Von Generalvikar Dr. Benno Elbs

Generalvikar Dr. Benno ElbsEigentlich möchte ich ein paar aufbauende Gedanken zum heutigen Sonntagsevangelium (Mt 5,38-48) schreiben. Ich möchte darüber schreiben, dass Jesus nicht das Recht, sondern die Rache ablehnt, dass Gewalt die Spirale der Vernichtung in die Höhe treibt und dass das Aussteigen aus dem Kreislauf von Gewalt und Gegen-Gewalt die Voraussetzung ist für eine friedliche Zukunft.

Da macht mir ein Bericht von Alexander Solschenizyn aus den grauenhaften Straflagern Stalins zunächst einen ordentlichen Strich durch die Rechnung:  "Das dichtmaschige Spitzelsystem raubte den Inhaftierten die letzten Freiräume. Erst von dem Augenblick an besserte sich die Situation, als die Spitzel nachts umgebracht wurden ..." Solschenizyn bemerkt in Anspielung auf die Bergpredigt und auf Mt 26,52: "Den Spitzeln das Messer in die Brust bohren! Messer schmieden und auf Spitzeljagd gehen! Das ist es! ...Wer grundlos zu fünfundzwanzig Jahren Lager verdammt wird, wer seinen Namen verliert und vier Nummern angeheftet bekommt, die Hände immer auf dem Rücken halten muss, jeden Morgen und Abend gefilzt wird, täglich bis zur Erschöpfung robotet ... für den hören sich alle Reden der großen Menschenfreunde wie das Geschwätz satter Spießer an ... Nicht umsonst hat das Volk aus langer Bedrückung die Lehre gezogen: Mit Güte kommt man gegen das Böse nicht an."

Unweigerlich denke ich hier an das Prinzip der Vergeltung und des Ausgleichs (Lex talionis), das Jesus auch im Evangelium erwähnt. Aber stimmt das? - Kommt man mit Güte gegen das Böse auf Dauer wirklich nicht an? Kann es einen hoffnungsvollen Wendepunkt zum Guten hin geben, wenn wir nicht aufhören Gleiches mit Gleichem zu vergelten?

 
Mit Güte gegen das Böse

Bescheidener, aber nicht weniger entschieden möchte ich diesen Gedanken des Schriftstellers Solschenizyn das Leben Jesu gegenüberstellen, das zu einer neuen Initiative rät: Als er die Macht der Mächtigen am eigenen Leib zu spüren bekam, umgab er sich weder mit Schwertern noch mit Engeln. Er schlug nicht zurück, er beantwortete Gewalt nicht mit Gewalt. Jesus geht wehrlos auf die Angreifer zu. Ohnmächtig ist er am Kreuz gestorben. Sein Tod und seine Auferstehung haben die Gewalttätigkeit aus den Angeln gehoben und zu einer großen Wende geführt.

Im Blick auf das Kreuz Jesu, auf die gewaltlose Antwort der Liebe, möchte ich sagen: Der Respekt, die Güte des Herzens sind die einzigen Kräfte, die einen Menschen und damit die Welt im Innersten zum Guten hin verändern können.

 
Gerechtigkeit und Versöhnung

Für diese schwere Frage der Feindesliebe und des Umgangs mit Gewalt ist mir ein Wort von Papst Johannes Paul II. wichtig geworden. Er meint, dass Frieden und eine gute Zukunft der Welt und des Menschen von Gerechtigkeit und Versöhnung abhängen. In diesen beiden Worten sehe ich das Anliegen Jesu und auch die Einwände vieler geknechteter, gefolterter und getöteter Menschen unserer Zeit. Es braucht das Recht und die Gerechtigkeit und den entschiedenen Einsatz für sie. Aber auch diese werden uns nicht vor Verletzung, Kränkung und Zerstörung bewahren. Darum geht es auch nicht ohne Versöhnung und Liebe zum Menschen, der mir Unrecht angetan hat. So kann aus einem Feind vielleicht sogar ein Freund werden.

Das wird wohl auch das einzig erfolgreiche Rezept im Blick auf Ägypten und andere Staaten Nordafrikas sein. Ohne das Verzeihen werden die ehemaligen Knechte und Opfer zu grausamen Herren und Rächern und die ehemaligen Herren und Diktatoren zu Verfolgten und Knechten. Die Rollen kehren sich lediglich um (wie leider so oft in der Geschichte und in den Lebensgeschichten der Menschen) und die Situation führt nicht auf einen neuen Weg des Friedens.

"Liebt Eure Feinde und betet für die, die Euch verfolgen, denn Gott lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten. Wenn Ihr nur die liebt, die Euch lieben, was tut Ihr damit Besonderes? Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch Euer himmlischer Vater ist." (vgl. Mt 5)

(Diese Gedanken zum Sonntag erschienen in den "Vorarlberger Nachrichten" vom Samstag, 19. Februar 2011. Bild: Timothy Vogel / flickr.com)