Visionssuche ist Sinnsuche. Sinn heißt, dem Leben mehr Tiefe geben. Tiefe heißt, das zu erkennen, was mir im Leben am wichtigsten ist.

von Klemens Spiegel

Wir treffen uns am Freitagnachmittag. Nehmen alles mit, was man für zweieinhalb Tage in der Wildnis braucht, incl. Trinkwasser. Horst Schaflinger führt uns in eine Welt, die auf das Einfache, das Wesentliche reduziert ist. Rasch entsteht eine Gemeinsamkeit in der Gruppe von Männern, ein Wir-Gefühl, das uns Kraft und Vertrauen gibt für den individuellen Weg unserer Visionssuche.

Am Samstagmorgen nach dem Frühstück macht sich jeder ganz für sich allein auf den Weg, seinen Platz im Leben (hier in der Natur) zu finden. Für 24 Stunden kann nun jeder in das Leben eines Einsiedlers eintauchen. Ich gehe los, der Sonne entgegen, spüre die Wärme so angenehm im Gesicht, am ganzen Körper. Meine Füße bestimmen, wohin ich gehe (nicht mein Kopf). Ich weiß nicht mehr, wie lange ich so gegangen bin.

"Seht die Landschaft als Metapher", gab uns Horst mit auf den Weg. Die Landschaft zeigt uns Bilder, gibt uns Hinweise. Wenn wir bewusst wahrnehmen, was uns die Natur sagt, öffnet sie uns einen Zugang zu unserer Vision. Dann liegt es an uns, zu spüren, was gut tut, und zu spüren, was weh tut. Und die Quelle, die Ursache zu erkennen.

Irgendwann merke ich, ich bin in ein Gebiet gekommen, das mir gut gefällt. Ich gehe etwas langsamer, sehe mich genauer um, fühle mich wohl hier. Ich habe meinen Platz gefunden, mein Herz öffnet sich. Zwischen vier eng stehenden Buchen entdecke ich eine Mulde, die dick mit trockenem Laub gefüllt ist: ein idealer Schlafplatz. Auf einer Lichtung ganz in der Nähe richte ich meine Feuerstelle ein.

Wir haben nur eine streng limitierte Menge an Verpflegung mit auf unseren Weg bekommen. Das ist eine Metapher für begrenzte Ressourcen. Mir wird klar: Auch mein Körper steht mir nicht unbegrenzt zur Verfügung. Ich muss sorgfältig damit umgehen. Rechtzeitig meine Batterien wieder aufladen. Oder meine Kräfte schonen.

Ich orientiere mich am Sonnenstand. Ich habe Zeit und Ruhe für mich, für meinen Körper, für meine Gedanken, für meine Seele. Immer wieder mache ich Notizen, halte meine Gedanken und Gefühle fest. Dies hilft mir, länger dabei zu bleiben, besser zu spüren, klarer zu denken. Und auch Wochen und Monate später bin ich froh um diese Notizen, bringen diese Notizen meine Gedanken und Gefühle wieder zur Vision zurück.

Am Sonntagmorgen verlasse ich meinen Platz, mache mich auf den Rückweg. Ich habe keine Ahnung, wo sich unser Basislager befindet, lasse mich einfach vom Gefühl leiten. Bald treffe ich einen anderen Mann aus unserer Gruppe, sodass wir gemeinsam zurückkehren. Bei der Ankunft begrüßen wir einander herzlich und genießen Riebel und Kaffee, den Horst für uns vorbereitet hat.

Wir haben danach viel Zeit für den Austausch unserer Erfahrungen. Dies ist für mich ein besonders tiefes, eindrückliches Erlebnis – von mir zu erzählen und den anderen dabei zuzuhören. Inspiriert von der Natur zeigt sich uns ein neuer Blick auf unser Leben. Wie wir unserem Leben mehr Tiefe geben können, mehr Sinn geben können. Visionssuche ist Sinnsuche.