Der schwedische Filmemacher denkt in seinem neuen Werk über Existentielles nach. Über Glaube, Vergänglichkeit, Einsamkeit, Verletzlichkeit... Er komponiert 32 Szenen zu einem außergewöhnlichen Film.

Klaus Feurstein

In der ersten Einstellung, während schon die Credits eingeblendet sind, sieht man ein eng umschlungenes Paar über den Himmel schweben. Erst in einer späteren Szene wird der Kontext gezeigt: Sie fliegen über die Ruinen einer vom Krieg völlig zerstörten Stadt. Es ist Köln. Und wir befinden uns in einem Film von Roy Andersson, der bekannt ist für solche surrealen Sequenzen.

Bildkomposition und Erzählweise

In „Die Unendlichkeit“ erzählt er mit durchwegs statischer Kamera und ausschließlich ausgebleichten Beige- bis Blau-Grautönen kurze, nur lose miteinander verbundene Geschichten.
Jede Einstellung ist exakt choreographiert, genau ausgeleuchtet und findet in einer Umgebung statt, die oft arrangiert und durch die offensichtliche Kulissenhaftigkeit eher künstlich wirkt. Eine Frauenstimme aus dem Off verbindet die Sequenzen mit dem Satz „Ich sah einen Mann/eine Frau…“. Manchmal gibt es inhaltliche Verbindungen, immer wird der Film durch die Einheitlichkeit der ästhetischen Mittel zusammengehalten.
Augenblicke sind es manchmal nur, Vignetten, die oft alltäglich banal daherkommen: Ein Vater bindet seiner kleinen Tochter in strömendem Regen die Schuhe. Dabei wird über die Trivialität des Geschehens hinaus ganz unaufgeregt das Beispiel menschlicher Achtsamkeit und Fürsorglichkeit im Kleinen gezeigt.

Einige Sequenzen wirken absurd, wenn ein Ober in einem Restaurant dem einzigen Gast ein Weinglas einschenkt, bis es überläuft, oder surreal wie das schwebende Liebespaar, das an Marc Chagall erinnert. Andere wirken sehr berührend: Wenn Menschen an ihren existenziellen Fragen verzweifeln, wie ein Mann, der in einem vollen Bus unter Tränen bekennt, dass er nicht weiß, was er will. Oder da gibt es einen Pfarrer, der seelenwund über seinen verlorenen Glauben und die damit verbundenen Albträume sprechen will. Aber der Arzt hat keine Zeit für ihn, er muss seinen Bus, der in nach Hause bringt, erreichen. Beide Verzagten formulieren ihre Qualen weinerlich. Das wirkt zwar auf eine Art komisch oder fast lächerlich, verliert dadurch aber nicht die existentielle Dringlichkeit. In dieser Spannung zeigt Anderson viele Situationen. „Wenn man sich der Verletzlichkeit der Existenz bewusst wird“, so Andersson, „dann geht man mit dem, was man hat, respektvoller und vorsichtiger um“.

Zwischen alltägliche mischt der Regisseur historische Szenen aus dem Zweiten Weltkrieg. Auch hier eröffnet der Film Spannungsfelder:  zwischen scheintrivialen Alltagssituationen und Szenen aus der großen Geschichte oder Weltpolitik bzw. hochdramatischen und drastischen wie die, in der ein Mann gezeigt wird, der gerade einen Ehrenmord an seiner Tochter begangen hat und daran verzweifelt, oder ein zum Tode Verurteilter, der um sein Leben bettelt.

Die Frage nach der Unendlichkeit

Der Titel des Films bezieht sich auf ein Gespräch zweier Jugendlicher über den Ersten Satz der Thermodynamik, dass Energie in einem System konstant bleibt. Sie ziehen daraus den Schluss, dass ihre Energie nicht verschwindet, sondern sich nur verwandelt, und dass sie sich irgendwann wieder begegnen, vielleicht als Tomate oder Kartoffel. Das ist wieder banal, witzig, absurd und hintergründig zugleich.
Jedenfalls rührt der Film ganz tief an die grundlegenden menschlichen Fragen und rüttelt die Seele auf, lässt durch die distanzierenden filmischen Mittel aber auch Raum zur Reflexion.

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