Wie hält man die Balance zwischen dem Bewahren und Neuem? Wie sind wir heute als Kirche unterwegs? Wie hören wir aufeinander? Wie packt man auch große Aufgaben gemeinsam an. Irgendwie landet man immer beim „Wie“, stellt Pastoralamtsleiter Martin Fenkart im KirchenBlatt-Gespräch fest.

Veronika Fehle

Über Corona will ja eigentlich niemand mehr so richtig reden. Da ein Rück- und auch ein Ausblick ohne die Corona-Frage aber einfach nicht geht, stellen wir sie doch gleich an den Anfang. Ganz konkret gefragt: Welchen Beitrag kann Kirche in dieser Krise leisten? Welche Rolle kann sie für die Menschen einnehmen?
Martin Fenkart: „In Gefahr und in der Not ist der Mittelweg der Tod,“ heißt es. Kirche muss eindeutig für das Leben und die Liebe eintreten. In Fragen der Gesundheit bedeutet dies, auf die Kompetenz von Wissenschaftler/innen und Ärzt/innen zu verweisen, die unsere Regierung beraten. Von Weihnachten herschauend sind wir eingeladen, das Geschehen der Krippe genau zu betrachten und nachzufragen, was gerade dringend gebraucht wird. Wer gut hinschaut, sieht in der Krippe nicht nur singende Engel. Es braucht jemanden, der Futter für die Tiere herbeischafft oder einmal den Stall ausmistet. Vermutlich hat Kirche in der Pandemiebekämpfung eine Rolle im Hintergrund. Eine gute Frage in jeder Hinsicht für 2022 an jede und jeden ist, wie es um die eigene Bereitschaft zur Mitarbeit im „Krippenspiel“ aussieht.

Corona hat Entwicklungen, die sich bereits längere Zeit angekündigt haben, beschleunigt. Sprich: Die Zeiten, in denen man mit der Sonntagsmesse „die ganze Pfarrgemeinde“ erreicht hat, liegen zum größeren Teil hinter uns. Wie erfinderisch ist man hier bereits - notgedrungen - geworden?
Fenkart: Eine Schlüsselfrage, die nicht nur für die Kirche gilt: „Wann verlassen wir Bewährtes und wie intensiv setzen wir wann auf das Neue?“ Hätten wir nur den Sonntag im Blick, wären wir nicht gut beraten. Wenn man erkennt, dass die Erfolgskurve im Laufe der Zeit abflacht, dann naht jedenfalls ein Wendepunkt für das Neue oder er war schon da, und man hat ihn verschlafen. Vordenkerinnen und Experimentierer hat die Kirche Vorarlbergs in ganz verschiedenen Bereichen. Da ich vieles sehen darf, was wir mit unseren Pfarren und Einrichtungen für die Menschen leisten, erfüllt mich das mit Stolz, Dankbarkeit und Zuversicht.

In der Kirche tut sich vieles. Gerade eben sind tausende Kinder für die Dreikönigsaktion von Haus zu Haus gezogen, im März stehen die Pfarrgemeinderatswahlen an und auch die Initiativen der Sommerkirche kündigen sich wieder an. Wie schafft Kirche diesen Spagat aus Tradition und Innovation? Und warum ist es wichtig, diesen Spagat immer neu zu versuchen?
Fenkart: Wer geistlich lebt, möchte „umgestaltbar“ und wendig leben. Neues braucht Konzepte, Experimente, Reflexion und Lernen durch unser Tun. Im Übergang von der Tradition zu Neuem gibt es immer auch starke Kräfte von „Hüter/innen des Guten“ oder „Vertreter/innen bestehender Ordnungen“. Letztlich aber kommen wir nur weiter, wenn wir uns der Herausforderung stellen: Wie kommt das Problem der Menschen zu uns? Die Dauerbeschäftigung mit uns selber und die Falle, im Jammertal zu versinken, sehe ich als klassische Stolpersteine von Kirche. Frei nach Sokrates kann man sagen: „Ich weiß, dass ich nicht weiß.“ Darum gibt es auch keine fixfertigen Lösungen für alles, sondern Kirche muss sich darauf einstellen, dass wir in eine Phase eintreten, in der wir viel Zeit und Geduld brauchen, um unsere Fragen miteinander zu lösen. Es tröstet, dass wir im Unterschied zu den ersten Jüngern jetzt schon wissen, dass nach Himmelfahrt Pfingsten kommt und wir mit Gottes Geist rechnen dürfen.  

Welche Themen sehen Sie für die Katholische Kirche in Vorarlberg für das Jahr 2022 am Horizont?
Fenkart: Das ist von Ort zu Ort und von Person zu Person unterschiedlich. Mancherorts bringen Pensionierungen oder Personalwechsel Herausforderungen. Im Bildungsbereich macht uns die Corona-Situation ordentlich zu schaffen, weil vieles nicht möglich ist. Wir versuchen aber, die Zeit gut zu nutzen. Gemeinsam haben wir uns aufgemacht, um von der Markenlogik zu lernen. 140 Personen arbeiten bis Juni in Workshops mit zwei Markensoziologen zusammen, um die Stärken der Kirche Vorarlbergs auf den Punkt zu bringen und diese hervorzuheben. Das ist eine große Aufgabe, die bereits auf den ersten Kilometern viel Orientierung gibt. Wenn wir jemanden toll finden, dann sagen wir ja auch: „Du bist echt eine Marke!“ Solche Marken haben wir auch: die Sternsinger, das Bildungshaus St. Arbogast, die Telefonseelsorge, um nur drei zu nennen.

