Patroziniumspredigt Dornbirn November 2008

Das heutige Evangelium hat etwas Großartiges, etwas Tröstliches, aber auch etwas sehr Forderndes an sich.

Ich möchte in einem 3er-Schritt diesen biblischen Text mit Euch bedenken.
1. Gott hat uns Talente gegeben.
2. Aus diesen Talenten sollen wir etwas machen.
3. Wir werden gefragt.

Gott hat uns Talente gegeben.
Ich glaube, jeder und jede von uns darf sich über viele Fähigkeiten freuen, die Gott uns geschenkt hat. Aber ich möchte heute besonders auf die Talente eingehen, die er uns als Kirche, die er Euch als Gemeinde, die Ihr heute das Patrozinium feiert, gegeben hat.

Ein erstes Geschenk: Gott ist mit jedem Menschen in jedem Augenblick seines Lebens verbunden.
Ein zentraler Satz: Glaubst Du, dass Gott jeden Augenblick Deines Lebens mit Dir verbunden ist?

Vielleicht geht es Euch auch manchmal so wie mir, da denke ich mir:

Wenn ein Wunder geschehen würde, wenn Gott mir in einem brennenden Dornbusch begegnen würde, wenn ich vom Pferd geschmissen würde, wie Paulus vor Damaskus, dann könnte ich vielleicht leichter an diesen Gott glauben.

Aber es ist nicht die Sprache Gottes, Schaulustige anzuziehen, sondern die Begegnung mit Gott, das lesen wir an vielen Orten in der Bibel, leise, oft unbemerkt.

Gott umarmt uns nämlich durch die Wirklichkeit, in der wir leben. Er ist nicht irgendwo draußen, sondern er umarmt uns durch ein freundliches Wort, durch eine liebevolle Geste, durch eine berührende Erfahrung, durch schöne Musik, durch die Schöpfung. Es gibt viele Spuren Gottes in unserem Leben.

Sie kennen vielleicht die Erzählung zweier Menschen in der Wüste, wo es heißt: Woran merkt man eigentlich, ob ein Hund oder eine Katze um das Zelt gegangen ist? Der Wüstenmann antwortet: An den Spuren im Sand. So ist es auch in unserem Leben.

Liebe Freunde! Wir sind eingeladen an einem Tag wie heute, Fährtenleserinnen und Fährtenleser der Spuren Gottes in unserem Leben zu werden. Wo konnte ich persönlich diese Umarmung Gottes erfahren?

Das ist ein erstes großes Talent und Geschenk unseres Lebens. Wir dürfen die Umarmung Gottes erfahren, erleben und feiern. Gott ist jeden Augenblick Deines Lebens mit Dir verbunden.

Ein zweites Talent, das er uns als Christen gegeben hat in unserem Leben, ist wohl das Wissen, dass die Güte des Herzens die einzige Kraft ist, die die Welt nachhaltig und im Innersten verändert.

Die Welt hat ganz andere Gesichter. Ich denke an eine Begebenheit, die mir ein UNO-Soldat vor wenigen Tagen erzählt hat. Er war im Einsatz in Kambodscha, und da war es so, dass ein kambodschanischer Offizier, ein Regierungsoffizier seinen Mittagsschlaf gehalten hat. Und dann ist eine Mutter mit einem kleinen Kind an diesem Haus, an dieser Baracke vorbeigegangen. Das Kind hat geschrien, wie Kinder eben schreien. Der Oberst fühlte sich in seinem Mittagsschlaf gestört und hat seinen Soldaten befohlen, die Mutter und das Kind zu erschießen. Ein gestörter Mittagsschlaf fordert zwei Leben. Eine wahre Geschichte, erzählt von einem Mann, der dann beauftragt war, diesen Offizier im Auftrag der UNO zu verhaften. Das sind grausame Geschichten und Gesichter der Welt.

Es gibt aber auch andere Bilder.

Die Sprache des Kreuzes ist eine andere. Sie ist radikal orientiert an der Güte des Herzens. Ein Beispiel, das mich persönlich sehr beeindruckt ist, ist die selige Mutter Teresa.In einer Begegnung mit einem amerikanischen Journalisten soll sie folgendes Gespräch geführt haben. Dieser Journalist sagte zu Mutter Teresa: Das, was Sie hier machen, könnte ich nicht um 100.000,-- Dollar machen. Mutter Teresa sagte: Ich auch nicht.
Ihr Einsatz war geprägt von der Überzeugung, dass jeder dieser ärmsten Menschen mit verfaulten Körpern, all die sterbenden Kinder ein Bild für Jesus sind. Das hat ihr die Kraft gegeben, radikal diese Güte des Herzens zu leben.

