Sexualität ist auch im Altern ein Thema – aber ein tabuisiertes. Vieles ist nicht mehr so, wie es war und das macht es gerade für Männer schwierig, mit den eigenen Veränderungen umzugehen.

von Markus Hofer

„Sex wird im Alter immer ausgelassener“, meinte einmal ein Zyniker. Lange gab es viele Faktoren, die das Sexualleben belastet haben: der Zeitdruck, die Kinder, Stress, die Arbeit, die Verhütungsfrage. All dies fällt nun weg und doch gibt es die Sexualität oft nicht mehr, weil sie eingeschlafen ist. Sexualität im Altern muss gewollt werden, aber sie darf jetzt auch eine andere sein. Nicht mehr die Verführung und die Eroberung stehen im Vordergrund, sondern die Verbindung und die Vertrautheit, weniger die lustvolle Leidenschaft als das schöne Gefühl, auch körperlich zusammen zu gehören.

Körperliche Veränderungen

Die körperlichen Veränderungen sind beim älter werdenden Mann viel einschneidender. Da sie uns im Kern des Mannseins treffen, sind diese Dinge stark tabuisiert. Die Veränderungen sind ganz normale Entwicklungen des männlichen Alterns. Sie hängen mit dem natürlichen Sinken des Testosteronspiegels zusammen, was die sexuelle Hydraulik des Mannes zunehmend verändert. Es dauert länger bis zur vollständigen Erektion und es braucht dazu immer mehr die körperliche Stimulation. Die Erektionen sind (auch am Morgen) nicht mehr so häufig und oft nicht mehr so hart und dauerhaft. Goethe reimte sehr ehrlich: „Der Zeiten gedenk ich, da alle Glieder gelenkig, bis auf eins. Die Zeiten sind vorüber, steif sind alle Glieder, bis auf eins.“ Die Erektion kann durch Ablenkung viel schneller ins Wanken gebracht werden und auch der Drang zur Ejakulation ist nicht mehr so stark. Das sexuelle Begehren selber sinkt mit zunehmendem Alter, aber es verschwindet nicht.

Körperlich verändert sich bei den Frauen relativ wenig. Die Scheide wird nach dem Wechsel trockener, aber da hilft ein Gel oder Babyöl. Für viele Frauen ist in diesem Alter wichtig, dass das sexuelle Verlangen einen Teil der Beziehungspflege darstellt und nicht nur Routine oder Selbstzweck ist. Dem Motto „Wenn Sex, dann gepflegten Sex“ würden vermutlich die meisten Frauen zustimmen. Qualität steht jetzt ganz sicher vor Quantität.

Sein und Schein

Es stellt sich gerade an die Männer die Frage, wie sie mit ihren körperlichen Veränderungen umgehen wollen. Wir können das Älterwerden als männlichen Imageverlust begreifen, den wir zumindest nach außen hin auf keinen Fall zulassen dürfen (Berlusconi, Lugner & Co), was zu einer Sein-und-Schein-Sexualität führt mit immer jüngeren Partnerinnen, einer ständigen Erhöhung der Reizdosis und vielen Ersatzsymbolen. Wir können das Älterwerden als Krankheit ansehen und kommen so zu einer Medikamenten-Sexualität, die sich die diversen Angebote der Pharmaindustrie zunutze macht wie Viagra oder Testosteronpflaster. Es ist eine männliche Versuchung, lieber Tabletten zu nehmen, als darüber zu reden. Auch nicht alle Frauen sind da sehr entgegenkommend.

Ehrliche Sexualität

Statt Sein und Schein oder heimlichen Pillen könnte es jetzt auch heißen: Nichts muss mehr sein, aber alles darf sein. Das Motto von ehrlicher Sexualität, in der man sich nichts mehr vormachen muss, könnte mit zunehmendem Alter lauten: Das, was geht und so, wie es geht! Es wird vermutlich nicht mehr so oft sein, nicht mehr so schnell ablaufen und länger dauern (zur Freude mancher Frau), nicht mehr so hart sein, weicher, kuscheliger, manchmal vielleicht auch ohne Orgasmus, weniger kopulativ, auch mit Befriedigung mit den Händen oder gegenseitigem Zuschauen. Selbst im höheren Alter kann man eine neue Sprache der Sexualität lernen, können sich noch neue Formen von Erotik, Zärtlichkeit und Intimität entwickeln als Teil einer ehrlichen, vertrauten Beziehungspflege. Noch im hohen Alter kann Sexualität heißen: Wir gehören zusammen, auch körperlich.