Mit Schuljahresbeginn startete an der Landesberufsschule Bregenz 1 der Modellversuch des kooperativen Religionsunterrichts. In zwei Klassen werden jede Woche Lehrlinge unterschiedlicher Konfessionen gemeinsam unterrichtet. Zusammenhalt, Wertschätzung und das gegenseitige Miteinander stehen dabei im Fokus des neuen Unterrichtsmodells.

„As-salamu alaykum. Der Friede sei mit euch“, so werden die Schüler der zweiten Klasse an der Landesberufsschule Bregenz 1 von einem ihrer Religionslehrer, Selim Kavas, willkommen geheißen. Richtig gelesen … einem ihrer Religionslehrer …, denn an der Berufsschule in der Landeshauptstadt wird seit diesem Schuljahr Religion im Teamteaching, wie das Unterrichten zu zweit neudeutsch heißt, unterrichtet. Kooperativer Religionsunterricht nennt sich das Versuchsmodell, das in Westösterreich einzigartig ist. Neben Islamlehrer Kavas steht auch die katholische Religionslehrerin Christine Fischer-Kainzler in der Klasse.

Themen der Jugendlichen aufgreifen

Der Klassenraum im zweiten Stock des Schulhauses ist halb gefüllt. Üblicherweise sind mehr Schüler anwesend, aber Corona macht auch vor den Lehrlingen der Metall verarbeitenden Berufe nicht halt. Im Gespräch mit den SchülerInnen erfahren die PädagogInnen, dass einer der Schüler nicht krank, sondern bei einem Hilfseinsatz in Afrika ist. An ihrer Reaktion lässt sich erkennen, dass dieses spannende Thema unmittelbar im Hinterkopf abgespeichert wird. Bei der Gestaltung ihres Unterrichts legen die beiden Lehrpersonen nämlich großen Wert darauf, Themen der Jugendlichen, aber auch aktuelle Geschehnisse aufzugreifen und in den Unterricht einfließen zu lassen.

Friedensstifter

Nach einer Friedensminute in Stille geht es los. „Wer von euch kennt berühmte Friedensstifter?“, fragt Christine Fischer-Kainzler, in die Runde. Die Antworten sind erstaunlich und zeugen gleichsam von einem Grundinteresse der Jugendlichen an der Thematik. „Martin Luther King, Nelson Mandela, Mahatma Gandhi, Mutter Teresa …“ klingt es durch den Klassenraum. Heute soll es aber um drei andere historische Persönlichkeiten gehen: Malcom X, Muhammad Ali und Carl Lampert. In Form von Kurzfilmen lernen die Schüler/innen diese näher kennen. Auf einem Arbeitsblatt sollen sich die Lehrlinge Informationen zu den gezeigten Personen notieren. Danach geht es in die Gruppenarbeit, wo das Gehörte bzw. Gezeigte noch einmal vertieft wird. In Kleingruppen wird diskutiert, inwiefern sich die Person für Frieden und Gerechtigkeit eingesetzt hat bzw. welche Form von Gewalt und unrechtmäßiger Behandlung ihnen zuteilwurde. Danach berichten die Jugendlichen im Plenum, welchen Einsatz sie vorbildlich finden. Abschließend reflektieren sie die Stunde auf Wunsch der PädagogInnen mit einem Eintrag in ihrem Religionsheft, ehe die Glocke der Friedensarbeit vorerst ein Ende bereitet.

Während die Lehrlinge auf ihre nächste Unterrichtsstunde warten, ziehen sich die beiden Pädagog/innen in einen leeren Klassenraum zurück. Dort wird die Stunde reflektiert und die nächste Unterrichtseinheit vorbereitet. „Es steckt viel Arbeit hinter jeder Stunde. Aber wir haben uns inzwischen gut eingespielt“, sind sich Christine Fischer-Kainzler und Selim Kavas einig.

