Der Tod des deutschen Torwarts Robert Enke hat die Sportwelt schockiert und nachdenklich gemacht. Dass ein Star Probleme hat, ist in der Welt der männlichen Helden nicht vorgesehen, wie auch der Fall Deisler zeigte.

von Markus Hofer

Als Jahrhunderttalent des Fußballs wurde der junge Sebastian Deisler gehandelt. Er ist gescheitert, hat Gesprächsstoff geliefert und selber konsequent geschwiegen. In einem Buch hat er nun seine Geschichte aufgearbeitet und sein Interview in der „Zeit“ hat aufsehen erregt. Es war die Blitzkarriere eines jungen Mannes, der diese nicht verkraftet hat. Heute kennt er die Gründe: „Alles, was mir gefehlt hat, sind doch Wurzeln. Für die anderen war ich ein Star –aber ich habe mich gefühlt wie eine Glühbirne, die einsam von der Decke hängt. Nackt. Für jeden sichtbar. Unter mir war nichts.“

Der verwundbare Jungstar hat anfangs alles mitgemacht, was von ihm erwartet wurde. Wie es ihm dabei ging, hat niemand gefragt. Umgekehrt wollte er die Erwartungen erfüllen, die man in ihn setzte, auch wenn er dabei nicht glücklich wurde. „Mein Leben wurde vereinnahmt. Ich habe manchmal im Bett gelegen und gebetet: ‚Lieber Gott, ich schaff das nicht.’ Ich habe sogar mein Talent verflucht. Ich war todtraurig. Ich habe gegen meine Natur gelebt.“ Er ist unglücklich geworden beim Versuch andere glücklich zu machen: „Ich fühlte mich wie ein trauriger Clown.“

Als Deisler wegen schweren Depressionen einige Monate in einer Klinik verbrachte, gab es ordentlichen Spott. „Eines der größten Verlustgeschäfte des FC Bayern“, lautete es beim Bekannt werden seiner Depression. Als er in seinen Klub zurückkehrte, hieß es hinter seinem Rücken: „die Deislerin“. Zwischenzeitlich galt er sogar als schwul. Männliche Helden haben kein Problem zu haben, schon gar kein psychisches und schon überhaupt nicht Depressionen. Es ist im Grunde eine verlogene Männerkultur, die keine Krisen oder Schwächen zulässt und deshalb kann die Gier des modernen Sportgeschäfts auch Menschen vernichten, wie nicht zuletzt der tragische Freitod von Robert Enke gezeigt hat, der hoffentlich die Sportwelt zum Nachdenken bringt.

Es geht allerdings nicht nur um die Sportwelt, sondern tatsächlich um die Frage, wie wir Männer miteinander und untereinander umgehen. Deisler schildert das Zusammenleben unter den Fußballkollegen aus heutiger Sicht sehr eindeutig: „Es war, als sei ich auf eine ewige Klassenfahrt geraten. Da gibt es doch auch immer die Lauten, die Bestimmer – und die, die bei der Kraftmeierei mitspielen, um nicht ausgelacht zu werden.“ Wer von uns kennt diese Kraftmeierei nicht aus eigener Erfahrung?

Sicher, es ist auch eine Frage des Alters und der Reife, aber der Druck sich anzupassen ist groß in einer Männerwelt, in der die Lauten bestimmen, in der alles auf Stärke und Leistung programmiert ist, in der nicht selten hohles Gehabe die Menschlichkeit überdröhnt. Doch niemand von uns muss, weder körperlich noch emotionell, ein Herminator sein. Sebastian Deisler fragt sich aus heutiger Sicht zu Recht, ob das System das er verlassen hat nicht vielleicht kranker ist, als er es war.