Der Berg hat im Leben des Menschen eine große Bedeutung. Er ist ein Ort seltener Schönheit jenseits aller Zeit. Ein Ort des Überblicks, der sich zum Horizont weitet. Dorthin, wo auch unsere Sehnsucht uns hinzieht. Der Berg ist aber auch ein Ort für den Kick. Ein Ort der Gefahr und des plötzlichen Todes. Er ist ein Ort der Einsamkeit.


Gedanken zum Sonntag von Diözesanadministrator Dr. Benno Elbs

Jesus führt die Jünger im Evangelium, das heute in den Sonntagsgottesdiensten verkündet wird, auf diesen Berg Tabor, um ihnen Wesentliches für ihr Leben zu zeigen: das Glück und die Gotteserfahrung.

Petrus - einer der Freunde Jesu, die dabei sind – ist begeistert und überwältigt. Er will bleiben und schlägt vor, drei Hütten zu bauen auf dem Berg.

Freudige Lebendigkeit

Was geschah in dieser Tabor-Stunde damals? Was geschieht in den Tabor-Stunden heutiger Tage und heutiger Menschen?

Es gibt viele Definitionen von „Glück“. Eine, die mich besonders angesprochen hat, ist, dass das Glück etwas zu tun hat mit einer freudigen Lebendigkeit.

Das Sehnen nach Glück

Die psychologische Forschung der letzten Jahrzehnte hat sich immer wieder die Frage gestellt, was denn eigentlich herausragende und besonders vorbildliche Menschen zu solchen macht? Was macht sie so besonders leistungsfähig, gesund, widerstandsfähig, schöpferisch, erfolgreich? Was hilft einem Menschen letztendlich, ein glückliches Leben zu führen?

Zwei Ergebnisse haben mich besonders überzeugt. Das eine sind die Forschungen des berühmten Psychologen Abraham Maslow. Er zeigt, dass es die mystischen Erfahrungen sind, die diese Menschen verbinden. Sie alle berichten in den Untersuchungen von Augenblicken, in denen sie sich einer grenzenlosen Zugehörigkeit bewusst wurden und alles, was um sie herum war, als wahr und gut und schön erlebten. Maslow entwickelte dann den Begriff der „peak experiences“ – Gipfelerlebnisse –, weil es seine Medizinerkollegen unpassend fanden, in der Naturwissenschaft von mystischen Erlebnissen zu sprechen.


Glück und Sinn

In eine ähnliche Richtung führen uns die Erkenntnisse von Viktor Frankl, der sagt, dass das Glück dort ist, wo der Mensch im Sinn aufgeht, wo er etwas tut und gestaltet, was sein Leben im Tiefsten sinnvoll werden lässt: in schöpferischen, in kreativen Tätigkeiten, in schönen Erlebnissen und gerade auch in der Erfahrung der Hoffnung und des Vertrauens in Situationen, die das Leben schwer machen.

Mein persönlicher Berg Tabor

Ich bin überzeugt, dass alle Menschen solche Gipfelerlebnisse haben dürfen. Dass sie -  theologisch gesprochen – Tabor-Stunden erleben dürfen.

Vielleicht erinnern Sie sich an einen Augenblick in Ihrem Leben, wo Sie eine tiefe und freudige Lebendigkeit erfahren durften, wo Sie spürten, dass die Welt mehr ist als unser kleines Leben, wo Sie plötzlich aufgingen in der großen Erfahrung der Ewigkeit und des Ganzen, wo das Schöne, das Wahre, das Gute irgendwie spürbar geworden ist. Theologen sprechen dann von Gotteserfahrung.

Wir werden manchmal hineingenommen in solche Erfahrungen durch eine wunderschöne Musik, durch einen Blick in das Firmament einer sternklaren Nacht, bei der Geburt eines Kindes, in der Erfahrung des Geliebtseins, beim Anblick eines schlafenden Kindes, im Erleben, irgendwo dazugehören zu dürfen, dabei zu sein.

Es ist die Erfahrung der Zugehörigkeit, die der Gegenpol ist zu Verlassenheit und Verzweiflung. Wir fühlen uns daheim, wir sind geborgen, wir wissen uns beschenkt.

Wir verstehen, dass Petrus diese Erfahrungen nicht loslassen will. Er will auf dem Berg Tabor drei Hütten bauen, die Symbole dafür sind: Er will bleiben.

Die Lebenserfahrung zeigt uns aber, dass wir solche Augenblicke nicht festhalten können. Sie sind wie ein „scheuer Vogel“, der auf unserer Hand sitzt und nur so lange dort bleibt, bis wir versuchen, ihn festzuhalten. Wenn wir die Hand zur Faust ballen wollen, dann fliegt er noch im selben Augenblick davon. Glück und Gotteserfahrung brauchen ein offenes Herz, das nicht fesselt, das nicht krampfhaft festhält, das einfach offen ist für das Empfangen.

Geborgen bei Gott

Ich möchte Ihnen wünschen, dass Sie in dieser Zeit bis Ostern solche Tabor-Stunden erleben dürfen. Sie helfen uns auch, die schweren Wege unseres Lebens zu gehen, wenn wir durch das Tal der Enttäuschungen, das Tal der Verletzungen, das Tal der Einsamkeit gehen müssen. Wir können diesen Weg dann gehen in der Hoffnung, dass die vielen Talsohlen unserer Existenz nicht alles sind, dass nach einer Zeit der Dunkelheit, die vielleicht durch eine Krankheit, durch den Tod, durch den eintönigen Alltag in unser Leben hereinbricht, wieder diese Erfahrung des Tabors steht, die Erfahrung der freudigen Lebendigkeit, die Erfahrung der Hoffnung, dass schlussendlich unser ganzes Leben in der Hand Gottes geborgen ist.