Die Pfarrgemeinderatswahlen finden alle fünf Jahre statt. Heuer im März ist es wieder so weit. Welche Bedeutung kommt einem Pfarrgemeinderat in einer Pfarre zu?
Fenkart: Sollte jemand bei uns meinen, er könne die Herausforderungen, die vor uns liegen, alleine meistern, braucht er oder sie entweder einen Optiker oder es wurde die Latte zu tief gelegt. Pfarrgemeinderäte sind Auge, Ohr, Fuß und Hand einer intakten Pfarre. Jeder Form von Zusammenarbeit im Pfarrgemeinderat, im Pfarrkirchenrat oder in anderen Diensten kommt höchste Bedeutung zu. Für dieses Engagement aller Beteiligten kann man sich nie genug bedanken.

Sich als Pfarrgemeinderat/rätin zu engagieren, ist eines der vielen Ehrenämter der Kirche. Ehrenamt ist ein großer Schatz.
Fenkart: Rund 25.000 Ehrenamtliche in der Kirche Vorarlbergs können sich die Frage stellen: „Was ist denn die Ehre meines Amtes?“ So wie es die Aufgabe eines Dirigenten ist, darauf zu achten, dass alle im Orchester ihren Einsatz haben, so ist es die Pflicht aller kirchlichen Leiterinnen und Leiter, dafür zu sorgen, Talente und Vielfalt zu fördern und die „Ehre eines Amtes“ nicht überzustrapazieren, sondern vor allem jeden Dienst zu würdigen und wertzuschätzen.

Wie hat sich das Ehrenamt in den letzten Jahren verändert?
Fenkart: Auf der Suche nach Freiwilligen sind wir nicht die einzigen, die es schwer haben. Es wird nicht leichter diese zu finden. Und die, die sich finden lassen, machen oft die Arbeit für drei. Ehrenamtsmangel hat verschiedene Gründe: Frauen und Männer arbeiten viel und lange, Kinder haben heute unzählige Freizeitverpflichtungen, insgesamt haben Menschen weniger Bindungen zur Wohnort-Pfarre, um nur 3 Gründe zu nennen. Freiwilligenarbeit kann heute aber auch ganz neue Spielräume bringen, Träume miteinander im Dienst am Nächsten zu verwirklichen. Ein großer Dank gilt allen, die nicht müde werden, neue Mitarbeitende zu finden und junge Talente zu fördern.

Warum ist es dennoch eine Bereicherung, sich ehrenamtlich zu engagieren?
Fenkart: Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass mir das Spielbein Ehrenamt immer viel Freude gemacht hat, Dinge auszuprobieren und dabei zu lernen, neue Beziehungen zu knüpfen, froh und frei zu geben und die Freude des Schenkens und der Gemeinschaft zu erfahren.

Dann ist da noch die Synode, die Papst Franziskus initiiert hat. Derzeit werden noch Rückmeldungen zum Thema „Für eine synodale Kirche: Gemeinschaft - Teilhabe - Sendung“ gesammelt. Was hat die Synode schon bewegt?
Fenkart: Ich glaube, sie bewegt, dass Kirche weltweit in Bewegung bleibt. Mich beschäftigt selbstkritisch dieses eine Wörtchen des „WIE?“. Der Papst fragt ja: „Wie sind wir als Kirche miteinander unterwegs?“ Wie reden wir, unterscheiden wir, beraten wir, hören wir zu, entscheiden wir, … wie machen wir Kirche? Das ist eine Anfrage an unsere Haltung und unsere Wirkung.

Sie setzen stark auf Kontakt, auf Dialog und auf Initiativen, in denen Sie diese Aspekte verwirklicht sehen. Ist das Ihre Art, die Botschaften der Kirche ins Heute zu übersetzen?
Fenkart: Danke für die Frage. So verstehe ich das kurze öffentliche Wirken Jesu. Bischof Benno meint, wir sollen Jesus auf die Finger schauen. Da sind aber auch noch knapp 30 Jahre Jesu im Stillen und in der Gottverbundenheit.


Stellen wir uns vor, wir wären schon am Ende des vor uns liegenden Jahres. Was hätte 2022 aus Ihrer Sicht zu einem „guten Jahr“ werden lassen?
Fenkart: Wenn es uns mit Johannes XXIII. oft genug gelungen ist zu sagen: „Nur für heute werde ich mich bemühen, einfach den Tag zu erleben - ohne alle Probleme meines Lebens auf einmal lösen zu wollen.“

Martin Fenkart

Martin Fenkart:  „Letztlich kommen wir nur weiter, wenn wir uns den Herausforderungen stellen.“   Foto: Keckeis