Gedanken zum Sonntag von Generalvikar Dr. Benno Elbs

Wir kennen die Erfahrung. Wir bemühen uns um das Gute: in unserer Familie, in unserem Leben, am Arbeitsplatz, in der Politik, in der Kirche, in der Gesellschaft. Und manchmal geht das Gute, das wir zu säen versuchen, auf. Früchte werden sichtbar.

Gleichzeitig müssen wir merken, dass in diesem Garten des Lebens oft auch viel Unkraut ist. Die Frage ist: Woher kommt es? Die große theologische und philosophische Frage: Wo liegt die Ursache des Bösen in der Welt?

Der erste Reflex ist: Ausreißen! Das muss weg. Im Gleichnis vom Himmelreich, vom Unkraut und von der Ernte im heutigen Sonntagsevangelium (Matthäus 13,24-43) gibt Jesus einen anderen Ratschlag: Wartet bis zur Ernte! Wer zu früh einteilt in Gut und Böse, wer meint, dass er weiß, was richtig und falsch ist, läuft Gefahr, dass er auch die Ähren, die guten Früchte vernichtet.

Ja, es ist sogar so, dass außer Gott sich wohl niemand anmaßen darf, den Weizen vom Unkraut zu trennen und ein letztes Urteil über einen Menschen auszusprechen.

Klein und doch so groß

In der Bibel schließt Jesus heute ein zweites Gleichnis an. Das Himmelreich ist wie ein Senfkorn. Das kleinste von allen Samenkörnern. Sobald es aber hochgewachsen ist, ist es größer als alle anderen Gewächse. Wer traut einem kleinen Senfkorn zu, ein großer Baum zu werden, in dem die Vögel des Himmels wohnen und nisten, in dem Menschen Schatten finden?

Ich glaube, Jesus lädt uns ein, bewusst unsere Augen, unsere Herzen den Wundern des Lebens zuzuwenden. Gerade auch in dieser Zeit, im Stress des Alltags sind wir sehr schnell mit dem Einteilen in Gut und Böse, in Freund und Feind.

Oft übersehen wir dann die Wunder, das Gute und Schöne am Rand unseres Weges. Und das sogar in den schwierigsten Situationen unseres Lebens.

Da-Bleiben

Im Roman „Die Zeit der Wunder" von Anne-Laure Bondoux schreibt die Schriftstellerin von einer Erfahrung nach einem Bombenanschlag auf einen Zug – eine Erfahrung, die viele Menschen heute in aller Welt machen müssen: „Der Zug stand in Flammen, Menschen schrien, also bin ich näher herangegangen. Ich habe die Rufe einer Frau gehört. Ich bin in einen zerfetzten Wagen geschlüpft und zwischen den verbogenen Sitzen hindurchgekrochen. Sie lag zu einer Kugel zusammengerollt in einer Ecke, das Gesicht voller Blut. Sie hielt ein Baby an die Brust gedrückt. Ich habe mich über sie gebeugt. Es war zu spät. Ihr Baby war tot. Während ich versuchte, sie aus dem Waggon zu ziehen, ist sie ebenfalls gestorben. Ich blieb dort neben ihr sitzen und konnte lange nicht aufhören zu weinen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte."

Das Wunder ist hier das Bleiben, das Weinen, das Dasein. Ein schweres Beispiel. Eines, das aber zeigt, dass auch in dunkelsten Situationen Menschen da sind, die das Wunder ermöglichen.

Wie dem auch sei. Ich wünsche Ihnen in diesen Sommertagen eine Zeit der Wunder, den Blick für das Senfkorn, den Blick für das Gute, den Blick für das Dasein, für die Liebe, die Beziehung, den Blick für die Geschenke des Lebens, den Blick für Gott.

Das ist stärker als alles Böse.

Niemand hat es so gut zusammengefasst wie Hilde Domin:

Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten.

Ich wünsche Ihnen Ihre ganz persönliche Zeit der Wunder.

Dr. Benno Elbs
Generalvikar