Was macht den Religionsunterricht an Berufsschulen besonders? Was leistet er für die Schule als Ganzes und die SchülerInnen persönlich? Christine Fischer-Kaizler, Religionslehrerin an der Landesberufsschule Bregenz 1, im Gespräch.

Foto: Bei der Lehrlingswallfahrt 2018: Christine Fischer-Kaizler, Sr. Immaculata Ebner und Schüler

Christine, man sagt, du seist „Berufsschullehrerin aus Leidenschaft“…
Christine Fischer-KaizlerDabei war das mit der Berufsschule reiner Zufall! Als ich 1999 als junge Religionslehrerin an einem polytechnischen Lehrgang von Tirol zurück nach Vorarlberg wechseln wollte, machte mir der damalige Schulamtsleiter Dr. Hans Fink ein Angebot, das ich nicht ausschlagen konnte. Ich bin ihm heute noch dankbar dafür, weil ich genau hier mein Aufgabengebiet gefunden habe.

Woran liegt das?
Es sind vor allem die Lebensthemen, die die Schülerinnen und Schüler mitbringen und ihr kritischer Geist. Ihnen etwas fertig Durchgekautes vorzusetzen, nach dem Motto „So ist es!“ läuft nicht – schon gar nicht in einem Fach wie Religion. Es geht vielmehr darum zu schauen: Wer bin ich, was macht mich glücklich, mit wem gehe ich meinen Weg? Ich merke, wie dankbar sie für eine Gesprächspartnerin sind, die sie ernst nimmt und Zeit für sie hat.

Und was beschäftigt die SchülerInnen so?
Es geht zum Beispiel immer wieder um Fragen des Selbstwerts. Die gewünschte Lehrstelle zu finden, fällt nicht allen leicht. Manche müssen nehmen, was übrigbleibt. Dieses Übriggeblieben sein macht was mit den Jugendlichen. Hier geht es dann darum das Selbstbewusstsein zu stärken. Andere landen in Firmen, in denen die Lehrlinge hofiert werden (Facharbeitermangel!). Diejenigen brauchen jemanden, der oder die sie auf den Boden der Realität holt, denn eine gewisse Überheblichkeit ist hier sehr schnell zu spüren.

Das klingt nach einem Spagat im Unterricht...
Überhaupt nicht! Ich arbeite zum Beispiel gerne mit Karten, die Lob ausdrücken. Ich frage die SchülerInnen dann: „Welches Lob gefällt euch am besten, welches habt ihr das letzte Mal gehört?“ Und dann merke ich: Die werden nicht oft gelobt. Niedergemacht sehr wohl. Aber loben? Auch daheim wird echte Wertschätzung selten ausgedrückt. Und daran leiden unsere Kinder bis ins hohe Alter.
Oft geht es auch darum, die breite Palette an Gefühlen kennenzulernen. Es gibt nicht nur gut und schlecht, oder fröhlich und traurig. Was ist der Unterschied zwischen glücklich und zufrieden? Oder zwischen zornig und wütend? Damit möchte ich den jungen Menschen helfen, ihre Gefühlswelt einordnen zu können und damit umgehen zu lernen.

Und wo kommt da die Religion dazu? Denn das ist ja jetzt quasi…
… Lebensberatung, genau (lacht). Für mich ist Religion die Rückbindung an einen Gott, der mich begleitet und der mich mag so wie ich bin. Und den Satz hören meine SchülerInnen von mir immer wieder. Ich versuche so zu vermitteln, dass ich an jemanden bzw. etwas glaube, das mir gut tut, weil ich das Versprechen erhalte: Ich mag dich so wie du bist. Und die Bibel ist voll von Beispielen und Geschichten, die genau diese Hoffnung vermitteln und anhand derer ich lerne: Es gibt nicht nur mich und meinen aktuellen Kummer, sondern es gibt auch etwas Größeres dahinter.

Und das kommt an?
Auf jeden Fall! Die SchülerInnen wissen diese „Oasenstunde“ Religion in ihrem 10-Stunden-Schultagsmarathon sehr zu schätzen. Das heißt nicht, dass wir nur Chillen, aber in meinem Unterricht geht es einmal nicht um Mathe, nicht um Formeln und nicht um Öle und Fette, sondern es geht um sie selbst und ihr Leben. Und das nehmen die SchülerInnen wahr.

Schule ist für dich also ein pastoraler Ort?
Ein ganz wichtiger! Und es ist für viele der letzte Ort, an dem sie mit Kirche in Kontakt kommen.

