Maria, die Mutter Gottes, und das Jesuskind gehören zu den fixen Bildern der Weihnachtszeit. Markus Hofer, der Leiter des Männerbüros, stellt sich als Mann diesen Bildern und hat eine ganz andere Maria entdeckt.

von Markus Hofer

Die Mutter Gottes Auf Ikonen berührt mich die Darstellung der Mutter Gottes. Es ist die festgehaltene Geste der Zuwendung, die in ihrer Ruhe und Stille vor dem goldenen Hintergrund eine Art göttlicher Gewissheit ausstrahlt. Die triumphale Madonna vor dem barocken Strahlenkranz hat mich allerdings noch nie sehr berührt. Ehrlich gesagt, habe ich als Mann manchmal Mühe mit dem Marienkult unserer Kirche.

Ich kenne keine Figur in der Geschichte, die wie Jesus derart viel vom Vater gesprochen hat. Irgendwann hat man aber aufgehört, wie Jesus es uns lehrte, den Vater anzurufen. Er wurde zunehmend unnahbar, ängstigend, fremd oder unberechenbar, eine Erfahrung, die zweifellos viele Menschen gerade in und nach dem Krieg mit ihren eigenen Vätern machten. Daneben war die Mutter die, die da ist und ansprechbar, und so wandte man sich irgendwann eher an die Mutter Gottes als an Gott Vater selber. Läuft aber die Wahrnehmung des Sohnes über die Mutter, so bleibt vom Sohn Gottes oft nur noch das Jesuskind.

Als ich auf den Spuren meines Lieblingsmalers Piero della Francesca vor Jahren nach Monterchi kam, trat mir in der Gestalt Mariens plötzlich eine ganz andere Frau entgegen. Monterchi, in der nordöstlichen Toskana, ist ein alter, vermutlich schon etruskischer Kultort. Seit Jahrtausenden pilgerten schwangere Frauen dort hin, um für eine gute Geburt zu beten. Auch Pieros Mutter stammte aus Monterchi und so bekam um 1450 der berühmte Renaissancemaler den Auftrag für ein Marienbildnis in der Friedhofskapelle und er malte die „Madonna del parto“, wörtlich „die Madonna von der Geburt“, in Wirklichkeit: eine schwangere Madonna! Das Bild war auch für damalige Verhältnisse unerhört, völlig neu, bewegend und bleibt faszinierend bis heute. Ich selber bin von diesem Bild nie mehr los gekommen.

Noch nie habe ich eine so erdige Maria gesehen und sicher noch nie eine gleichzeitig so selbstbewusste Frau. Nichts mehr ist da von der nur demütigen Magd, die vor dem Engel der Verkündigung niederkauert. Aus einem Zelt, das zwei Engel aufhalten, tritt uns eine fast heutige Frau entgegen, elegant gekleidet im Stil der Renaissance. Doch sie tritt uns nicht eigentlich entgegen, sie steht einfach da, stattlich, imponierend, und völlig in sich ruhend. Was mich bis heute beschäftigt und nicht los lässt: Sie schaut mich nicht einmal an, sie schaut niemand an, sie ruht einfach in sich. Unlängst habe ich in ähnlicher Weise eine schwangere Frau gesehen und sofort ist mir Pieros Madonna eingefallen.

Über ihrem Bauch tut sich das Kleid auf wie ein zweites Zelt. Sie ruht in sich, weil sie weiß, was in ihr ruht. Die Menschwerdung Gottes im Leib einer Frau ist mir noch nie so deutlich geworden, hat mich noch nie gerade als Mann derart gebannt, verstummen lassen und gleichzeitig fasziniert. Die unerhörte Fleischwerdung Gottes im Fleisch einer Frau: Die Madonna Pieros ist eine Frau, vor der ich innerlich in die Knie gehe.

Alles Kuschelige, Liebliche ist wie weg gewischt, die vertrauten Bilder werden über den Haufen geworfen. Maria wirkt mächtig in der Art, wie sie wissend da steht, den Blick vor sich, in sich ruhend, und nur auf ihren Leib verweist. Das Zelt ihres Gewandes, ihr weiblicher Unterleib, wird durch den Sohn, den sie gebären wird, zum Zelt des neuen Bundes. Letztlich ist es nur konsequent, wenn sich Piero sogar erlaubt, dass sich im Heiligenschein der Madonna die Kacheln des Fußbodens spiegeln. So geerdet und gleichzeitig erdig hat kein Künstler die Mutter Gottes dargestellt. Auch Künstler sind Verkündiger des Glaubens.

Oft schon war ich mit Gruppen in Monterchi und jedes Mal, wenn ich wieder vor dieses Fresco trete, spielt sich in mir etwas ab. Derartige Frauenbilder sind für Mannsbilder eine Herausforderung – Gott (und Piero) sei Dank.