Die vor allem als Schauspielerin bekannte Maria Schrader hat fünf Episoden aus dem Leben Stefan Zweigs im Exil verfilmt. "Vor der Morgenröte" ist derzeit im Kino zu sehen.

Klaus Feurstein

Stefan Zweig war zu seinen Lebzeiten einer der bekanntesten und meistgelesenen deutschsprachigen Schriftsteller. Geboren wurde er 1881 in Wien als Sohn eines jüdischen Textilunternehmers. Seine Mutter war Ida Brettauer, Tochter eines reichen, ebenfalls jüdischen Kaufmannsgeschlechts aus Hohenems. Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Die Schachnovelle“ und „Sternstunden der Menschheit“. Als Jude und Kritiker des aufkommenden Nationalsozialismus entschied  sich der Pazifist Zweig zur Emigration, die ihn 1933 zunächst nach England und  über die Stationen New York, Argentinien und Paraguay im Jahr 1940 schließlich nach Brasilien führte.

Der Film

Die Regisseurin wählt fünf Episoden aus seinem Leben im Exil aus und zeigt sie fast in Echtzeit, ohne Schnitte und Kamerabewegungen. Jeweils hart abbrechende Sequenzen unterstreichen das Fragmentarische in Zweigs Leben. Die formale Strenge der Inszenierung macht den Film zwar etwas sperrig, verhindert aber, dass die Geschichte zu einem kitschigen Rührstück wird. Sein außergewöhnliches Leben als gefeierter Exil-Literat im exotisch-tropischen Brasilien (mit einer zusätzlichen Szene im winterlichen New York) und der  tragische Selbstmord im Jahre 1942 zusammen mit seiner Frau hätten sich dafür angeboten. Auch der grandios agierende Josef Hader vermeidet durch seine einfühlsame, zurückhaltende Spielweise in der Rolle des Stefan Zweig alles Melodramatische.

Seine Aktualität

Als verblüffend zeitgemäß zeigt sich die Figur des Schriftstellers, der schon in den 30-er Jahren von einem Europa ohne Grenzen träumte, auch wenn er sich sicher war, dass dies noch nicht zu seinen Lebzeiten verwirklicht würde. Er sah sich als Staatenloser im Sinne eines Weltenbürgers, der nur Menschen und nicht Rassen und Nationalitäten kennt. Das Zusammenleben der verschiedensten Ethnien in Brasilien schien ihm ein Vorbild zu sein.

 Er lehnte jegliche direkte politische Stellungnahme als Schriftsteller im sicheren Exil gegenüber dem Naziregime ab, denn jede Widerstandsgeste ohne Risiko zeugte für ihn nur von Eitelkeit. Zwar ermöglichte er vielen Verfolgten in Hitlerdeutschland die Ausreise nach Amerika, zerbrach aber vor allem an der Tatsache, dass er relativ luxuriös und sicher in einer Art Paradies leben konnte, während in Europa Millionen von Menschen dahingeschlachtet und die von ihm hochgeachtete Zivilisation und Kultur zerstört wurden.

Am Schluss des Films wird sein Abschiedsbrief verlesen:

„Mit jedem Tage habe ich dies Land (Brasilien) mehr lieben gelernt und nirgends hätte ich mir mein Leben lieber vom Grunde aus neu aufgebaut, nachdem die Welt meiner eigenen Sprache für mich untergegangen ist und meine geistige Heimat Europa sich selber vernichtet. Aber nach dem sechzigsten Jahre bedürfte es besonderer Kräfte, um noch einmal völlig neu zu beginnen. Und die meinen sind durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft. So halte ich es für besser, rechtzeitig und in aufrechter Haltung ein Leben abzuschließen, dem geistige Arbeit immer die lauterste Freude und persönliche Freiheit das höchste Gut dieser Erde gewesen. Ich grüße alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus.“

Zweigs Leben als Flüchtling und sein Anti-Nationalismus lassen diesen Film hochaktuell erscheinen und durch die kunstvolle Inszenierung der Regisseurin sowie das grandiose Spiel der Hauptdarsteller zu einem außerordentlichen Kinoerlebnis werden.

„Vor der Morgenröte“ von Maria Schrader, Deutschland, Frankreich, Österreich 2016

Derzeit im Kino in Vorarlberg. Siehe rechte Spalte.