Der Liebhaber ist viel mehr als das, woran Sie jetzt vielleicht denken. Er ist neben dem König, dem Krieger und dem Magier eines der Grundmuster reifer Männlichkeit, jener Archetyp, der manchmal Gott ins Fenster schaut.


von Markus Hofer

Der Liebhaber im Mann weiß, daß es nicht nur den Kopf gibt, sondern auch das Herz, daß es nicht nur die Zweckmäßigkeit gibt, sondern auch die Schönheit, nicht nur die Arbeit, sondern auch die Muße. Er macht das Leben erst eigentlich genießbar und er hat eine große Lust auf das Leben. Der Liebhaber sieht sich zuständig für unseren elementaren Hungergefühle, den Hunger nach Essen und Trinken, nach Wohlbefinden, nach Sexualität und Fortpflanzung und nach Lebenssinn, ohne den das Leben unerträglich ist. Er verleiht diesen Bedürfnissen Geschmack und Schönheit und schöpft daraus Spontaneität und Lebensfreude. Der Liebhaber kann genießen und möchte andere Menschen daran teilhaben lassen.

Der Liebhaber ist der, der auch einmal im Gras liegen und die Wolken betrachten, ein Blatt an einem Baum bewundern und den Ameisen zuschauen kann. Er freut sich über die Dinge, wie sie sind oder weil sie da sind. Der Liebhaber kann staunen oder überquellen vor Begeisterung, kann aber auch in der Stille mit sich allein sein ohne die Angst etwas zu versäumen. Der Liebhaber hat die Kraft der Empfindsamkeit, der sinnlichen Wahrnehmung und er nimmt Anteil an den Dingen und an den Menschen. Er versteht und liebt, weil er einfühlend ist. Der Mann mit einem guten Zugang zum Liebhaber fühlt sich verbunden, lebendig, schwungvoll, mitfühlend und auch energisch. Zu seinem Leben, seinen Zielen, seinem Beruf, seinen Leistungen hat er nicht nur einen sachlichen Zugang, sondern auch einen gemüthaften und er hat das Gefühl, daß sein Tun sinnerfüllt ist.

Der unreife Liebhaber

Es gibt aber auch den unreifen Liebhaber, die Schattenform, die sich zeigt im süchtigen und im impotenten Liebhaber. Der süchtige Liebhaber ist verstrickt und besessen von seinem 'Liebhaben'. Er ist auf der ständigen Suche nach Endgültigem und Ewigwährenden und immer wenn er etwas gefunden hat, ist es wieder nicht das und er muß weiter suchen. Er ertrinkt in seiner leidenschaftlichen Suche und es fehlt ihm jede Distanz und der Blick auf das Ganze. Süchtige Liebhaber sind unreif und nicht fähig, ein Frau wirklich als Partnerin zu nehmen. Männer im Bann des impotenten Liebhabers wiederum fehlt es an Schwung, Lebhaftigkeit und Lebendigkeit und sie erfahren ihr Leben als kalt und gefühllos, als träge und gleichgültig.

Sie können nicht genießen, von nichts schwärmen und sich für nichts begeistern. Sie haben vielleicht Hunger, aber keinen Appetit. Auf Dauer werden sie depressiv, 'vertrocknen' regelrecht und fühlen sich von anderen Menschen und von sich selbst abgeschnitten. Sie haben das Gefühl, daß es nichts gibt, für das es sich zu leben lohnt. Verschwindet der Liebhaber, verschwindet auch die Lust am Leben.

Gott ins Fenster schauen

"Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst", heißt es schon in der Bibel. Der Liebhaber hat nicht nur mit dem Liebhaben von anderen zu tun, sondern auch mit dem Liebhaben von sich selber. Ein Mann, der einen guten Zugang zum Liebhaber hat, kann auch sehr gut mit sich allein sein, kann viel mit sich selber anfangen und hat nicht ständig das Gefühl irgendwo etwas zu versäumen. Für ihn gilt in besonderem Maße, was Milan Kundera formuliert hat: "Wer Gott ins Fenster geschaut hat, langweilt sich nie."

Dieses "Gott ins Fenster geschaut zu haben" zeigt sich weniger in äußerer Frömmigkeit als vielmehr durch innere Stimmigkeit und Sinnerfülltheit. Wir merken oft intuitiv, daß dies behagliche Menschen sind, mit denen wir gerne beisammen sind, bei denen uns eben auch nicht langweilig wird und zwar ohne daß es einer dauernden Action bedarf.

Den Liebhaber pflegen

Wir Männer können den Liebhaber in uns pflegen und seine Energie anzapfen. Für die folgende Liebhaber-Übung braucht es einen Wald oder zumindest ein Stück Natur. Männer haben zu Wald einen besonderen Bezug. Da wohnt nicht nur der wilde Mann, da reitet nicht nur der Ritter hindurch, sondern da kann sich auch der Liebhaber aufgehoben fühlen. Grundsätzlich gibt es für Männer zwei verschiedene Zugänge zu Wald oder Natur, den des Kriegers und den des Liebhabers.

Der kriegerische ist der uns vertrautere. Es ist der Zugang mit Stoppuhr, Pulsmesser, Joggingschuhen oder Montainbike, wo es vor allem um körperliche Leistung und um Zeit geht. Das ist gut und gesund, wenn es nicht alles ist. Daneben gibt es aber auch den liebhaberischen Zugang und das ist im Gegensatz zum kriegerischen genau der, wo sich die Zeit verliert und wo es nicht um Leistung geht.

Die Übung ist einfach, oder doch nicht? Der Mann geht für sich allein mindestens eine halbe Stunde in den Wald. Er merkt am Anfang, daß er sich fragt warum, wozu, wie lange und auch auf die Uhr schaut. Irgendwann beginnt sich das aber zu legen und er schaut auf, beginnt aus sich heraus zu schauen auf die Natur und fängt an Bäume, Blätter, Sträucher zu betrachten. Gleichzeitig wechselt er seine innere Taktfrequenz. Die Schritte verlangsamen sich, er wird ruhiger, bleibt manchmal sogar stehen, die Fragen vom Anfang verschwinden ohne Antwort und jeder Zeitbegriff beginnt sich aufzulösen.

Es findet eine Transformation statt, die sehr viel mit dem Liebhaber zu tun hat. Manchmal meldet sich zwischendurch wieder der ungeduldige Krieger und fragt, wie lange das noch gehen soll und ob es nicht schon reicht. Da muß er durch und notfalls wieder von vorne beginnen, sonst findet die Transformation nicht statt. Irgendwann wird er sich ertappen, wie er mitten im Wald vor einem Baum steht, leise vor sich hinlächelt und nicht weiß warum. Vom Bauch herauf kommt es warm und in der Brust wird es leicht. Genau dann ist er ganz in seinem Liebhaber. Grundsätzlich gilt: Je länger ein Mann braucht, diesen Punkt zu erreichen, um so dringender war es. Versuchen Sie es! Wer nicht genießt, wird ungenießbar. Nur wenn wir uns selber mögen, können wir auch für andere anziehend sein.