Minutenlange standing ovations für einen Film gibt es nicht oft. Als die letzten Bilder des Films #FEMALE PLEASURE auf der Leinwand im letzten Filmfestival von Locarno verblassten, war das Publikum kaum zu halten. Der Film weckt starke Emotionen. Er handelt von weiblicher Sexualität oder besser – von der Unterdrückung weiblicher Sexualität in fünf wichtigen Kulturkreisen und Religionen der Welt. Der Film wird auch in Vorarlberg Emotionen wecken.

Fünf Frauen

Diese Emotionen sind weniger der Machart des Films geschuldet als den starken Persönlichkeiten der fünf Protagonistinnen mit ihren durchaus unterschiedlichen Themen. Die Schweizer Regisseurin Barbara Miller lässt diese fünf Frauen nämlich ausdrücklich zu Wort kommen und sie begleitet sie ein Stück weit durch ihre persönlichen und beruflichen Alltagswelten.
Deborah Feldman wuchs im ultraorthodoxen jüdischen Milieu in New York auf. Mit 17 Jahren mit einem ihr unbekannten Mann verheiratet, reduzierte sich Sexualität in ihrem Erfahrungsraum auf die Einhaltung der Reinheitsgebote und die Reproduktion. Feldman entschloss sich zum Bruch mit ihrer Gemeinschaft – und damit auch zum Bruch mit ihrem gesamten bisherigen sozialen Netzwerk – und lebt heute als Schriftstellerin in Berlin. Die Somalierin und Muslimin Leyla Hussein wurde im Alter von sieben Jahren genital verstümmelt und engagiert sich heute gegen diese Praxis, die vor allem im nördlichen Afrika weit verbreitet ist. Die japanische Künstlerin Rokudenashiko kämpft mit öffentlichen Performances gegen die Tabuisierung weiblicher Sexualität und Lust in der buddhistisch-schintoistisch geprägten Tradition Japans. Für eine ihrer Aktionen wurde sie wegen „Obszönität“ verurteilt und kämpft vor Gericht für einen Freispruch. Das Engagement der indischen Aktivistin Vithika Yadav entsprang ihren Erfahrungen mit sexueller Belästigung, denen eine überwiegende Mehrheit von indischen Mädchen und Frauen täglich ausgesetzt ist.
Bei der Christin handelt es sich um Doris Wagner. Sie entstammt einem sehr konservativen, zum Katholizismus konvertierten Elternhaus. Sie ist mit 19 Jahren in die geistliche Familie „Das Werk“ eingetreten. Nach ihrem Austritt aus der Gemeinschaft hatte sie einem Ordensmitglied im Haus der Gemeinschaft in Rom unter anderem sexuellen Missbrauch öffentlich in Inverviews, Vorträgen und Büchern vorgeworfen.

Parteilichkeit

#FEMALE PLEASURE ist ein parteiischer Film. Barbara Miller lässt ihren Inverviewpartnerinnen die Freiheit, ihre Erfahrungen zu formulieren. Das ist gleichzeitig die Stärke und die Schwäche dieses Filmes. Dass weibliche Sexualität und weibliches Begehren in den unterschiedlichen, allesamt patriarchal geprägten Kulturen und auch Religionen tabuisiert und verdrängt wurde und auch noch wird, ist fraglos. Die mutigen Zeugnisse der fünf Frauen in diesem Film machen Hoffnung, dass sich das langsam aber stetig verbessert. Gerade von den Religionen und ihren Vertretern wäre zu wünschen, dass sie diese Entwicklungen von ganzem Herzen unterstützen möchten. Eine positive und realistische Theologie weiblicher (und auch männlicher) Sexualität zu entwickeln und auch zu kommunizieren und zu leben wäre eine vordringliche Aufgabe. Zum Wohl von Frauen, Männern und Kindern.

Die Fokussierung auf eine einzige weibliche Biographie in jedem Kulturkreis hat aber auch problematische Seiten. Vielleicht wird dies am Fall von Doris Wagner am sichtbarsten. Geht es hier um Missbrauch? Oder geht es um die Entscheidung zu einem ehelosen Leben? Das wird im Film nicht deutlich. Der (sexuelle) Missbrauch ist ein generelles Problem in der Praxis religiöser Machtstrukturen. Betroffen davon sind nicht nur Frauen. Der Verzicht darauf, die eigene Sexualität auszuleben, ist Teil von gewichtigen spirituellen Strömungen des Christentums und prägt deren Identität. Frauen und Männer wählen diese Lebensform. Dieser Verzicht setzt allerdings eine freie Entscheidung voraus.

Religion und/oder Kultur

Offen bleibt auch die Frage, inwiefern die beschriebenen Erfahrungen von Frauen tatsächlich aus den Religionen hervorgehen. Der Film #FEMALE PLEASURE suggeriert das. Aus jeder der fünf Religionen wird im Lauf des Filmes ein Zitat eingeblendet, das belegen soll, dass weibliche Sexualität tabuisiert und unterdrückt wird. Für das Christentum ist das etwa ein Vers aus dem alttestamentlichen Buch Jesus Sirach, das bestenfalls eine Nebenrolle im christlichen Kanon spielt. Gerade in der Frage der Genitalverstümmelung wird deutlich, dass Religion im Grunde nur eine nebensächliche Rolle neben der Kultur spielt. Nirgends in den islamischen Traditionen stellt die Genitalverstümmelung eine Forderung dar. Die Religionen und ihre Vertreter müssen sich allerdings durchaus fragen lassen, warum sie sich noch immer so schwer tun, hier eindeutig Position zu beziehen.

Emotionen

Wie bereits in der Uraufführung wird der Film #FEMALE PLEASURE für Emotionen und Diskussionen sorgen. Das ist vielleicht seine große Stärke

Im Kino

Der Film wird im Rahmen der Reihe „Selbstbestimmt, engagiert, mutig – Frauen im Kampf gegen Unterdrückung und für Menschlichkeit“ am 22. Januar und am 14. Februar um 19.30 Uhr im Spielboden, Dornbirn, gezeigt.

Im Feldkircher TaSKino läuft #Female Pleasure am Di 12. Februar 2019, 20.30 Uhr, Mi 13. Februar 2019, 18.00 Uhr und am Do, 14. Februar 2019, 20.30 Uhr.

www.femalepleasure.org