Bevor irgendwann geheiratet wird…
… wenn überhaupt. Dabei glaube ich schon, dass ein Interesse an Religion da ist, aber nicht unbedingt an Kirche. Diese Unterscheidung ist für meine SchülerInnen sehr wichtig. Sie glauben sehr wohl, dass es irgendetwas oder irgendjemanden gibt – dass es zwischen Himmel und Erde mehr gibt, sage ich immer, als wir uns vorstellen können. Aber für sie muss das nicht unbedingt innerhalb von einer Gemeinschaft, von einem „Verein“ zelebriert werden.

Wobei ihr im Religionsunterricht ja ohnehin andere Formen pflegt als den hergebrachten Schulgottesdienst, Stichwort Lehrlingswallfahrt…
Genau. Und das ist etwas sehr Lässiges am Religionsunterricht – dass man mit den SchülerInnen auch auf den Weg gehen kann und da beim Reden ganz anders in die Tiefe kommt. Es ist nachher ein anderes Unterrichten, wenn ich mit den Schülern einmal unterwegs war. Und das Eingeladen-Sein von Seiten der Kirche spielt auch eine große Rolle. Dass es zum Beispiel über eine Veranstaltung wie die Lehrlingswallfahrt einen positiven Kontakt „zu dieser Kirche“ oder auch zu Personen wie Bischof Benno Elbs oder einer Klosterschwester wie Sr. Immaculata Ebner aus Gwiggen gibt, ist mir sehr wichtig. Und wenn’s dann heißt: „Wer zahlt denn das alles?“, sage ich: „Das ist mein Kirchenbeitrag!“

Der ist also auch ein Thema…
Oh ja! Lustigerweise diskutieren sie darüber aber vor allem mit mir. Irgendwann habe ich mir gedacht: Jetzt lade ich den Bischof in den Unterricht ein – soll er sich hinsetzen und argumentieren! Und meine SchülerInnen haben ihn gefragt und gefragt, aber der Kirchenbeitrag war nicht einmal das Thema. Nicht einmal! Und da habe ich mir gedacht: Schlussendlich geht’s doch um etwas anderes…

Trotzdem: Die Zahl der SchülerInnen ohne Bekenntnis nimmt genauso zu wie die anderer Konfessionen. Gerät der römisch-katholische Religionsunterricht unter Legitimationsdruck?
Meine Klassen sind schon jetzt alles andere als homogen. Römisch-katholisch, ohne Bekenntnis, muslimisch, orthodox… Das hängt zum Teil damit zusammen, dass SchülerInnen das Fach für ihren Notendurchschnitt brauchen – und natürlich auch an Geflüchteten mit Arbeitserlaubnis, die an die Schulen kommen. Einzelne SchülerInnen anderer Konfessionen sagen mir auch: Ich will wissen, was ihr da macht. Ich schaue dann, wo es Parallelen zum muslimischen oder orthodoxen Glauben gibt und wo wir eigentlich recht gut miteinander harmonieren. Aber klar – man muss der Realität ins Auge blicken: In Zukunft werden immer weniger römisch-katholische SchülerInnen haben und ich weiß nicht, wie lange sich der Religionsunterricht in seiner jetzigen Form an der Berufsschule halten kann. Und es ist die Frage, wer dann auffängt, was der Unterricht leistet. Gibt es eine soziale Stunde, eine Ethikstunde, gibt es das überhaupt noch?

Wie sehen stehen denn die KollegInnen zum Fach?
Durchaus ambivalent. Als es darum ging, ob aus den bisherigen 45-Minuten-Unterrichtsstunden 50-Minuten-Stunden werden sollten, sagte ein Kollege zu mir: „Christine, wenn wir keine Religion mehr haben an der Schule, haben wir ein Problem weniger.“ Da habe ich zu ihm gesagt: „Weißt du was? Ihr habt ein paar Probleme mehr, wenn’s uns nimmer gibt!“ Und da hat der Direktor gesagt: „Da hat sie recht.“

Warum?
Weil wir Dinge leisten, die weit über das reine Unterrichtsgeschehen hinausreichen. Vor zwei Jahren zum Beispiel waren zwei Schülern von uns in einen schweren Verkehrsunfall auf dem Weg zur Schule verwickelt, und einer von beiden verstarb.  Da hieß es: „Christine, gehst du mit in die Klasse?“ Das sind Momente, in denen man sehr gern auf uns ReligionslehrerInnen zurückgreift. Meine Aufgabe ist es dann zu reagieren und für die Jugendlichen und ihre Emotionen da zu sein: Was tun wir jetzt? Wir haben dann zuerst eine Karte an die Familien geschrieben. Später kamen Dominik Toplek und sein Team auf meine Einladung mit der Aktion „Vergiss mein nicht“ in die Klasse, und wir haben an der Schule ein Abschiedsritual gestaltet, mit anschließendem Totenmahl, das uns der Direktor finanziert hat, damit wir wieder ins Leben zurückkommen. Für solche Sachen und viele andere außertourliche Ereignisse sind auch wir da.