"Brauchst du das noch?" ist eine Frage, die irgendwie impliziert, dass etwas weg soll. Dass das Herbstsymposion der Katholischen Kirche Vorarlberg auf keinen Weg Fall "weg" soll, zeigten die 200 BesucherInnen, dank derer die Veranstaltung schnell ausgebucht war. Und deshalb stürzte man sich gemeinsam auf das Thema "Rituale" - und die Frage, ob man die überhaupt noch braucht.

Was haben das Zähneputzen (mit den Kindern), der Trikotausch der Fußballspieler und der Papst, der beim Besuch eines Landes den Boden küsst, gemeinsam? Es sind alles Rituale, wenn auch sehr unterschiedliche. Rituale gehören zum Leben - jeder hat sie bewusst oder unbewusst schon des öfteren vollzogen. Und damit wären wir bereits mitten im Thema des diejährigen Herbstsymposions: "Rituale. Zwischen kirchlicher Tradition und säkularer Welt".

Rituale und der Bezug zu Mitmenschen

"Rituale werden vollzogen, aber nicht verstanden", eröffnet die Soziologin Dr. Maren Lehmann ihren Vortrag und gibt gleich ein praktisches Beispiel. Nämlich jenes des Brautpaars, das zwar nur standesamtlich heiraten, die Hochzeitsfotos aber vor dem Hochaltar schießen möchte. Rituale sind keine Frage der Entscheidung, sondern des Vollzugs, betont sie - und sie sind auch keine Form der Selbstverwirklichung.

"Rituale sind eine soziale Formen, die immer einen Bezug zu Mitmenschen haben und brauchen, um stattfinden zu können", erklärt Lehmann, dass Rituale von Individualität und Leistung freistehen. Auch in der Liturgie. Sie brauchen keinen externen Grund, Zweck oder Ziel, sondern genügen sich selbst. Und sie müssen sich von dem, was man täglich macht, unterscheiden. Körperliche Bewegung ist dabei äußerst wichtig - und zwar "ohne den Verstand zu provozieren"  (z.B beim Gesang).

Von der Theorie zur Praxis

Etwas "praktischer" wurde es beim Vortrag des Erfurter Weihbischof Dr. Reinhard Hauke, der zeigte, wie Christen und Nichtchristen in Erfurt "das Leben feiern". "Die 60% Noch-Nicht-Christen schrecken mich nicht, sondern fordern mich", meinte er einleitend, bevor er seinen Worten diverse Videoausschnitte folgen ließ. Von der "Feier  der Lebenswende" mit Jugendlichen über den Valentins-Gottesdienst, bei dem sich "alle, die partnerschaftlich unterwegs sind", segnen lassen können bis zum nächtlichen Weihnachtslob. Und einem ganz besonderen Projekt - dem Kolumbarium

Mit Chipkarte zur Urne

Seit 2002 finden im "Kolumbarium" - einer Halle neben dem Kirchenschiff in der katholischen Allerheiligenkirche in Erfurt - Menschen ihre letzte Ruhe. Auch wenn sie vielleicht "Nicht-Christen" sind. Mit dem Kolumbarium wurde ein Raum geschaffen, der eine besondere Form der Urnenbestattung und des Gedenkens mitten im Stadtzentrum zulässt. "Fach an Fach" liegen hier Christen und Nichtchristen - und die Nachfrage war und ist groß. Innerhalb von zwei Monaten waren die 630 Plätze vergeben, in das Kolumbarium kommt man nur mit Chipkarte rein - und die sind den Angehörigen vorbehalten.

Hinter den zahlreichen Projekten steht eine Idee bzw. Frage: "Wo gehen die Leute hin, wenn es schön oder ganz traurig ist? Und ist die Kirche dort?", so Bischof Hauke. Antworten darauf sind in Erfurt z.B die "Feier  der Lebenswende" oder das nächtliche Weihnachtslob. Einfach strukturiert, mit einer kurzen Predigt, Musik und Segen bieten sie allen Menschen eine Möglichkeit der Gemeinschaft. Selbstverständlich ohne liturgische Dialoge.

Keine Monopolstellung mehr

Die rituelle Lebensbegleitung war lange bei der Kirche verankert, aber seit dem Jahrtausendwechsel verliere sie ihre Monopolstellung, stellt die Theologin Mag. Teresa Schweighofer gleich zu Beginn ihres Vortrags klar. Natürlich sind Rituale - egal aus welchen Motiven - immer noch gefragt; immer mehr drängen aber auch freie RitualgestalterInnen "auf den Markt". DAS Ritual gebe es zwar nicht, aber es gibt viele Arten - von  Gemeinschaftsritualen über Jahreskreisrituale bis hin zu Lebenswenderitualen.

Individualität wird groß geschrieben - auch bei Ritualen - oder wie es Schweighofer formuliert: "'One size fits all' funktioniert nicht mehr". Die "kirchliche Urheberschaft ist ausgelaufen" – Rituale werden verändert und individuell angepasst, eine Veränderung, mit der die Kirche nicht (immer) mitkann. Manchmal auch aus kirchenechtlichen Gründen. Umgekehrt haben manche Menschen ein Problem mit der Ästhetik der Kirche - mit den Gotteshäusern, den Gewändern oder den liturgischen Texten und Dialogen - und können ihr nicht mehr folgen.

Und dennoch stellt Schweighofer der Kirche ein gutes Attest in Punkto Rituale und Marktwert aus - v.a. wenn es um Lebensübergänge wie Hochzeiten, Taufen oder Beerdigungen geht. 2000 Jahre Erfahrung kann man eben doch nicht einfach vom Tisch fegen.