Die Buben wachsen heute in einem weitgehend weiblichen Erziehungsumfeld auf und auch die Schule ist sehr stark weiblich geprägt, womit die ‚männliche Logik’ der Jungs manchmal auf der Strecke bleibt.

von Markus Hofer

In der modernen Pädagogik gibt es immer wieder Sitzrunden, in denen die Schüler aufgefordert sind, alles zu sagen, was sie denken oder empfinden. Manchmal kann aber genau das daneben gehen, weil die Intentionen der Lehrerin nicht zu dem passt, was gerade Jungs so denken.

Volksschulklasse, Herbst und Schulbeginn. Zum Start macht die Lehrerin den Freundschafts-kreis zum Thema: „Welche Wünsche habt ihr für die Schule?“? „Ich wünsche mir, dass die gute Stimmung weiter anhält!“, meint das erste Mädchen. „Freundschaft, und keinen Streit mit Barbara!“, wünscht sich die Zweite. Allgemeine Zustimmung unter den Schülerinnen und von der Lehrerin. Dann ist der erste Schüler ist an der Reihe. Er aber schweigt. Die Lehrerin drängt: „Was wünschest du dir?“ Nach einigem Zögern kommt es: „Mein Wunsch? Ein Swimmingpool auf dem Pausenplatz!“ Es war zwar ehrlich, aber eben doch falsch. Alles darf man sich auch wieder nicht wünschen. Kopfschütteln der Lehrerin: Es gehe hier um Mitmenschen und Beziehungen. Er müsse etwas äußern, das man nicht anfassen kann. Der Schüler überlegt: „Mehr Kämpfe!“ Wieder war es ehrlich und trotzdem falsch. Die Lehrerin wendet sofort ein, das könne man sich nicht wünschen. Er soll sich etwas Schönes wünschen wie z.B. Frieden. Der Schüler überlegt noch mal und strahlt: „Dann halt mehr Friedenskämpfe!“

„Zuhause haben wir mit unseren Buben einen guten Weg gefunden“, erzählt eine Mama. „Doch in der Schule ist die Lehrerin begeistert von Mädchen und angepassten Buben. Die anderen würden sie extrem nerven. Die Eltern, vor allem Mütter sind verunsichert. Ich auch. Viele bekommen den Rat, den Schulpsychologen aufzusuchen. Doch eigentlich sind es nur lebhafte Buben, Lausbuben hätte man früher gesagt.“

In meiner Schulzeit war der Direktor überzeugt: „Ein gesunder Bub hat einen Zweier in Betragen, sonst ist er nicht gesund.“ Was früher ein „gesunder Bub“ war, gilt jetzt nicht selten als abnormal, wenn nicht gar als krank. Oft geht aber den Buben die Wohlfühl-Pädagogik auf den Keks. Sie haben andere Bedürfnisse, agieren vieles körperlich aus, brauchen Bewegung und fühlen sich nicht wohl, wenn sie nur da sitzen und reden dürfen.

Lukas hatte Probleme in der Schule. Er sei unruhig und aggressiv, störe den Unterricht, meinte seine Lehrerin und beim Sitzkreis benehme er sich unmöglich. Schon mehrfach waren die Eltern bei der Lehrerin und beim Direktor. Den Eltern wurde dringend empfohlen, einen Arzt aufzusuchen. Dieser hatte zwar nicht allzu viel Zeit für den kleinen Lukas, kam aber schnell zum Schluss: ADHS. Und Ritalin bekam er auch verschrieben. Dieses Medikament ist zwar wirkungsvoll, aber von den möglichen Nebenwirkungen her nicht ohne. Der Vater saß ratlos da und konnte sich nicht damit abfinden, dass sein Sohn krank sei: „Der ist doch gar nicht anders, als ich es war, und ich war doch auch nicht krank, ein lebendiger Bub halt!“ Er hatte eine Idee. Er versprach Lukas ein Fahrrad, wenn er dafür jeden Tag mit dem Rad zur Schule fahre. Und das Ergebnis? Seither gibt es keine Probleme mehr in der Schule und Lukas braucht kein Ritalin. Den Sitzkreis mag er immer noch nicht, aber das geht vermutlich den meisten Männern so. Der temperamentvolle Bub hatte einfach einen Bewegungsmangel. Vielleicht müssten wir ein-mal über die Abschaffung der Schulbusse nachdenken.

Pauken und Trompeten

Mädchen können die längste Zeit ruhig beieinander sitzen miteinander spielen und reden. Bei Buben kommt das schon auch vor, aber es dauert nicht lange, und dann geht es wieder ordentlich rund und hörbar laut zu. Der Hirnforscher Gerald Hüther hat dafür ein schönes Bild entwickelt. Man kann das kindliche Gehirn mit einem Orchester vergleichen. Eigentlich ist die Besetzung der Instrumente bei Männern und Frauen gleich. Nur die Anordnung ist anders. Bei den Mädchen dominieren die melodietragenden Instrumente wie Flöten und Geigen. Bei den Jungs funktioniert das auf Dauer nicht, denn da sitzen zu viele Pauken und Trompeten in der ersten Reihe, die sich immer wieder bemerkbar machen.

Keine Psychotricks

Es braucht ein Herz für die jungen Männer und keine Psycho-Tricks. In einer Zeitschrift berichtet eine Mutter von ihrem zehnjährigen Sohn, der im Supermarkt eine Cola und einen Kaugummi gestohlen hat. Und was rät die Expertin der hilflosen Mutter? Sie müsse in einer Ich-Botschaft ihre Gefühle schildern nach dem Muster: „Es macht mich unheimlich wütend, dass du etwas gestohlen hast.“ Diese Ich-Botschaft-Strategie ist eigentlich grausam. Nun muss sich der Zehnjährige doppelt schuldig fühlen: Er hat gestohlen und gleichzeitig seine Mama wütend gemacht. Zuletzt kommt der perfide Beispielsatz: „Wir müssen erst mal schauen, wie wir damit umgehen können.“ Jetzt sitzt der Kerl in der U-Haft und muss warten, wie der mütterliche Gerichtshof damit umgehen wird. Jungs brauchen klare Regeln und Grenzen und erwarten auch faire Sanktionen. Wird aber alles mit den mütterlichen Gefühlen derart vermischt, ergibt sich ein psychischer Cocktail, der neurotisiert.

Die Minimalisten

Sie ziehen Eltern wie Lehrern den letzten Nerv: die Minimalisten, die es in darauf angelegt haben, alles mit dem möglichen niedrigen Aufwand zu erledigen. Sie sind nicht generelle Schulverweigerer, aber sie machen sich eine Sportart daraus, genau soviel zu tun, dass man es gerade noch in die nächste Klasse schafft. Das aber sicher. Insofern hat es etwas mit praktischer Intelligenz zu tun.

Es ist ein Kampf gegen das System, gegen übereifrige Eltern und vermutlich auch gegen vermeintlich fortschrittliche Pädagogen. Viele Minimalisten sind überpädagogisiert. Wenn man ihnen einen betont großen Spielraum lässt und behauptet, sie dürften eigenständig über ihre Lernprozesse bestimmen, obwohl letztlich immer der Lehrer über den Schulerfolg entscheidet, dann durchschauen sie dieses Spiel und setzen ihre Ziele möglichst tief an. Wo nicht Ruhm und Ehre winken, lohnt sich der Einsatz nicht. Auch Minimalisten wollen Helden sein.

Buchtipp

Allan Guggenbühl, Kleine Machos in der Krise. Wie Eltern und Lehrer Jungen besser verstehen, Freiburg 2006 (Herder TB)