„Männer reden mit Frauen, weil sie mit ihnen schlafen wollen; Frauen schlafen mit Männern, weil sie mit ihnen reden wollen“, meint Paartherapeut Jürg Willi und fügt hinzu: „In der zweiten Lebenshälfte dreht sich das Prinzip jedoch wieder um.“

von Markus Hofer

Ob Männer wirklich vom Mars und Frauen von der Venus sind, mag dahin gestellt sein. Tatsache ist, dass das Unternehmen Beziehung immer krisenanfälliger wird. Sind angesichts einer 45%-igen Scheidungsrate die Beziehungen heute wirklich so viel schlechter als früher? Vermutlich sind sie nicht einfach schlechter, sondern mit zu vielen Erwartungen überfrachtet und vielleicht halten wir – Männer wie Frauen – auch nicht mehr so viel aus.

Die gegenseitigen Vorwürfe sind immer wieder dieselben. Die Frauen beklagen, dass die Männer unaufmerksam seien, nur auf sich schauen, nicht reden und im Haushalt nichts tun. Die Männer jammern, dass die Frauen ständig nörgeln, dauernd ihre Gefühle betonen, alles kontrollieren und sie völlig vereinnahmen wollen.

„Ich beobachte in meinem therapeutischen Alltag, dass Männer verstärkt unter den Anforderungen der Frauen leiden“, meint Paartherapeutin Claudia Karolinsky: „Ihre Reaktion auf diesen Druck ist immer häufiger Impotenz. Andererseits leiden auch die so genannten starken Frauen darunter, sich nicht eingestehen zu können, dass sie auch einmal eine Schulter zum Anlehnen brauchen. Die Auflösung des Patriarchats und die neue Unabhängigkeit der Frauen sind für beide Geschlechter anstrengend und stressfördernd.“

Die Geschlechterrollen sind in Bewegung gekommen wie vielleicht noch nie in der Geschichte der Menschheit. Es gibt heute viel mehr Möglichkeiten – gerade und zu Recht auch für die Frauen –, doch das Unternehmen Partnerschaft ist damit anspruchsvoller geworden. Hinzu kommt, dass man sich das Paradies nicht mehr vom Herrgott, sondern vom eigenen Partner erwartet. Vermutlich waren die Erwartungen an eine Beziehung noch nie so hoch und wir vermutlich noch nie so wenig krisenfest wie heute. Krisen sind in unserer Spaß- und Erfolgsgesellschaft nicht mehr vorgesehen.

Frauen spüren es viel früher, wenn eine Beziehung nicht mehr stimmt, meint die Paarspezialistin Karolinsky: „Allerdings verfügen sie auch über eine viel höhere und schnellere Bereitschaft, sich aus einer Beziehung, die nicht ihren Wünschen und Bedürfnissen entspricht, wieder zu lösen.“ In Österreich sind in etwa 80% der Scheidungsfälle die Frauen die treibenden Kräfte.

Die Frauen sind nicht mehr die Engel, die sie vermutlich nie waren und sie sind – zu Recht – nicht mehr die Dulderinnen, zu denen man sie lange erzogen hat. Die Männer können nun lamentierend ihr Schicksal beklagen oder sich selber bei der Nase nehmen. Manche halten es vermutlich immer noch wie Hägar der Schreckliche, der glaubt, sein Job sei ‚England zu überfallen’, aber das reicht eben heute nicht mehr. Dass ein Mann Tag für Tag aus dem Haus geht, arbeitet und sich abrackert wurde früher als Dienst an der Familie anerkannt, heute heißt es oft nur noch, er sei nie daheim. Es reicht heute nicht mehr aus, wenn Männer sich nur im Außen bewegen (quasi ‚in England’) und glauben, das Innen, die Familie und die Pflege der Beziehung der Frau überlassen zu können.
 
Manche Scheidungen treffen Männer völlig ahnungslos. Sie haben sich vielleicht eben ständig ‚in England’ aufgehalten und übersehen, dass da-heim nicht alles beim Alten ist, dass er vielleicht eine Entwicklung übersehen hat. Im Gegensatz zu vielen Frauen kommen Männer oft völlig unvorbereitet in Scheidungsverhandlungen. In der Beratungsstelle ist es noch ärger, denn dorthin kommen sie überhaupt erst, wenn das Fass schon am überlaufen ist. Kämen die Männer früher, wäre oft noch viel mehr möglich.

Nochmals: Jammern oder sich bei der Nase nehmen? So wie Männer ein Haus bauen oder ein Auto kaufen, sollten sie sich auch um ihre Beziehung kümmern. Sie investieren viel Zeit darin, informieren sich, holen den Rat von Experten. Das Haus ist die äußere Hülle und die Beziehung die innere. Beides braucht es zum Leben und beide sollte der Mann mitgestalten. Die Veränderungen der Geschlechterrollen bringen nicht nur den Frauen etwas, sondern können auch ein Männerleben vielfältiger und lebendiger machen. Es reicht aber nicht mehr, nur England zu überfallen.