Vom Exodus zum Introitus. Vom Einstieg zum Aufstieg. Vom Mysterium zu Gemeinschaft und Mission. Predigt zur Weihe von Abt Anselm van der Linde in Wettingen-Mehrerau am 21. März 2009 von Erzbischof Dr. Alois Kothgasser SDB

(Es gilt das gesprochene Wort.)

Lieber neu erwählter Abt von Wettingen-Mehrerau!
Lieber emeritierter Abt Kassian,
liebe Söhne des hl. Benediktus und des hl. Bernhard,
liebe Äbte und Äbtissinnen, Oberinnen und Obere sowie Mitglieder der verschiedenen Ordensgemeinschaften!
Lieber Diözesanbischof Elmar!
Liebe Bischofsvikare für die Orden,
liebe Brüder im priesterlichen und diakonalen Dienst,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Sendungsauftrag Christi!
Liebe Ministranten und Ministrantinnen,
liebe Mitglieder des Chores und des Orchesters!
Liebe Verantwortliche in Gemeinde, Bezirk, Stadt und Land!
Liebe Vertreter der Medien!
Liebe Mutter, Verwandte und Freunde des neuen Abtes!
Liebe Kinder und Jugendliche, liebe Brüder und Schwestern alle!


„Gaudeamus omnes in Domino,
diem festum celebrantes
sub honore sancti Benedicti Abbatis!”


„Der Herr sprach zu Abram: Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandt¬schaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde … Ein Segen sollst du sein …“ (Gen 12,1.2)


Der 1. Schritt: Vom Exodus zum Introitus

Seitdem sich die aus ihrem Schweizer Kloster Wettingen ausgewiesenen Zisterzienser vor gut 150 Jahren am österreichischen Bodenseeufer in der ehemaligen Benediktiner¬abtei Mehrerau niederließen, bestand das Einzugsgebiet des Konventes und der Klosterschule aus den Anrainerstaaten Schweiz, Deutschland und Österreich. Dieses Bild spiegelt sich auch in den bisher neun Äbten wider, von denen je drei Schweizer, Deutsche und Österreicher waren. Soviel uns bekannt ist, verursachte dies bezüglich des Zusammenhalts der Gemeinschaft nie ernsthafte Probleme.
Bei der Wahl des 53. Abtes von Wettingen und 10. von Wettingen-Mehrerau wurde der geografische Bogen viel weiter gespannt. Eine Vorarlberger Tageszeitung titelte „Ein Abt vom Kap der guten Hoffnung“. Wie kam es, dass der 1970 in Roodeport, Südafrika, geborene Hendrik van der Linde Mönch in Mehrerau wurde? Lassen Sie mich den Weg der Heilsgeschichte, den Gott mit dem neuen Abt bisher gegangen ist, ein wenig nachzeichnen. Man könnte fürs erste sagen: ein Weg „vom Exodus zum Introitus“.

In einer reformierten Familie aufgewachsen, konvertierte er mit 21 Jahren zur katholischen Kirche. Seither beschäftigte ihn der Gedanke, Mönch und Priester zu werden. Zunächst setzte er das Studium der Politikwissenschaften an der Universität Pretoria fort, informierte sich aber eingehend über das katholische Ordenswesen. Drei Gestalten machten auf ihn einen besonderen Eindruck: Benedikt von Nursia, Bernhard von Clairvaux und Abt Franz Pfanner, der Gründer von Mariannhill, dem wohl bedeutendsten Missionszentrum Südafrikas.

1994 machte er eine Europareise mit der Absicht, einige Zisterzienserklöster kennen zu lernen. Das einzige Kloster, das auf seine schriftliche Anfrage antwortete, war Mehrerau, zu dem derzeit 35 Mönche gehören. Hier verbrachte er als Gast die Kar- und Ostertage und meldete sich bald darauf als Postulant an. Am Bernhardsfest 1994 begann er als Frater Anselm das Noviziatsjahr. Nach der zeitlichen Profess studierte er ein Jahr Philosophie und Einführung in die Theologie an der Theologischen Hochschule der Benediktinerabtei Einsiedeln. Daran schloss sich das Fachstudium der Theologie an der Päpstlichen Universität St. Thomas von Aquin in Rom.
 
In einem Brief aus Rom, datiert am Fest des hl. Benedikt, 21. März 1998, suchte Frater Anselm um die Zulassung zur Feierlichen Profess an. Er schrieb: „Der Schritt ins Kloster kostete mich viel Überwindungskraft und Glauben. Ich bin sicher nicht der Einzige, dem es so ergangen ist, aber da es für mich noch zusätzlich die Entfernung von der Heimat und eine neue Kultur bedeutete, fiel die Entscheidung nicht leicht. Meine Eltern und meine Familie haben damals sehr wenig Verständnis gehabt, dass ich so etwas mache, aber heute – durch viel Gebet und Geduld – sind sie alle sehr glücklich mit meiner Entscheidung und sogar stolz auf mich. Es tut mir leid, dass mein Vater diese Freude nicht mehr erleben kann. Ich kann heute mit Überzeugung sagen, dass mir nicht nur die Mehrerau, sondern auch Vorarlberg und Österreich sehr lieb geworden sind, und dass ich sogar stolz darauf bin, sie Heimat zu nennen.“

Im Beisein seiner Familie und mehrerer Bekannten und Freunde legte Frater Anselm am Fest des heiligen Bernhard am 22. August 1998 seine ewigen Gelübde ab. Am Stephanstag 1998 empfing er in der Mehrerauer Klosterkirche durch Bischof Ivo Fürer von St. Gallen die Diakonats- und am Fest Mariä Himmelfahrt 1999 durch Bischof Klaus Küng von Feldkirch die Priesterweihe.

