieren sollte.

Maria Lang: Ich bin überzeugt, dass wir noch einen anderen Weg brauchen. Zwar kann man diesen 60-ECTS-Lehrgang auch berufsbegleitend belegen, aber das ist schon eine große Herausforderung.

Vermutlich nicht die einzige, oder?

Annamaria Ferchl-Blum: Nein, das Fach ist insgesamt anspruchsvoller geworden: Wir beobachten ist, dass Religion stärker als Schulfach in den Blick genommen werden muss – sonst haben wir im Fächerkanon nur schwer einen Stand bzw. Bestand. Früher war Religionsunterricht vielerorts gedacht als die Arbeit der Kirche in der Schule, und jetzt müssen wir es vielmehr sehen als Pflichtgegenstand in einem Fächerkanon, der Veränderungen unterworfen ist. Zwei wichtige Stichworte sind die Kompetenzorientierung und Standardisierung. Die Lehrer sind gefordert, in einer anderen Art und Weise zu unterrichten als früher – stärker lernorientiert als lehrorientiert. Und es muss auch transparenter und klarer sein, was in einem Fach vor sich geht und was am Ende eines Bildungsprozesses zu erwarten ist.

Maria Lang: Viele Schulen entwickeln über die Schulautonomie außerdem selber Fächer. Vielleicht ist da mittelfristig auch Platz für einen überkonfessionellen Religionenunterricht, der den veränderten Bedürfnissen und Konflikten im multikulturellen Schulalltag begegnet.

Wie sehen die aus?

Annamaria Ferchl-Blum: An manchen Standorten gibt es immer wieder Streitereien aufgrund der Religionen, Kinder tun einander lästig, weil die einen zum Beispiel Speisevorschriften einhalten oder aus religiösen Gründen anders gekleidet sind. Das ist ein Thema, das dringend kultiviert werden muss und wo es einen Bildungsprozess braucht, damit ein gegenseitiges Verständnis entsteht und alle wissen, wieso und warum es geht.

Maria Lang: Genau! Aber ich sehe da Potential: Es gibt zum Beispiel Kindergärten, in denen neben den christlichen Festen auch etwas wie das muslimische Zuckerfest gefeiert wird oder bei Veranstaltungen nicht nur Bratwurst serviert wird, sondern auch Gerichte aus anderen Kulturkreisen. Aber da muss man insgesamt noch viel kreativer und offener werden. Das meine ich damit, wenn ich sage, dass man das Fach weiten muss. Da geht es nicht darum, irgendwas zu verlieren, sondern unheimlich viel zu gewinnen. Die Königsdisziplin ist natürlich, hinterher miteinander interreligiös zu feiern…