Wort zum Seelensonntag von Generalvikar Dr. Benno Elbs

Generalvikar Dr. Benno ElbsVor ein paar Tagen ging ich am Abend auf einem Friedhof spazieren. Berührend dieses Meer von Kerzen, die noch von Allerseelen und Allerheiligen her brennen – lauter kleine Osterkerzen, Boten der Hoffnung auf Auferstehung, Zeichen der Zuversicht. Eine Ahnung macht sich breit. Ich horche hinüber über die Schwelle, dorthin. Da ist mehr, als was ich vor Augen habe. Da ist mehr, als mein Verstand begreift. Eine Ahnung von Gott macht sich breit an diesem Ort.

Gott, der ins Leben ruft und ins Licht. Du segnest uns Christen mit Hoffnung. Du tröstest die Trauernden. Und eine Spur von Ewigkeit liegt in der Luft an diesem Ort der Hoffnung, tastend und entschieden zugleich nähern wir uns dem Satz Jesu im heutigen Evangelium – am sogenannten Seelensonntag – „Er ist doch kein Gott von Toten, sondern von Lebenden; denn für ihn sind alle lebendig“ (Lk 20,27-38). Für den persönlichen Glauben und für das persönliche Vertrauen ist die Erfahrung entscheidend. Und auch die Vernunft braucht ihren Ort. Deshalb drei kurze Argumente für diese Ahnung von Ewigkeit.

 
Zuerst anthropologisch: Was ist der Mensch?

Diese Frage stellen wir uns vielleicht, wenn wir in den Spiegel schauen. Bei diesem Anblick denken wir nicht, das ist mein Körper, sondern einfach, das bin ich. Und doch wissen wir, dass jede Minute Millionen unserer roten Blutzellen absterben und Millionen neue entstehen. Das gilt für alle Zellen meines Körpers. Was sich nicht verändert, hat man in der Philosophie den „inneren Leib“ genannt: die Seele. Menschen erkennen mich nach Jahren wieder, obwohl inzwischen fast alle physischen Bestandteile „ausgewechselt“ wurden. In Augenblicken großer Lebendigkeit (der Psychologe Abraham Maslow spricht von „Gipfelerlebnissen“) wird uns als Menschen bewusst, dass wir inmitten allen Wandelns etwas in uns kennen, das Bestand hat. Philosophen sagen: Wir haben Anteil am Sein. Die innere Erfahrung unzerstörbaren Seins ist grundsätzlich jedem Menschen zugänglich.

 
Ein theologisches Argument

Wenn Gott und weil Gott der Gott der Lebendigen ist und den Menschen, sein Geschöpf, beim Namen ruft, darum kann dieses Geschöpf nicht untergehen. Gott ist Beziehung, weil er Liebe ist, und darum ist er das Leben. Beziehung zu Gott, zu allem Lebendigen macht uns unsterblich. Das große JA Gottes zu uns Menschen ist gleichsam die Garantie der Unsterblichkeit (vgl. Benedikt XVI. Eschatologie. Regensburg 2007).

 
Ein christologischer Gedanke

Das JA Gottes zu uns Menschen hat in der Person Jesus Christus sozusagen Fleisch bekommen.
Christus ist der Baum des Lebens, von dem der Mensch das Brot der Unsterblichkeit empfängt. Er sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Millionen von Menschen bis zum heutigen Tag bezeugen, dass Christus lebt. Und sie gehen für diese Hoffnung bisweilen in den physischen Tod als Märtyrer.

Die Erfahrung eines meditativen Spaziergangs am Friedhof und die theologischen und philosophischen Argumente schenken der Hoffnung Raum, die jede und jeden von uns trägt. Gott ist kein Gott der Toten, sondern von Lebenden. Denn für ihn sind alle lebendig. Der Autor Schalom Ben-Chorin fasst das inmitten von Todeszeichen, von Stacheldraht, von Bomben, von Gewalt und Feindschaft in einem schönen Satz zusammen: „Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt?“

Dr. Benno Elbs
Generalvikar

[Dieses Wort zum Sonntag erscheint in den "Vorarlberger Nachrichten" vom 6./7. November 2010), Bild: S'Valls / flickr.com]