„Rituale sind da, wenn der Seele die Worte fehlen“, heißt es, bevor Gery Keszler beim Herbstsymposion das Podium betritt. Als er es wieder verlässt, ahnt man, dass das stimmt.

Gery Keszler ringt mit den Worten. Das, was ihm die deutsche Sprache anzubieten hat, an Begriffen, Formeln, scheint zu ungenau zu sein, zu hölzern für das, was er sagen will. Wenn er ausdrücken möchte, was ihm der Life Ball bedeutet, dieses gigantisch-erfolgreiche Benefiz-Event zugunsten HIV-Positiver. Wenn er versucht zu erklären, wie sehr es ihn berührt hat, dass das 25-Jahr-Jubiläum auch mit einem überkonfessionellen Gedenkgottesdienst im Wiener Stephansdom gefeiert werden konnte - mit Kardinal Christoph Schönborn als Zelebranten, Conchita Wurst, die die Fürbitten las und einem mit riesigen Quilts dekorierten Kirchenschiff.

Stürmische Zeiten. „Rituale vermitteln Menschen Sicherheit und Schutz“, meint er, und es klingt, als hätte er in diesem Moment gern so ein Ritual zur Hand. Hat er aber nicht: Keszler sitzt neben Pastoralamtsleiter Martin Fenkart am Podium im Bildungshaus St. Arbogast und blickt in einen Saal voller Menschen, die darauf warten, dass er weiterredet - weil das Format „moderiertes Gespräch“ nunmal so funktioniert.
Keszler war kaum 20, als er seinen Vater traf, der es sich als Opalminenbesitzer in Australien eingerichtet hatte - das Buch „Mein Kampf“ am Nachttisch. Er war 23, als ihm Ärzte sagten, dass er es sich die nächsten drei Jahre besser so schön wie möglich mache, weil ihm das HI-Virus bis dahin sicher den Rest geben werde. „Das macht was mit einem“, sagt Keszler, der heute 55 ist.

Keszler und der Kardinal. Es ist zum Beispiel ein Grund dafür, dass es seit 1992 den Life Ball gibt, der unseren Vorurteilen gegenüber AIDS-Kranken Jahr für Jahr den Spiegel vorhält (und nebenbei die Klatschspalten jubeln lässt - ein notwendiges Übel für Keszler). Seine Erfahrungen und die Art, wie Keszler darüber spricht, sind sicher auch ein Grund dafür, dass jemand wie Kardinal Schönborn bekennt, dass er selbst mit genau solchen Vorurteilen zu kämpfen hatte - bis er Keszler persönlich kennenlernte. In vielen Begegnungen und Gesprächen sei eine Freundschaft gewachsen, die den Kardinal den aus der Kirche ausgetretenen Keszler bitten lässt, im Gedenkgottesdienst gemeinsam mit ihm an den Altar zu treten - gegen jede Konvention.

Rituale auf dem Prüfstand. „Der Life Ball hat dazu beigetragen, dass gesellschaftspolitisch etwas passiert“, meint Keszler, der Rituale immer wieder auf die Probe stellt. Und der sich das auch von anderen wünscht - von der Kirche zum Beispiel: „Mir ist es wichtig, dass es die Kirche gibt“, sagt er - auch, wenn sein Glaube jenseits dieser „Firma“ stattfindet. Er hofft trotzdem, dass sie lernt, der weltlichen Realität des 21. Jahrhunderts ehrlich zu begegnen. Der Gottesdienst im Stephansdom sei für ihn ein Schritt in diese Richtung. Aber: „Es braucht viele solche Aktionen, um Veränderungen zu erreichen.“

Der Glaube war immer da. Auch, wenn einen der Gegenwind manchmal fast umbläst: „Nach einer Veranstaltung wie dem Life Ball bin ich hinterher nie ganz glücklich, denn auf tausend Dankeschöns kommt immer der eine Kommentar, der alles zerstören kann“, sagt Keszler. Das seien Momente, in denen er resignieren könnte ob der Trägheit und Dummheit der Welt. Momente, in denen er vielleicht auch gern in die Sicherheit und den Schutz eines Rituals flüchten würde. Nur: „Die Spiritualität ist mir weniger gegeben - meine Gottessehnsucht kennt viele Aggregatzustände. Aber der Glaube war immer da.“

(Artikel aus dem KirchenBlatt Nr. 36 vom 6. September 2018)