Die Logik Jesu ist die Logik der Güte des Herzens, ist die Logik der Beziehung, der Begegnung, ist die Logik der Aufmerksamkeit.
Und ein drittes Talent, ein drittes Geschenk einer christlichen Gemeinde ist die Hoffnung. Die vergangene Woche war geprägt vom Thema „Erinnerung“. Wir haben uns erinnert an das 70-Jahr-Gedenken der Reichskristallnacht, wo die systematische Judenverfolgung ihren Anfang genommen hat. Wir haben uns erinnert an Carl Lampert, der wie viele andere als Märtyrer im NS-Reich gestorben sind: Franz Jägerstätter, Maximilian Kolbe, …

Alle diese Lebenswege wären nicht möglich gewesen, wenn sie nicht im Innersten genährt gewesen wären von der Hoffnung, dass Gott das JA, das er zum Menschen spricht, nicht zurücknimmt.

Gott will, dass die Welt, der Mensch durch Christus gerettet werden.

Ich erinnere mich an eine berührende Erfahrung vergangenes Jahr. Ich war aushilfsweise in einer Pfarre tätig. Und es war ein Unfall mit einem Jeep, bei dem ein 40-jähriger Vater tödlich verunglückt ist. Wir haben dann den Verstorbenen in die Kirche genommen und den Sarg geöffnet für Angehörigen, damit sie sich von ihrem Vater, ihrem Mann verabschieden konnten. Da war auch sein 13-jähriger Sohn Kilian. Er hat mit der Ziehharmonika am offenen Sarg seines Vaters das Lied gespielt: Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein. Nach diesem Lied und nach einem Abschiedsbrief, den er in den Sarg gelegt hat, was ich ihm geraten habe, ist er auf den Kirchplatz gegangen und hat Fußball gespielt.

Ich habe diesen Kilian dann gefragt, wie es ihm gehe, und er hat mir geantwortet: Es geht mir gut. Ich weiß, dass Gott auf meinen Vater schaut.

Es ist mir kalt über den Rücken gelaufen, wie man so schön sagt. Hunderte Predigten gehört, Briefe gelesen – aus dem Mund eines Jugendlichen in der schwersten Situation seines Lebens höre ich diesen Satz des Vertrauens und der Hoffnung: GOTT SCHAUT AUF MEINEN VATER.

Er war überzeugt, dass Gott das JA, das er zu seinem Vater gesagt hat, auch in dieser schweren Stunde nicht zurücknimmt. Gott nimmt das JA, das er zur Welt sagt, nicht zurück.

Aus diesen Talenten sollen wir etwas machen.

Liebe Freunde, das Evangelium heute sagt: Gott hat Euch Talente gegeben. Und ich glaube, eine christliche Gemeinde darf sich auf diese grundlegenden Geschenke besinnen. Das Evangelium fordert uns auf, aus diesen Talenten etwas zu machen. Das große Problem der Menschen im heutigen Evangelium ist die Angst. Die Angst zu versagen, die Angst, nicht ausreichend Gewinn zu machen. Das Evangelium heute hat etwas Ernstes, weil uns die Frage gestellt wird: Was hast Du gemacht? Was habt Ihr als Gemeinde gemacht mit diesen großartigen Geschenken, Talenten aus der Hand Gottes.
Wir werden gefragt.
Und das möchte ich Euch vor allem wünschen, den Mut. Den Mut, aus diesem großen Vertrauen heraus, aus dieser Freude heraus zu leben in einer Welt, die offensichtlich anderen Gesetzen folgt, äußerlich.

Sie folgt der Logik der Nützlichkeit. Was bringt es mir? Diese Frage: Was bringts? – steht im Vordergrund sogar bis hinein in unsere persönlichen Beziehungen. Was bringt mir die Beziehung zu diesen Menschen?

Sie folgt der Logik der Technik. Wirklichkeit ist nur das, was man beweisen kann, im Reagenzglas nachweisen kann. In dieser Welt, in dieser Logik, die auch notwendig ist, die uns auch teilweise den Wohlstand sichert, das ist klar, braucht es diese andere Sicht, und es braucht vor allem den Mut, das Selbstbewusstsein, diese entscheidenden Talente menschlichen Lebens einzubringen.

Das Motiv ist die Freude und der Wunsch nach einem sinnvollen Leben. So möchte ich Euch von Herzen wünschen, dass Ihr persönlich die Erfahrung machen dürft:
Gott ist jeden Augenblick meines Lebens mit jedem Menschen verbunden. Er umarmt uns durch die Wirklichkeit, in der wir leben.

Dass Sie die Erfahrung machen dürfen, dass es die Güte des Herzens ist, die die Welt letztendlich verändert. Nicht Bomben, nicht Geld, sondern die Aktie „Menschlichkeit“. Es ist die einzige, die nicht an Wert verliert.

Und ich möchte Euch wünschen, dass Ihr immer diese Hoffnung haben dürft: Unsere Hoffnung hat einen Namen: JESUS CHRISTUS. In den dunkelsten Stunden unseres Lebens dürfen wir die Erfahrung machen: Gott sagt JA zu Dir, zu mir, und er nimmt dieses JA nicht zurück bis in die Ewigkeit.

Und so möchte ich Euch den Mut wünschen, mit diesen Talenten kreativ, zuversichtlich und in Freude umzugehen.


Dr. Benno Elbs
Generalvikar