Nach seinem 50. Geburtstag hat sich Markus Hofer, der Leiter des Männerbüros etwas vorgenommen: Zeit für sich durch Pilgern. Zum 51. war er unterwegs – und Vieles kam anders als erhofft.

von Markus Hofer

Meine persönliche Geschichte des Pilgerns, um es gleich vorweg zu nehmen, ist eigentlich eine Geschichte des Scheiterns. Doch erst mal zurück zum Anfang: Schon länger hatte ich das Gefühl, etwas für mich selber tun zu müssen, unbefriedigende Dinge im beruflichen Umfeld, Fragen der inneren Motivation und persönlichen Zukunft, das Gefühl viel zu geben und dafür nachtanken zu müssen. Ich hätte auf Kur gehen können, was meinem Blutdruck und Zuckerspiegel gut getan hätte, aber ich habe nach etwas Spirituellem gesucht, um auch in der Tiefe Dinge zu klären und die Speicher wieder füllen zu können. Und was liegt da heute näher als das Pilgern. Noch dazu bekam ich das Angebot, auf den neuen Franziskusweg mitzugehen und das war nun wirklich mein Thema.

Und dann kommt wie so oft im Leben Vieles anders als man denkt - und vermutlich habe ich auch falsch gedacht. Zwölf ganz unterschiedliche Menschen, Männer wie Frauen, waren zwei Wochen miteinander unterwegs, sind zusammengewachsen, zusammengepilgert sozusagen. Diese Menschen sind es, die mir am meisten fehlen und ich freue mich, wenn ich sie einmal wieder sehe. Reinhard zum Beispiel, mit dem ich viele Stunden im selben Rhythmus und im schweigenden Einverständnis vorneweg gegangen bin und mit dem ich viele Nächte das Zimmer geteilt habe. Als wir nach stundenlangem Aufstieg im Nebelregen durch lehmige Schotterpfade bei der Einsiedlerin standen, die anderen sich an den Ziegen erfreuten und wir beide sahen, dass wir nur noch fröstelten, gingen wir stillschweigend los. Vielleicht habe ich ihn an diesem Tag ein Stück mit hinauf gezogen, bis wir dann am späten Nachmittag in der Unterkunft bei Tee und Brandy saßen und uns langsam wieder rundherum warm wurde. Drei Tage später war ich so fertig, dass ich heimlich zum Busbahnhof ging und dort feststellen musste, dass am nächsten Tag wegen des italienischen Feiertags keine Busse fuhren. Ich hatte im Bauch eine Mischung aus Enttäuschung, Wut und einer Spur Verzweiflung. Da war es wieder Reinhard, der bei einem Glas Weißwein auf der sonnigen Piazza meinte: Schau, Markus, bis hierher haben wir es auch geschafft und du wirst sehen, diese große Etappe morgen werden wir auch noch schaffen. Das hat gut getan und wir haben sie geschafft.

Ich hätte nicht geglaubt, dass auf dem Franziskusweg die Frage: Wie schaffe ich es? für mich derart in den Vordergrund tritt. Die etwa 250 km und 10.000 Höhenmeter in elf Gehtagen waren für mich ganz einfach eine körperliche Überforderung. Spirituelle Momente hatte ich zu Beginn in der Einsiedelei La Verna, später als ich einmal mit dem Bus abkürzte und am Nachmittag ein paar Stunden für mich hatte und ähnlich am letzten Tag in Assisi. Der Rest bestand eigentlich nur aus körperlichen Mühen, am Vormittag und bei gutem Wetter noch relativ lustvoll, am Nachmittag nur noch hoffend, es bis zum Ziel zu schaffen, während die Beine brannten und der Rucksack immer schwerer wurde. Abends in den Unterkünften war ich aufgrund der Schmerzen am Fuß nur noch mit seltsamen Verrenkungen zum Gehen fähig; dabei waren es gar keine Blasen.

