Der Jahresbeginn ist die Zeit, in der sich Pastoralamtsleiter Martin Fenkart zum KirchenBlatt-Gespräch einfindet. Heuer ging es um gordische Knoten und deren Lösung.

Veronika Fehle

Menschen, die über sich sagen, dass sie keinem religiösen Bekenntnis angehören, zählen zu einer sehr rasch anwachsenden Gruppe. Das ist mehr als nur ein Trend. Was macht das mit „der Kirche“?
Martin Fenkart: Im besten Fall holt uns das aus jeglicher Selbstgenügsamkeit heraus. Ich glaube, mit der Taufe tritt man nicht einfach in die Kirche ein, sondern man erschafft sie. Man prägt ein Netzwerk von Glaubenden und Suchenden mit. Kirche wird erschaffen und verändert durch jede:n, der ihr angehört oder sie verlässt. Kirche im Kontext aller gesellschaftlichen Veränderungen ist mit unzähligen Fragen konfrontiert. Das ist beruhigend und beunruhigend zugleich. Es ist also mit der Kirche so wie bei mir zu Hause mit unseren vier Kindern aktuell: Wir sind in die Pubertät geraten. Jede Transformation unserer Organisation braucht Vertrauen in Gott, Zusammenarbeit mit anderen und mehr denn je Kreativität.

Hat „Kirche“ diesen Menschen etwas anzubieten? Muss sie das?
Fenkart: Stellen Sie sich vor, Christ:innen würden ihren Glauben an Jesus, ihre Hoffnung und Freude oder die daraus resultierenden Taten der Nächstenliebe allen Menschen vorenthalten. Die Christenheit wäre verkümmert. Kirche entsteht immer in Begegnungen und Beziehungen. Wir sind ja von unserem genetischen Code her Zeugen der Auferstehung Jesu und ein der Welt zugewandter Ermöglichungsraum. Wo Kirche heute nicht ermöglicht, ist sie erledigt.

Was kann „Kirche“ zum Heute beitragen?  Was würde fehlen, wenn es „die Kirche“ nicht gäbe?
Fenkart: Durchwandern Sie Vorarlberg von oben. Fliegen Sie gedanklich über Dörfer und Städte und radieren Sie alle Pfarrkirchen in 96 Gemeinden aus der Landkarte. Löschen Sie über 22 katholische Privatschulen, alle Klöster, 600 Kapellen, die kirchlichen Friedhöfe und drehen Sie das Licht in allen Pfarrheimen ab. Versuchen Sie, beim Wunsch einer Beerdigung erst gar nicht bei uns anzurufen und taufen Sie Ihr Kind künftig selber. Könnte es sein, dass die Kirche Vorarlbergs eine verlässliche Regionalversorgerin und Vernetzerin ist?

Im vergangenen Jahr haben Sie sich – wie man merkt – mit den „Stärken“ der Kirche beschäftigt. Ein Wechsel der Vorzeichen? Und warum ist es für uns ungewohnt, über unsere Stärken nachzudenken?
Fenkart: „Wer nicht weiß, wofür er steht, der vergeht“, heißt ein Spruch. Unsere Kirche hat ein selbstverschuldetes Image-Problem. Daher muss sie wissen und kommunizieren, wofür sie steht und wohin sie sich entwickeln will. Wir können gut selbstkritisch auf uns herumhacken. Dem entgegen sollten wir nicht alles schönreden, sondern öffentlich aufzeigen, welche Leistungen von uns erbracht werden. Was viele Priester und Seelsorger:innen und über 20.000 kirchliche Mitarbeitende leisten, kann in Statistiken nicht erfasst werden.

Was folgt daraus?
Fenkart: Wir müssen unsere Denkfehler finden. Nur weil viele aus der Kirche austreten, heißt das beispielsweise nicht, dass unsere Rituale nicht stark wären. Es gilt jedenfalls, die Stärken zu stärken, die Talente der Mitarbeitenden zu fördern, Gemeinschaft zu bilden, so dass Menschen Kirche als Entwicklungsraum erfahren können. Weil Kirche ein Ort der Gegenwart Gottes ist, sollte man bei uns lernen können, über den eigenen Glauben zu sprechen. Ich würde gerne herausfinden, wie man das gut machen kann.

Anderes Thema: Papst Franziskus hat die derzeit weltweit laufende Synode um ein Jahr verlängert. Das Nachdenken über Zukunftswege geht also weiter. Was kann bisher über die Synode gesagt werden?
Fenkart: Es ist gut, dass miteinander geredet wird. Überall dort, wo man sich etwas zu sagen hat, können sich Dinge bewegen. Nach dem Anpfiff fliegen bei der Synode viele Wünsche und Bälle „durch die Luft“, was auch das letzte Synoden-Papier verrät. Spätestens nach der Verlängerung, beim 11-Meter-Schießen, sollten ein paar Bälle ins Tor, so auch in der Frauenfrage. Diese ist so naheliegend wie komplex und mit ihr kommt eine notwendige Debatte über alle kirchlichen Ämter in Gang. Die Spieldauer wird meine Lebenszeit vermutlich leider überschreiten.

Welche neuralgischen Knotenpunkte zeichnen sich ab?
Fenkart: Angesichts der vielen brennenden Themen und der zahlreichen unterschiedlichen Positionen, vermute ich einen gordischen Knoten.

Viele werden sich fragen, ob eine Synode der viel zitierten „alten, weißen Männer“ wirklich eine Zukunft haben kann. Wieso glauben Sie doch daran?
Fenkart: Pessimistisch stimmen mich unsere hierarchischen, männerbündischen Strukturen. Diese klerikale, individualistische Kultur wirkt isolierend und ist wenig förderlich. Als Optimist bleibt mir das Gebet, dass die Synoden-Ohren der Kirche beim Zuhören der Anliegen in die eigenen Eingeweide hineinreichen. Denn im Synodenpapier wird der Anspruch formuliert, dass sich aus dem gegenseitigen Zuhören ein Annehmen entwickeln muss.

Was würden Sie jemandem sagen, der sich fragt, ob er bei der Berufswahl auch an „die Kirche“ denken sollte?
Fenkart: Wer zu viele Fragen stellt, kommt nie ans Ziel. Wir stellen ein. Schreiben sie an:

Martin Fenkart

Pastoralamtsleiter Martin Fenkart