Jedes Jahr wird in Österreich, wie in anderen europäischen Ländern auch, das so genannte Friedenslicht aus Bethlehem verteilt. Nur wenige machen sich bewußt, dass Bethlehem eine vom Staat Israel militärisch besetzte Stadt ist. Der emeritierte Patriarch von Jerusalem, S. E. Michael Sabbah, hat sich in diesen Tagen zu Wort gemeldet und daran erinnert, dass auch heuer "wieder ein Weihnachten unter israelischer Besatzung" gefeiert muss und die Stadt Bethlehem "einige gar nicht willkommene 'Weihnachtsgeschenke' von Israel" bekommen hat.

Bethlehem feiert wieder Weihnachten unter Besatzung

von Michael Sabbah, Patriarch Emeritus von Jerusalem
 
Während dieser heiligen  Zeit im Jahr steht Bethlehem als die Stadt der Geburt Jesu wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit in der ganzen Welt. Was die Welt aber vielleicht übersieht, wenn sie das Fest begeht, ist, dass genau diese Stadt, in der Jesus geboren wurde, wieder ein Weihnachten unter Besatzung feiert. In diesem Jahr hat Israel, das sich selbst als „sicherer Hafen“ für Christen darstellt, Bethlehem einige gar nicht willkommene Weihnachtsgeschenke gemacht.
 
Israels Weihnachtsgeschenke für Bethlehem sind heuer die Abtrennung von Bethlehem von seiner Zwillingsstadt Jerusalem. Die Stadt, in der Jesus geboren wurde, wird also getrennt von der Stadt, wo er auferstanden ist – das Wesen des christlichen Glaubens. Abgesehen von den täglichen Gewaltakten, unter denen das belagerte Bethlehem aufgrund der Besatzung leidet, hat Israel vergangene Woche in einem Militärbefehl  bekanntgegeben, dass es 101 Dunam Land von Bethlehem im Norden konfisziert habe. In der gleichen Woche bestätigte die israelische Regierung  die Ausweitung  der illegalen Siedlung Gilo – errichtet auf privatem Land in Bethlehem – um 891 neue Häuser.
 
Direkt im Westen der Siedlung Gilo liegt das Cremisan-Tal in Beit Jala mit seinen beiden Salesianerklöstern und Bauernland in privatem Eigentum. Trotz eines neun Jahre währenden Kampfes vor Gericht mit enormem diplomatischem Lobbying und zivilem Widerstand  fährt Israel fort, die Mauer zur Landannektierung in Cremisan zu bauen, wodurch 58 palästinensische christliche Familien ihrer Ländereien beraubt werden. Wo werden  diese Familien jetzt hingehen, und bei wem können sie Zuflucht nehmen?
 
Trotz Israels Beteuerung, dass es das einzige Land im Mittleren Osten sei, wo es Christen gut geht, lautet die unausgesprochene Botschaft, die sich unter den Leuten verbreitet, dass Israel keine wie immer gearteten Rechte dieser Palästinenser und ihrer Existenz in ihrer Heimat respektieren werde. Es wird behauptet, dass islamischer  Extremismus  der Grund für  die massive Auswanderung palästinensischer Christen sei. In Wirklichkeit  stammen die Probleme palästinensischer Christen im Wesentlichen aus der Tatsache, dass sie Palästinenser sind, die unter israelischer Besatzung leben. Was die palästinensischen Christen aus ihrer Heimat vertreibt, um anderswo eine bessere Zukunft zu suchen, ist die tägliche Belästigung durch die Besatzung, und die Land-Konfiskationspolitik durch Israel fällt genau in das Herz dieser Angelegenheit. Die israelische Regierung ist schnell, um für ihre unterdrückerische Politik „Sicherheit“ als Rechtfertigung zu nennen, während in Wirklichkeit die Motivation für Landraub und Ausweitung der Siedlungen unter dem Vorwand der Sicherheit nicht verborgen werden können.
 
Jedoch, ich möchte mich nicht bei niemandem beschweren. Ich möchte nicht wieder einen fehlgeschlagenen Ruf an die Internationale Gemeinschaft losschicken. Dieses Mal wende ich mich nur an die israelischen Führer auf der Suche nach „Sicherheit“. Ich wende mich an sie, damit sie endlich die unvermeidlichen Ergebnisse von Mauern, gestohlenem Land und illegalen Siedlungen sehen: das führt nur zu noch mehr Isolierung, Zurückweisung und Hass, ergo, mehr Unsicherheit. Ich fordere Israel auf zu sehen, dass Gerechtigkeit, Erziehung zu gegenseitigem Respekt und Akzeptanz mehr Sicherheit und Frieden bringen.
 
Bethlehem ist jetzt entweder ein Symbol für Frieden – oder für Krieg. Ich lade die israelischen Führer ein, es zu einem Symbol für Frieden zu machen und zu einer neuen gerechten Annäherung an die Palästinenser zu kommen. Die Palästinenser  verdienen den vollen Genuss ihrer unveräußerlichen Rechte, und, Ihr israelischen Führer, weder eure Fähigkeit noch eure gesetzliche Verantwortlichkeit und moralische Verpflichtung, dies zu gewähren, sollte in Frage oder zur Disposition stehen! 

(Der Text freundlicherweise von Gerhilde Merz, Pax Christi Österreich, übersetzt worden. Er ist auf ICN - Independent Catholic News publiziert worden und in der israelischen Tageszeitung HAARETZ am 23.12.2015 erschienen)