Der Weg ist das Ziel, im Moment kann ich es nicht mehr hören, denn das Ankommen war über Tage das einzige Ziel. Eigentlich hatte ich gehofft, mich buchstäblich leer laufen zu können, das eigene Denken einmal loszulassen, um zu schauen, was dann kommt, neugierig auf Neues. Vielleicht waren das meine unbeholfenen Phantasien als Noch-nicht-Pilger. Meine Pilgerrealität jedenfalls war anders. Oft und oft habe ich mir vorgesagt: Nur nicht nachdenken, sonst wirst du verrückt. Nur gehen, nicht denken, nur gehen, nicht denken... Zugegeben, so habe ich mir es nicht vorgestellt.

Die letzte Etappe wollte ich nicht auslassen, denn da ging es unserem Ziel Assisi entgegen. Vielleicht habe ich heimlich davon geträumt nach all den Strapazen quasi als Sieger in die Stadt des großen Heiligen einziehen zu können, eine Männerphantasie eben. Doch den Großteil der Etappe gingen wir in strömendem Regen. Als die Basilika schon zum Greifen nahe auf dem nächsten Hügel lag, ging es noch einmal hinunter ins nächste Bachbett und auf der anderen Seite wieder weit hinauf zum Stadttor, dann tropfnass vorbei an den Touristen mit Regenschirmen, hinten hinaus zur Stadt und mit nassen Hosen bei kaltem Wind noch mal hinauf zur Unterkunft. So verstummt war unsere Pilgergruppe vermutlich nie wie in den letzten, langen zwanzig Minuten.

Natürlich war da, nachdem alles vorbei war, so etwas wie ein gewisser Stolz, eine innere Befriedigung, es doch geschafft zu haben. Es waren Grenzerfahrungen. Damit habe ich mich selber getröstet, als ich doch etwas enttäuscht und ernüchtert vom Pilgern wieder zuhause war. Und eine Zeit lang war ich doch froh, diese körperlichen Grenzerfahrungen gemacht zu haben, obwohl mir die Füße immer noch weh taten und mir der spirituelle Sinn des Ganzen noch mit vielen Fragezeichen versehen war.

Irgendwann landete ich wegen meiner Füße in der Spitalsambulanz mit der Diagnose: Fersensporn, eine Abnutzungserscheinung meiner Senkfüße, die durch die Belastung des Pilgerns ausgereizt wurde. Sechs Wochen Wanderverbot und Schuheinlagen für den Rest meines Lebens, hieß es zumindest nach der Diagnose. Frage an den Arzt: Dann wäre ich besser nicht pilgern gegangen? Antwort: Ja.

Ich war wütend, auf mich selber und das Pilgern. Soviel hatte ich mir erwartet und stattdessen den eigenen Körper nachhaltig geschädigt. Die letzten Tage waren sicher nicht die lustigsten in meinem Leben. Enttäuscht und zornig, gleichzeitig verletzt und auch dünnhäutig, motivationslos und deprimiert. Arbeit und Alltag kosteten mich phasenweise ungekannte Mühen. Geglaubt hatte ich, dass ich voll getankt und innerlich wie äußerlich vor Kraft strotzend zurückkehre. Stattdessen das Gegenteil.

Midlife-Krise in Kurzfassung? Übrigens hat Franz von Assisi in größeren Dimensionen Ähnliches erlebt, als er den Sultan bekehren wollte und stattdessen krank zurück kam und daheim alles drunter und drüber ging. Nein, vergleichen will ich mich nicht, aber man sucht einen Sinn. Dass auch das Scheitern zum Leben gehört, habe ich oft genug den Männern gepredigt. Im Moment kommt es mir trotzdem schal vor. Manchmal sitze ich da und warte und weiß nicht auf was. Es wird kein Retter zur Tür herein kommen und mich erlösen. Ich muss da durch. Vielleicht ist es gerade das, was mich das Pilgern gelehrt hat. Weiter gehen, auch wenn die Füße wehtun? Ankommen ist das Ziel, auch wenn ich nicht weiß, wo es sein wird?