Die Urlaubszeit ist angelaufen. Für manche die schönste Zeit des Jahres. Es könnte auch eine Zeit sein, um zur Besinnung zu kommen. Der Leiter des Männerbüros hätte dafür eine ziemlich unordentliche Perspektive.

von Markus Hofer

Mit leuchtenden Augen schwärmte er mir vor, was er diesen Sommer alles machen würde. Dabei war er überzeugt, dass das alles seiner Erholung dient. Mir wurde schwindlig dabei. Sommerzeit ist Erholungszeit. Erholung ist aber doch eher abschalten als aufdrehen. Wir haben eh schon so viele Programme gleichzeitig laufen. Eines nach dem anderen herunter fahren – das wäre doch einmal Erholung mit anarchischem Flair, einmal so richtig lustvoll unordentlich sein...

„Optimize yourself“ las ich unlängst. Hole das Optimum aus dir raus, und das möglichst jeden Tag und jede Stunde. Das ist unser Zeitgeist. Wir müssen immer das Beste aus uns herausholen, uns wie eine Zitrone ständig selber auspressen. Ein alter Sponti-Spruch lautet: „Alle wollen nur mein Bestes. Aber das kriegen sie nicht!“ So eine Portion Anarchie könnte schon ein Überlebensmittel sein.

Weniger ist mehr

Wahrscheinlich sollten wir im Aussehen topgestylt, im Sport beispielgebend, in der Ernährung vorbildlich, im ökologischen Verhalten mustergültig, in der Karriere beneidenswert, als Vater der Liebste von allen, als Ehegatte ein leuchtendes Beispiel und als Liebhaber umwerfend sein. Aber ehrlich: Wenn wir das wirklich versuchen, machen wir uns nur selber zum Affen.

Das gute Leben ist weniger als alles. Wenn wir da halbwegs eine Balance finden und dabei auf uns selber achten, ist das Wesentliche schon geleistet. Und vor allem: auch die Balance muss nicht immer perfekt sein. Irgendwie sind wir Seiltänzer, mal neigt sich das Gewicht mehr auf die eine oder andere Seite, mal wackelt das Seil oder es kommt eine Brise auf. Nur herunter fallen sollten wir nicht – alles andere überlassen wir den Perfektionisten.

Wir können auch nicht nur die Ansprüche erfüllen, die von außen an uns heran getragen werden - da bleiben wir selber auf der Strecke. Und zum anderen ist dieser gegenwärtige Optimierungswahn schlichtweg menschenfeindlich. Im Grunde wird das „Optimum“ wird verwechselt mit dem „Maximum“. Möglichst viel ist aber nicht immer das Beste. Manchmal gilt schlicht und einfach: Weniger ist mehr.

Im Unperfekten lässt sich leben

Ich bin überzeugt: Nur im Unperfekten lässt sich gut leben! Eine gesunde Portion Mut zum Unperfekten gehört unbedingt dazu, wenn wir gut leben wollen. Wer sich täglich optimieren will, beginnt unweigerlich auszubrennen. Die Kehrseite von „optimize yourself“ ist nichts anderes als „burn out“.

Weniger ist mehr, das wäre schon was: Weniger friends und dafür mehr echte Freunde, weniger Netzwerk und dafür mehr reife Beziehungen, die auch die Zeit und die Chance haben zu wachsen und zu reifen, weniger small talk und dafür mehr tiefe Gespräche, die auch die Seele berühren. Die Sommerzeit wäre doch eine gute Gelegenheit, damit zu beginnen.

Lustvoll unordentlich, aber dafür wesentlich und das Leben spüren. Die Navajo-Indianer haben bei ihren Decken immer bewusst einen Fehler in das Muster hineingewoben. So etwas würde einem ordentlichen Vorarlberger natürlich nie einfallen. Doch die Navajos machen das aus spirituellen Gründen. Durch diese Stelle, so glauben sie, gelangt der Geist durch die Decke. Ausgerechnet an der unordentlichen Stelle! Das ist Spiritualität.

Seit wir mit dem Heiligen Geist nicht mehr rechnen, bemühen wir uns besonders, alles ordentlich zu machen, selber möglichst vollkommen zu sein. Durchzug wäre da nur gefährlich für unsere Ordnung. Dafür sind wir immer gestresster, vielleicht auch ausgebrannter. Da wünsche ich mir manchmal einen ordentlichen Sturm, ein wildes Brausen, einen Heiligen Geist, der uns durchbläst und vor allem erfüllt.

Vielleicht müssen wir erst wieder unvollkommener werden, Unregelmäßigkeiten in unsere Muster hineinweben, damit der Geist bei uns landen kann. Dann könnten wir wieder brennen, aber nicht nur fürs ordentlich oder perfekt Sein, sondern fürs volle Leben.