Warum kommt niemand mehr in die Kirche? Christian Hennecke, Leiter der Hauptabteilung Pastoral im Bistum Hildesheim, glaubt: Weil Gott längst woanders unterwegs ist...

„Der rote Teppich, der da draußen liegt“, meint Christian Hennecke, „ist ein schönes Bild. Denn: Er führt nicht in die Kirche hinein. Er führt aus ihr heraus.“

„Kirche umkrempeln und das Evangelium wagen“ hat der Leiter der Hauptabteilung Pastoral im norddeutschen Bistum Hildesheim seinen Vortrag beim Diözesanforum überschrieben. Und vor allem das mit dem Umkrempeln meint er sehr ernst.

Wohin geht Gott?

„Gottes Volk ist in der Krise“, stellt er fest – „ständig.“ Warum? Hennecke hat Ursachenforschung betrieben und im Buch Jesaja nachgelesen – an der Stelle, die dem Diözesanforum als Leitstern dient („Auf, ihr Durstigen…“, Jes 55,1): „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege“ heißt es da (Jes 55,8).

Et voilà, meint Hennecke: Weil wir so genaue Vorstellungen davon haben, wie Kirche zu sein hat (nämlich so wie bisher), merken wir nicht, dass Gott längst etwas ganz anderes vorhat. Wir klammern uns an Rituale und Dogmen – und übersehen dabei völlig die Realität.

Die da wäre: Die Leute, die zu uns in die Kirchen kommen sollten, tun’s nicht. Über die Gründe könne man spekulieren – man könnte diese Begebenheit aber auch einfach anerkennen, findet Hennecke. Und man dürfe – mit Blick auf die zugespielte Straßenumfrage – feststellen: Die Wünsche, Bedürfnisse und Sehnsüchte der Menschen sind trotzdem dieselben wie eh und je: Es „dürste“ uns nach Beziehungen, nach dem Gefühl von Zugehörigkeit, nach Orientierung, nach Sinn. „Diese Menschen müssen wir nicht umformen“, meint Hennecke, „die müssen nicht kommen – bei denen ist Gott nämlich schon.“

Das Neue sehen lernen

Was für ein Gedanke! Sollte Gott tatsächlich schon längst woanders unterwegs sein? Sollte er – an Traditionen, Konventionen vorbei – (s)einen Weg zu den Menschen gefunden haben? Einen, der (noch?) nicht unserer ist?

„Lass mich dich lernen“, zitiert Hennecke den einstigen Aachener Bischof Klaus Hemmerle – um alle zu ermutigen, mit einem ähnlich offenen Geist Gottes Spuren zu folgen. Über den roten Teppich aus der Kirche heraus. Dahin, wo Menschen miteinander verbunden sind. Zu zweit, zu dritt, geeint durch gemeinsame Werte, Ansichten, Ideale. Christian Hennecke kennt Beispiele für alternative Lebenswendefeiern, wie sie in Halle an der Saale ökumenisch und sehr erfolgreich zelebriert werden. Er kennt „Bibellese-Telefonkonferenzen“ unter jungen Manager/innen. Und er kennt die Geschichte von fünf Frauen aus Großbritannien, die begonnen haben, nicht nur für die Menschen in ihrem Dorf zu beten, sondern aktiv etwas für sie zu tun. Indem sie der jungen Alleinerziehenden beim Babysitten helfen und die Frau unterstützen, die ihren Mann daheim pflegt. An all diesen Orten, die so wenig mit unseren klassischen Vorstellungen von Gottesdienst zu tun haben, sei der Heilige Geist sehr lebendig, glaubt Hennecke. Oder um es abermals mit Jesaja zu sagen: „Seht her, nun mache ich etwas Neues. Schon kommt es zum Vorschein, merkt ihr es nicht?“ (Jes 43,19)

„Wir müssen dieses Neue sehen lernen“, rät Hennecke, und die Wirklichkeit der Menschen ernst nehmen. Um uns anschließend zu fragen: Wie können wir unterstützen und begleiten, was hier geschieht? Aber das ist Schritt zwei. Schritt eins führt durch das Portal von St. Martin hinaus in die Gegenwart…