Der 2. Schritt: Vom Einstieg zum Aufstieg

In Mehrerau war es seit jeher gute Tradition, die jungen Priestermönche nach dem Abschluss des eigentlichen Fachstudiums der Theologie zunächst einmal für einige Jahre wieder an das normale klösterliche Leben zu gewöhnen und in der Praxis der Aufgabenbereiche der Abtei einzusetzen. Musikalisch begabt und begeistert wurde Pater Anselm bald zu einer Stütze des Chorgebetes, der Choralschola und des Kirchenchors.

Im Dienst der Verkündigung übernahm er ohne Scheu das Predigtamt im klösterlichen Turnus und auch auswärts, was viel Mut erfordert, wenn man nicht in seiner eigenen Muttersprache reden kann. Seine prägnanten, biblisch und theologisch gut begründeten Homilien, die aktuelle Fragen nicht aussparen und zum geistlichen Leben hilfreich sind, werden von den Zuhörern geschätzt. Oft wird Pater Anselm für Vorträge, kirchliche Trauungen und Taufen von Kindern gewünscht. Die Vorbereitungsgespräche sieht er als seelsorgliche Chance und oft erwachsen daraus jahrelange Kontakte.

Ab Herbst 2000 wirkte Pater Anselm am „Collegium Bernardi“ mit seinen 370 Schülern in der Jugenderziehung und setzte sich besonders für eine gute Gestaltung der Schülergottesdienste ein. Es ist übrigens das älteste bestehende Bildungsinstitut im Ländle und hat seit 2003 sogar eine dem Gymnasium angegliederte „Fußballakademie“.

Die Jahre 2002 bis 2006 verbrachte Pater Anselm wieder in Rom, wo er am Angelicum das Fach Kirchenrecht studierte, das er mit dem Lizentiat abschloss. Bei der Ordenssynode 2004 und beim Generalkapitel 2005 wirkte er als Simultanübersetzer mit und bewährte sich als Helfer bei der Organisation dieser Gremien. 2005 wurde er von Bischof Elmar Fischer zum Kirchenanwalt am Diözesangericht Feldkirch ernannt.

Das 2006 in Hauterive tagende Mehrerauer Kongregationskapitel beschloss zur Entlastung des Abtpräses die Ernennung von P. Anselm zum Sekretär des Kapitels. So oblag ihm der Großteil der Vorbereitungsarbeiten zum nächsten Kapitel, das im September 2008 in Lichtenthal tagte.

Seit Herbst 2007 unterrichtet P. Anselm in mehreren Klassen des Gymnasiums Mehrerau das Fach Religion und ist Seelsorger der Studentenverbindung „Augia Brigantina“. Im Kloster ernannte ihn der Abt zum zweiten Kantor, ein Amt, das seiner Liebe zum Choral entgegenkommt. Inzwischen gab es schon schüchterne Versuche, gelegentlich auch bei Schülermessen wieder ein gregorianisches Ordinarium zu wagen, um eine große Zisterziensertradition fortzusetzen, wie dies auch im Stift Heiligenkreuz mit scheinbar schon Welterfolg geschieht.

Entscheidend dafür, dass bei der Abtwahl am 30. Januar 2009 sehr rasch eine überzeugende Mehrheit der Stimmen auf Pater Anselm fiel, waren wohl die zwölf Konventgespräche, die verteilt auf die Jahre 2007/08 in jeweils dreistündigen Sitzungen alle wichtigen Bereiche des klösterlichen Gemeinschaftslebens, die Lichtblicke und Defizite, offen zur Sprache brachten. Das Abtprofil der Regel des hl. Benedikt wurde mit den heutigen Anforderungen, die auf den Abt von Mehrerau zukommen, verglichen, und ein Großteil der Mitbrüder sah in Pater Anselm den Mann, der mit seiner im Glauben verwurzelten Grundhaltung, aber auch mit seiner ruhigen und ausgleichenden Art diese Aufgabe am ehesten meistern würde.

Da das Kloster Wettingen-Mehrerau das seltene Privileg einer Gebietsabtei genießt, konnte bei der von Generalabt Mauro Esteva und Abt Andreas Range geleiteten Wahl am 30. Januar der Gewählte nicht gleich installiert und in sein Amt eingeführt werden, sondern man musste die Bestätigung und Ernennung durch den Papst abwarten. Für den Konvent war dies eine spannende Wartezeit. Endlich wurde am 18. Februar vom Vatikan die Ernennung von Pater Anselm van der Linde zum „abbas territorialis“ von Wettingen-Mehrerau durch Papst Benedikt XVI. bekannt gegeben.

