Generalvikar Dr. Benno ElbsEin Blick in die Weltsituation ist ernüchternd: In Deutschland und in Europa wächst die Terrorangst, Hunger tötet täglich Tausende von Menschen, Kriege machen Frauen zu Witwen und Kinder zu Waisen. Minenfelder in Kambodscha lassen zerstümmelte Kinderkörper zurück, mit denen sie ein Leben lang leben müssen. Ich denke an einsame, betagte Menschen in meiner Nähe, die am Leben zu verzweifeln drohen. Naturkatastrophen in Pakistan und die Ölpest im Golf von Mexiko sind uns in Erinnerung. Einzelschicksale wie das von Samuel in der Sendung „Wetten dass...“ berühren uns.

Dagegen steht das prophetische „Trotzdem“ von Weihnachten. Die Kirche erkennt in Jesus den Spross, der aus dem toten Baumstumpf herauswächst. Mit diesem Spross ist das Reich Gottes angebrochen. Der russische Schriftsteller Alexander Solschenizyn erzählt, wie er als Häftling in Sibirien zusammen mit anderen Gefangenen gefällte Holzstämme zersägen musste. Als sie einmal einen der gespaltenen Stämme hochhoben, um ihn zu zerschneiden, entdeckten sie, dass aus der toten Rinde ein frischer Trieb herauswuchs. Die Gefangenen schrien auf. Dieser grüne Zweig war für sie ein Zeichen, dass ihr eigenes Leben – trotz Straflager – nicht aussichtslos war.

Weihnachtlich zu leben heißt, der Hoffnung und der eigenen Sehnsucht eine Chance zu geben. Gott kommt in die Lebenssituation des Menschen. Mit Weihnachten legt sich über die Ebene der Gewaltgeschichte die Ebene der Liebesgeschichte Gottes. Oscar Wilde sagt in diesem Zusammenhang: „Eine Weltkarte, in der das Land Utopia nicht verzeichnet ist, verdient keine Beachtung, denn sie lässt die Küste aus, wo die Menschheit ewig landen wird.“


Wie erreichen wir sie, diese Küsten unserer Sehnsucht?

Indem wir uns einladen lassen von diesem Kind in der Krippe. Es streckt uns seine Arme entgegen. Es zeigt uns, dass unser Leben ein Geschenk ist. Egal ob unser Lebenslauf scheinbar fehlerfrei ist oder ob wir Menschen mit einer gebrochenen Lebensgeschichte sind.

Die Weihnachtsgeschichte selbst ist alles andere als eine Erzählung aus glücklichen Zeiten. Kein warmes Geburtszimmer, sondern ein schmutziger, zugiger Stall, keine Glückwünsche für den Neugeborenen, sondern die Einsamkeit draußen vor der Stadt.

Das alles dürfen wir nicht außer Acht lassen, wenn wir wissen wollen, wo Weihnachten wirklich stattfindet und wo der menschgewordene Gottessohn tatsächlich zu Hause ist: nicht im Glanz des Weihnachtsschmuckes, sondern im Herzen des Menschen, in seiner Angst, in seinem Leid, in seiner Sehnsucht, in seiner Freude.

Bethlehem ist dort, wo ein Mensch erfährt: Ich werde ernst genommen, ich werde angenommen, ich werde auf die Seite des Lebens gestellt. Bethlehem ist überall.

Von Herzen wünsche ich Ihnen, dass Sie an Weihnachten diese Küste, dass Sie dieses Bethlehem in Ihrem Leben und in Ihrem Alltag immer wieder finden dürfen.

Dr. Benno Elbs
Generalvikar

(Weihnachtskommentar von Generalvikar Dr. Benno Elbs in den "Vorarlberger Nachrichten" vom 24.12.2010. Bild: Mr. T in DC / flickr.com)