Gedanken zum Sonntag von Diözesanadministrator Dr. Benno Elbs

In diesen Tagen um Allerheiligen und Allerseelen sind viele von uns vor den Gräbern lieber Menschen gestanden. Einige mussten den schweren letzten Weg mit einem geliebten Menschen gehen.

Wenn ich vor einem offenen Grab stehe, dann stelle ich mir immer wieder die Frage: Wofür hat dieser Mensch eigentlich gelebt? Gleichzeitig beschäftigt mich dann der Gedanke: Wofür lebe ich eigentlich? Was ist die Überschrift über meinem Leben?

Heute ist das Fest des hl. Martin und weil er – obwohl er nicht viel damit zu tun hatte – immer wieder mit der Gans in Verbindung gebracht wird – kommt mir eine nette Geschichte von Antoine de Saint-Exupéry in den Sinn.


Die Weite des Horizonts

Wie jeden Tag wurden die Hausgänse aus ihrem Stall gelassen. Sie spazierten schnatternd auf dem Feld herum. Es ging ihnen nicht schlecht, denn Futter hatten sie genug und der Herbst war ja noch weit. Aber an diesem Tag wiederfuhr ihnen eine denkwürdige Begegnung. Plötzlich hörten sie Rufe am Himmel, die sie verstanden wie ihre eigene Sprache. Hoch über ihnen flog ein Schwarm Wildgänse. Diese hatten ihre Vettern auf dem Boden bemerkt und riefen ihnen zu. Sie zogen einen Kreis in den Himmel. Die Hausgänse reckten ihre Hälse und brachten vor lauter Überraschung keinen Laut mehr hervor. Zugleich waren ihre Verwandten auch schon in der Weite des Horizonts verschwunden. Die eingezäunten Hausgänse überkam eine merkwürdige Ahnung von Freiheit und Weite. Für ein paar Augenblicke blieb es ganz still unter ihnen. Dann senkte die älteste Gans jäh ihren Kopf und wandte sich wieder dem gebotenen Futter zu. Und alle taten es ihr gleich. Nach und nach vergaßen die Hausgänse ihre wilden Vettern und fügten sich ein in ihre wohlbestallte Unfreiheit mit fraglichen Zukunftsaussichten.


Die Berufung der Gänse

Von ihrem Ursprung her, ihrer Berufung folgend, sind Gänse wildlebende, freie Vögel, die jedes Jahr einen großen Vogelzug unternehmen. In Gefangenschaft werden ihre Flügel gestutzt. Zugleich werden sie gefüttert und träge gemacht. Ihre Bestimmung lautet: Federn und Kochtopf. Die Idee Gottes wird zunichte gemacht.
In unserem Alltag geht es uns doch manchmal ähnlich, und erst in Zeiten der Ruhe kommen wir unserer inneren Bestimmung näher. Wir fühlen, was wir wirklich wollen. Frei von Alltagssorgen und Begrenzungen wissen wir, wohin unsere Bestimmung uns tragen will. Unsere Berufung liegt jenseits der Weite des Horizonts, das wissen wir.


Im Nächsten - auf Christus schauen

Das war wohl das Lebensthema des hl. Martins, den wir am heutigen Tag feiern. Im Menschen in Not, im Bettler, dem er auf Augenhöhe begegnet ist, hat er Christus entdeckt. Sein Thema ist die Solidarität mit dem Menschen am Rande, mit dem Menschen, dem niemand Aufmerksamkeit schenkt.


Er hat „STOPP“ gesagt

Das wohl könnte eine Überschrift über dem Leben Carl Lamperts sein, der vor einem Jahr in Dornbirn selig gesprochen wurde. Im Angesicht des Todes hat er sein Bekenntnis zu Jesus Christus gelebt. Er war ein Mensch, der auf das eigene Gewissen hörte und den große Zivilcourage ausgezeichnet hat. Eigenschaften, die wir heute in einer Gesellschaft, die leicht zu manipulieren ist, ganz besonders brauchen. Dass Menschen wieder Menschen werden, ist das große Anliegen unseres Seligen.

Der heilige Martin und der selige Carl Lampert sind nur zwei Beispiele, die Antwort geben auf eine der größten philosophischen Fragen jeder Zeit:  „Wofür lebst Du?“ Ihre Antwort ist klar und sicher – und wie heißt meine Antwort?


Dr. Benno Elbs
Diözesanadministrator