„Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind“, heißt es in Goethes „Faust“. In den letzten Jahren haben auch die Film-Serien dieses Sujet für sich entdeckt. Wunder spielen schon in „The Young Pope“ von Paolo Sorrentino (2016) und auch in „Die Wege des Herrn“ (2018) von Adam Price eine Rolle.

Sorrentino präsentiert seine Geschichte zunächst als eine Vatikan-Satire, die sich dann zu einem ernsthaften Drama entwickelt, in dem der junge Papst von einem egoistischen Zyniker zu einem mitfühlenden jesuanischen Menschen wird. Seine angedeutete Heilungsgabe setzt er schließlich ein, weil er Menschen in ihrer Not helfen will. In der ersten Staffel von „Die Wege des Herrn“ zeigt sich das Wunder in Form des Zungenredens in einer Pastorendynastie und in der italienischen Serie „Ein Wunder“ (2019) ist es sogar titelgebend.

„Ein Wunder“ – die Serie

Im Zentrum der Geschichte steht eine kleine Marienstatue aus Plastik, die Hektoliter von Blut weint, ohne dass die Wissenschaft dies erklären könnte. Freilich fungiert die Madonna dabei eher als Katalysator oder mit den Worten von Hitchcock als „McGuffin“. Eigentlich geht es nicht um das Wunder an sich, sondern darum, wie die Menschen darauf reagieren.

Es ist der italienische Präsident selbst, der entscheidet, dass der Fund der blutenden Madonna geheim gehalten werden soll. Als aufgeklärtem Agnostiker geht es ihm zunächst nur darum, einen Ansturm der wundergläubigen Massen zu verhindern und die nationale Sicherheit zu garantieren. Schließlich wendet er sich aber an den mit allen Lastern behafteten Priesterfreund, der in der blutenden Statue ein Wunder sieht, das bei ihm eine sofortige Abkehr von seinem sündigen Lebenswandel bewirkt.
Als der Sohn des Präsidenten in Lebensgefahr schwebt, fleht auch der Skeptiker in seiner Verzweiflung die Madonna um Hilfe an. Dass diese nicht seinen Sohn, aber dafür sein politisches Überleben zu retten scheint, ist das Merkwürdigste in dieser an Kuriositäten und Brutalitäten (arte warnt: „für Kinder, Jugendliche und empfindsame Zuschauer nicht geeignet“) reichen Serie. Damit greift der Film einmal mehr das Motiv des Vaters, der seinen unschuldigen Sohn opfert oder opfern soll, auf, das in einem anderen Handlungsstrang (sowie in „Die Wege des Herrn“) noch direkter erzählt wird. Und selbst die Jungfrauengeburt wird im modernen Gewand hochgerüsteter Reproduktionsmedizin gezeigt.

Wunder eignen sich natürlich als Sujet besonders für visuelle Medien, und Blut muss man zeigen, statt darüber zu schreiben, begründet der Bestseller-Autor und Regisseur Niccolò Ammanitis seine Entscheidung, diese Geschichte filmisch zu erzählen.

Die Wunder Jesu

Auf das Spektakuläre der Wunder wird auch in seiner Serie hingewiesen. „Die Predigten Jesu reichten nicht aus, das Volk zu überzeugen, Jesus musste dazu ordentlich in die Trickkiste greifen“, sagt der Priester im Film zur Begründung des mirakulösen Wirkens Jesu.

Dieser Auslegung widerspricht aber die Anweisung Jesu an die geheilten Menschen, nicht darüber zu sprechen. Jesu Heilungen sind nicht spektakuläre Inszenierungen, sondern erzählerische Verdichtungen seiner Hinwendung zu den Menschen und seines Wunsches, sie auch in ihrer Leiblichkeit heil und ganz zu machen. Und sie sind eine Anleitung, wie auch wir andere heil machen könnten. Das hat Eugen Drewermann in seinen Büchern und Vorträgen eindringlich gezeigt. Würde man die Wunder Jesu und noch viel mehr die Madonnenwunder als Eingriff Gottes in die Naturgesetze verstehen, wäre dies ein vernichtendes Urteil über ein Wesen, das fähig und willig ist, in die Zeitläufte einzugreifen, dies aber mit nur so wenigen Menschen oder in so obskuren Prophezeiungen wie z.B. Fatima tut. Das Glaubensproblem stellen eigentlich nicht die Wunder dar, die Gott angeblich tut, sondern die Millionen von Wundern, deren die Welt bedürfte, und die er verweigert.

Offenheit der Serien

Zwar bedienen sich diese Serien des visuellen Spektakels, doch sind die erzählten Geschichten so komplex und bleibt die Interpretation der Ereignisse als Wunder so offen, dass sie durchaus in der Lage sind, einen Diskurs über das Mirakulöse zu initiieren. Weder wird ein naiver Wunderglaube bedient noch das Geheimnisvolle wissenschaftlich völlig dekonstruiert. Es bleibt ein Raum des Unerklärbaren.

Die Serie „Ein Wunder“ ist bis 22. Februar in der Arte-Mediathek abrufbar unter www.arte.tv/de/

Klaus Feurstein