Zeichen des Miteinanders

Nicht nur aufgrund des eben behandelten Unterrichtsthemas, sondern ganz allgemein sehen die beiden PädagogInnen das kooperative Unterrichtsmodell als besonderes Zeichen des Miteinanders und der Friedensarbeit. „Die Absicht dahinter ist es, einen Raum zu schaffen, in dem Begegnungen ermöglicht werden“, bringt es Fischer-Kainzler auf den Punkt. „Der Fokus liegt auf den Gemeinsamkeiten. Wir wollen einen Beitrag für das Zusammenleben und den Frieden leisten und aufzeigen, dass Ausgrenzung – ob aus religiösen, sprachlichen, kulturellen oder anderen Gründen – nie zielführend ist“, fügt Kavas hinzu.

Das Unterrichtsmodell ermögliche es, dass SchülerInnen in ihrer Religion wahrgenommen werden, und es stelle daher eine besondere Wertschätzung dar, sind die beiden PädagogInnen überzeugt. „Ich unterrichte seit 20 Jahren an dieser Schule. Im Laufe der Jahre wurden die Klassen immer bunter, und es wurde deutlich, dass wir den Jugendlichen ausschließlich mit röm.-kath. Religionsunterricht nicht gerecht werden“, sagt Fischer-Kainzler.

Leuchtturmprojekt mit Strahlkraft

Nach einem intensiven Jahr der Vorbereitung konnte das Unterrichtsmodell – auch dank der Unterstützung und Bereitschaft aller – gestartet werden. „Die Rückmeldungen sind durchwegs positiv. Das Modell kann durchaus als Leuchtturmprojekt bezeichnet werden, das über die Schule hinausstrahlt. Andere Schulen haben bereits ihr Interesse bekundet“, freut sich das Religionslehrerteam. Viel wichtiger sind den beiden aber die positiven Rückmeldungen der Lehrlinge, mit denen es, trotz aller Unterschiede, keinerlei Probleme gebe. Und dieser Eindruck spiegelte sich auch in der besuchten Unterrichtsstunde durchaus wider.

 

Kooperativer Religionsunterricht
Nur in Tirol und Vorarlberg ist Religion an Berufsschulen Pflichtgegenstand. Aufgrund der extrem komplexen Organisationsstruktur der Berufsschulen kam bisher nur katholischer Religionsunterricht als regelmäßiges Angebot an den Schulen zustande. Da sich die Klassen aber immer durchmischter zeigen und viele nicht-katholische Schüler/innen als „Gäste“ im katholischen Religionsunterricht sitzen, trat das katholische Schulamt der Diözese Feldkirch mit der Idee eines kooperativen Religionsunterrichts an die Vertreter/innen anderer Kirchen und Religionsgemeinschaften heran.
Das neue Unterrichtsmodell sieht zwei gleichzeitig stattfindende konfessionelle Religionsunterrichte (katholisch und islamisch) vor und wurde von einem Projektteam konzipiert, an dem Katholiken, Evangelische, Freikirchen, Neuapostolische, Muslime, Aleviten und Buddhisten beteiligt sind. (Nach anfänglicher Beteiligung haben sich die Orthodoxen aus dem Projekt zurückgezogen.)
Mit Schuljahresbeginn 2021/22 wurde der Modellversuch an der Berufsschule Bregenz 1 gestartet. Im Teamteaching unterrichten die katholische Religionslehrerin und der islamische Religionslehrer jede Woche in zwei Klassen je eine Stunde. Die anderen teilnehmenden Kirchen und Religionsgemeinschaften gestalten im anteilmäßig errechneten Ausmaß mit einer dritten Lehrperson den Unterricht mit. Dadurch wird ein adäquates Angebot für alle Glaubensgemeinschaften geschaffen, ohne den Klassenverband zu trennen.
Der Unterricht orientiert sich stark an den Interessen der Schüler/innen. Es wurde aber auch eine Handreichung erarbeitet, die darlegt, wie die Lehrpläne der beteiligten konfessionellen Religionsunterrichte in diesem Kooperationsmodell umgesetzt werden können.