Die Amtseinführung und Installation des Abtes Anselm am 21. Februar nahm Abt Andreas von Marienstatt gemäß dem Rituale Cisterciense vor. Abt Anselm legte im Kapitelsaal das Glaubensbekenntnis und den Treueid ab, nahm mit der Überreichung von Schlüssel und Siegel Besitz von der Abtei und empfing das Gehorsamsversprechen seiner Mönche. Damit übernahm er auch die Leitung der in der Mehrerauer Zisterzienserkongregation vereinigten sieben Männer- und vierzehn Frauenabteien mit insgesamt 370 Ordensleuten. Ebenso ist er als Ordinarius Mitglied der Österreichischen Bischofskonferenz, bei der er sich bei der Frühjahrsvollversammlung in Innsbruck bereits gut eingebracht hat, ganz in der Nachfolge seines Vorgängers Abt Kassian Lauterer.

Der neue Abt umriss nach seiner Ernennung die vor ihm liegende Aufgabe als Dienst an seiner Gemeinschaft und der Kirche, den er unter der Anleitung der Regel des hl. Benedikt auf dem Weg des Evangeliums in Glaube, Hoffnung und Liebe zu leisten entschlossen sei. Diesen Weg möchte er gemäß seinem nach Röm 12,10 und Regula Benedicti 72 formulierten Wahlspruch „Caritate invicem diligentes – Einander in Liebe zugetan sein“ zusammenfassen.

Der 3. Schritt: Vom Mysterium zur Communio und Missio

Die Aufgabe des neuen Abtes ist – wie es übrigens in je unterschiedlicher Weise unser aller Aufgabe ist – DIENST am Mysterium, an der Communio und an der Missio im Geiste Jesu Christi und der großen Gründergestalten.

a) Zuerst das MYSTERIUM
„Bist du bereit“ – so hat es bei der Befragung des neuen Abtes geheißen – „bist du bereit, die dir anvertrauten Brüder und Schwestern zu GOTT zu führen und die Sorge für deren Heil als deine erste Pflicht anzusehen?“
 GOTT, der dreifaltig-eine Gott der Liebe und des Lebens, der Allgütige, Gerechte und Barmherzige, ist ‚das’ Geheimnis unseres Lebens. Die Gottesfrage begleitet unser Dasein und bewegt heute mehr Menschen als wir vermuten. Ihn und sein Geheimnis des Lebens und der Liebe zu verkünden und mit dem Leben zu bezeugen, ist das Beste, das wir in unserer konkreten, vielfach hungrigen, durstigen und unersättlichen Welt anzubieten haben. Darum ist dem Gottesdienst nichts vorzuziehen, damit wir im Geheimnis bleiben und das Geheimnis in uns.

b) Daraus entsteht und wächst die COMMUNIO,
Gemeinschaft – denn Einheit ist die Sehnsucht Gottes und der Menschen. Was hat uns der Diakon heute im Evangelium verkündet? „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast“ (Joh 17,21).
Eine große, schöne, schwere Aufgabe: zusammenführen, einen in einer Welt voller Spannungen, Egoismen, Selbst-Süchte, Pluralismen und Selbst-Behauptungen aller Art. Darum das Bemühen um Einheit, Dialog, auf vielen Ebenen – wie es uns das II. Vatikanische Konzil als Erbe und Auftrag hinterlassen hat. Einheit auch mit dem Nachfolger Petri, denn daran hängt auch die Einheit mit Christus. Einheit in der Wettingen-Mehrerauer Zisterzienser-Kongregation, gefördert auch durch die „Cistercienser Chronik“.

c) Und schließlich folgt konsequenterweise daraus die MISSIO,
die Sendung im Auftrag und im Geiste Jesu Christi, weil es Gottes Sendung an und für und mit uns Menschen ist. D.h. Dienst an den Kindern und Jugendlichen, an den eigenen Mitbrüdern und Mitschwestern, an den bedrängten, geplagten, kranken, pflegebedürftigen Menschen im – mit Hilfe des Landes Vorarlberg als Nachsorge- und Tageklinik sowie Belegkrankenhaus revitalisierten – Sanatorium „Maria, Heil der Kranken“. Dazu gehört auch der Dienst als guter Hausvater, den Besitz und die Wirtschaftsbetriebe des Klosters treu zu verwalten zum Wohl der Brüder und Schwestern, der Gäste und der Armen, aber auch den Verirrten als Hirte nachzugehen und sie zur Herde Christi zurückzuführen. Die Missio lebt aus dem MYSTERIUM und der COMMUNIO.

Und genau dies dürfen wir nun feiern, mit dir feiern, lieber Abt Anselm, zum Lobpreis Gottes und zu unser aller Freude.

Amen.