Dem russische Regisseur Andrey Zvyagintsev ist mit seinem Film „Leviathan“ ein beeindruckender Film über das Russland Putins gelungen. Der Film verwebt biblische Motive geschickt mit philosophischer Tradition. Er klagt einen Staat an, der seine Bürger nicht schützen kann und will.

Am Ende der Welt
Ein kalter Ozean wirft seine Wellen auf eine wüste Küste. Das Geröll des Strandes ist vom ewig-gleichgültigen Ansturm des Meeres abgeschliffen. Die Landschaft ist gleichzeitig öd und faszinierend schön. Gewaltig ist vielleicht das beste Wort. Es meint auch: lebensfeindlich. Das Leben an diesem Ende der Welt muss schwer sein. Die Ebbe gibt die Kadaver alter Boote und Schiffe frei und die Häuser der Menschen, die sich an der Küste mit letzter Kraft festzuklammern scheinen, sind heruntergekommen. Wie die Statue Lenins. Im Stadtzentrum vor dem Rathaus stammen die Plattenbauten aus der Sowjetzeit. Diese Landschaften spielen im Film „Leviathan“ des russischen Ressigeurs Andrey Zvyagintsev eine Hauptrolle. Sie geben in diesem Film den Grundton vor und sind ein Spiegel der russischen Gesellschaft.

Heimat und Wärme
Die Geschichte handelt vom Automechaniker Kolya, seiner Frau Lilya und Roma, Kolyas Sohn von seiner ersten, verstorbenen Frau. Die kleine Familie lebt in einem Haus an der Küste, das vor Kolya bereits seine Eltern und Großeltern bewohnten. Während in einem Großteil des Films kühle Grau-, Blau- und Grüntöne dominieren, ist das Wohnzimmer der Familie in warmes Morgenlicht getaucht. Doch auch hier ist keine Idylle. Kolya ist zwar ein herzlicher, aber auch ein jähzorniger Mensch, der seinen Vodka-Konsum nicht immer unter Kontrolle hat und sein Sohn Roma kann seine junge Stiefmutter nicht akzeptieren. Lilya wiederum hat sich von ihrem Mann innerlich distanziert. Dennoch ist dieses Haus in dieser Landschaft für die drei Menschen Heimat. Genau diese Heimat soll ihnen aber von Vadim, dem korrupten Bürgermeister der kleinen Stadt weggenommen werden. Kolya wehrt sich mit einem befreundeten Anwalt Dmitri aus Moskau vergeblich mit allen Rechtsmitteln. Gleichgültig und eintönig wie das einstürmende Meer verliest die Richterin die Ablehnung der Einsprüche. Als Kolya und Dmitri versuchen, den Bürgermeister durch belastendes Material unter Druck zu setzen um wenigstens einen angemessenen Preis für das Haus herauszuholen, spitzt sich die Konfrontation mit den kriminellen Machthabern zu.

Leviathan
Der Film gewährt einen Blick in das Innenleben von Putins Russland. Es ist ein zutiefst korruptes Land. Eine nationalistische Kirche und eine korrupte Politik haben sich die Macht untereinander aufgeteilt und gehen buchstäblich über Leichen. Leviathan ist ein Meeresungeheuer. Im Buch Hiob dient es als Bild der unbeschreiblichen Macht Gottes. Dieser spielt nämlich mit Leviathan wie mit einem kleinen Vogel (Ij 40,29). Für den englischen Philosophen Thomas Hobbes ist er das Symbol des absoluten Staates, der den Kampf jedes gegen jeden verhindert und so den Menschen einen Lebensraum und Sicherheit verschafft. Das Skelett eines riesigen Wals am Strand ist ein Bild des Scheiterns des Staates, der seine Bürger nicht zu schützen vermag und es vielleicht auch gar nicht will. Der Automechaniker Kolya ist den korrupten und gleichgültigen Behörden hilflos ausgesetzt. In der dunkelsten Szene sieht Lilya im aufgewühlten Meer einen riesigen Wal auf- und wieder untertauchen. Der Film lässt es offen, ob dies als Hoffnungszeichen gedeutet werden kann. Dass da in der Ferne für Russland doch noch die Möglichkeit eines Staates bestehe, der seine Funktion wahrnimmt, die Bürger zu schützen.

Religion
Religiöse und theologische Fragen nehmen im gesamten Film breiten Raum ein. Es ist der lokale Bischof, der letztlich den Bürgermeister Vadim steuert und ihm damit dessen kriminelle Vergangenheit vergibt. Auf dem Grundstück Kolyas wird am Schluss die neue orthodoxe Kirche stehen. Die Kirche hat ihre eigenen Ziele. Wie der Staat diese umsetzt, will der Bischof gar nicht erst wissen. „Wir sind nicht in der Beichte,“ sagt der Bischof zum Bürgermeister. „Erzähl mir nicht alles. Vielleicht arbeiten wir für die gleiche Sache. Aber du hast dein Gebiet und ich habe meines.“ Beide tun in ihrem Verständnis aber letztlich Gottes Werk. Und dieses hat mit Legalität nichts zu tun.
Während Bürgermeister und Bischof Hand in Hand arbeiten, hat der lokale Priester für das Leiden des einfachen Handwerkers Kolya wenig Trost bereit. Gegen Ende des Films erzählt er diesem von Hiob. Kolya fragt, wo denn der allmächtige Gott in all seinem Unglück ist. Der Priester antwortet darauf kalt: „Meiner ist bei mir. Zu welchem Gott betest du? Ich sehe dich nicht in der Kirche.“
Alle verstricken sich in diesem Film in Schuld. Immer wieder wird die Frage nach Gott, nach Beichte und Versöhnung gestellt. Antworten gibt es keine. Die Menschen sind mit ihren Fragen allein.

„Leviathan“ ist ein Endzeitfilm. Wie beim Film „Durak“ präsentiert auch er weder Lösungen noch Happy Ends. Für den Hiob Kolya hält weder Staat noch Kirche Trost und Lösung bereit. Gerade weil er nichts beschönigt, ist Andrey Zvyagintsev ein wunderbarer Film gelungen.

Spielzeiten im TaSKino in Feldkirch:

Donnerstag 11. Juni, 20.30 Uhr
Freitag 12. Juni, ca. 22 Uhr
Sa 13. Juni, ca. 22 Uhr
Mo 15. Juni, 18 Uhr
Di 16. Juni, 20.30 Uhr

Karten: Kino Rio, Marktgasse 18, Feldkirch.
T 05522 31464, E reservierung@rio-feldkirch.at